Der Hausarzt, der 368 auf einen Streich impfte

Kandersteg hats vorgemacht: Letzten Samstag hat Dorfarzt Hendrik Pilz an einem Tag alle geimpft, die gemäss Impfplan dran waren.

, 5. Mai 2021 um 13:24
image
  • ärzte
  • hausärzte
  • impfung
Seit vier Jahren ist Hendrik Pilz der Hausarzt von Kandersteg. Nun hat er schweizweit für Aufsehen gesorgt. Er wollte seine Patientinnen und Patienten wegen ihrer Impftermine nicht auf Wochen hinaus vertrösten. Zusammen mit den Gemeindebehörden organisierte der 54-jährige Leipziger einen Impftag. Das Resultat: In Kandersteg sind nun schon viel mehr geimpft als anderswo.
Im Interview sagte Hendrik Pilz gegenüber Medinside, wie er auf die Idee kam – und verschweigt auch nicht, dass er neben dem Applaus plötzlich auch Vorwürfe zu hören bekam.

Hendrik Pilz, wie kamen Sie darauf, gleich so viele Impfwillige im Dorf aufs Mal zu impfen?

Ich stellte fest: Wir haben hier in Kandersteg so viele Leute, die sich impfen lassen wollen – aber mehr als 12 Personen pro Tag schafft man in einer Arztpraxis einfach nicht. Man bräuchte einen grossen Saal, haben wir uns gedacht. Und dann sind wir mit den Gemeindebehörden zusammengesessen und haben das geplant. Meine Frau und ich haben auch schon einige Erfahrungen mit dem Impfstoff gesammelt, weil wir bis Ende April jeden Mittwoch in Thun geimpft haben.

Hat der Kanton von der Impfaktion gewusst?

Ja, die fanden es eine coole Sache.

Sie haben dann im Gemeindesaal geimpft…

… ja in zwei Teams. Für die Saalvorbereitung, den Anmeldeprozess, das Einhalten der Hygieneregeln und die Überwachung der Geimpften brauchte es aber auch noch viele Helfer; alle haben mitangepackt. Wir hatten Dutzende von Freiwilligen, die mithalfen. Wir wollten die Impfaktion kostenlos anbieten. Deshalb habe ich auch mein Praxispersonal gratis zur Verfügung gestellt. Aber es war die Sache wert.

Bei so viel Einsatzwille war es wohl nicht so toll, als Sie in der «Berner Zeitung» lesen mussten, dass Sie mit ihrer Aktion Impfdränglern Vorschub leisten würden.

Wir sind aus allen Wolken gefallen, dass man uns diesen Vorwurf macht. Er trifft einfach nicht zu. Wir haben die Impfgruppen beachtet und das auch aufwändig geplant. Aber die Wertschätzung der Bevölkerung motiviert. Es ist schlicht gut, dieses Gemeinschaftsgefühl hier zu spüren. Jetzt steht uns am 29. Mai noch der zweite Impftermin bevor.

Zur Person

Hendrik Pilz ist Facharzt für Anästhesiologie und Notfallmedizin. Er stammt aus Leipzig und lebt seit sechs Jahren in der Schweiz. Vor vier Jahren übernahm er die Hausarzt-Praxis in Kandersteg. Seine Frau Sabine arbeitet auch in der Praxis. Die Fachschwester für Anästhesie und Intensivmedizin ist Wundmanagerin.
Artikel teilen

Loading

Comment

2 x pro Woche
Abonnieren Sie unseren Newsletter.

oder

Mehr zum Thema

image

Zwei Aargauer Ärzte wegen Nazi-Vergleich verurteilt

Zwei ehemalige Kaderärzte des Kantonsspitals Aarau wurden wegen übler Nachrede gegenüber Javier Fandino verurteilt.

image

Die Digitalisierung von klinischen Studien: Fortschritte in der Medizintechnik auf dem Weg zu papierlosen Verfahren

Klinische Studien stellen aufgrund ihrer langwierigen Durchführung, der anspruchsvollen Teilnehmerrekrutierung und der hohen Verfahrenskosten den kostenintensivsten Bestandteil des Produktentwicklungsprozesses* dar.

image

Kann Digitalisierung gegen den Hausärztemangel helfen?

Auf der Suche nach Lösungen für den Ärztemangel in der Grundversorgung gehen Leistungserbringer neue Wege und nehmen die Digitalisierung selber in die Hand, um den Zugang und die Qualität zu verbessern.

image

Falsche Ärztin wollte von Deutschland in die Schweiz

Eine mutmassliche Betrügerin hat monatelang als Ärztin in einer Klinik nahe an der Schweizer Grenze gearbeitet. Sie hatte gefälschte Papiere und wollte einen Job in der Schweiz erschleichen.

image

So entgehen Sie dem Hochstapler-Syndrom

Viele Ärztinnen und Ärzte überfordern sich – und leiden dann unter dem «Hochstapler-Syndrom». Das ist ungesund für die Psyche.

image

Oral-Sex mit Ex-Patient wurde Psychiaterin zum Verhängnis

Zuerst wollten die Universitären Psychiatrischen Dienste Bern (UPD) eine verurteilte Ärztin behalten. Doch plötzlich besannen sie sich anders.

Vom gleichen Autor

image

Die vier Möglichkeiten für eine neue Krankenversicherung

Die Krankenkassen erhöhen ihre Prämien nächstes Jahr vermutlich wieder massiv. Politiker schlagen deshalb neue Versicherungs-Modelle vor.

image

Experte widerspricht dem «Märchen» von den hohen Reserven

«Die Kassen schwimmen im Geld», schrieb der «K-Tipp». Versicherungsfachmann Felix Schneuwly ist anderer Meinung: Die Reserven seien gering.

image

Diese fünf Behandlungen sollten sich Spitäler sparen

Keine vorbeugenden Antibiotika und keine Schlafmittel-Rezepte für zuhause: Das sind zwei von fünf neuen Empfehlungen für Spital-Ärzte.