Der Kanton Bern streicht den freischaffenden Pflegefachleuten einen wichtigen Zuschuss. Bisher erhielten sie einen Zuschlag von 24.55 Franken, wenn sie Spezialleistungen erbrachten: Nämlich Kinderspitex, psychiatrische Pflege, onkologische und palliative Pflege sowie Wundbehandlungen.
Luxusprobleme der Freischaffenden?
Pflegefachleute mit einer Spezialausbildung auf diesen Gebieten konnten 95 bis 120 Franken pro Stunde geltend machen. Ab 1. Januar dürfen sie nur noch 71 bis 95 Franken abrechnen.
Bei einem solchen Stundenansatz seien das Luxusprobleme, wurde mancherorts gelästert. Selbständige Pflegefachleute mussten sich immer wieder rechtfertigen: 95 Franken Stundensatz seien nicht gleichbedeutend mit 95 Franken in der Tasche. Und: «Als selbständige Pflegefachperson wird man nicht ansatzweise reich. Vielmehr muss man sehr gut wirtschaften, um überhaupt ein anständiges Einkommen zu erzielen», sagt eine Betroffene.
30 Prozent nicht verrechenbar
Es gibt Berechnungen, wonach die selbständigen Spitexfachleute etwa 30 Prozent des Aufwands überhaupt nicht verrechnen können: Unter anderem längere Fahrzeiten zum Kunden, Administration, Abklärungen und Weiterbildungen.
Bewilligungen, Pflegeplanungen, Abrechnungen, Haftpflicht- und Taggeldversicherungen und Sozialversicherungsbeiträge kommen dazu. In den Ferien, an Feiertagen und bei Krankheit verdienen Freischaffende überhaupt nichts.
Aufwendige Nachforschungen nach Klienten
Eine Pflegefachperson schildert weitere Situationen, die das Einkommen von Freischaffenden schmälern: «Sie stehen beispielsweise vor der verschlossenen Haustüre des Kunden, niemand macht auf. Sie hätten da vielleicht einen zweistündigen Einsatz gehabt. Dafür dürfen sie zwar 30 Franken Entschädigung verrechnen. In so einem Fall sind die Pflegefachleute aber verpflichtet herauszufinden, wo der Klient ist. Angehörige oder Spitäler müssen angefragt werden, die Polizei ist aufzubieten und man muss für die Befragungen bereitstehen. Sie arbeiten also mehrere Stunden unter Hochstress und können dafür keinen Franken verrechnen.»
Doch der Kanton Bern will die Kürzung trotzdem vornehmen. Auch ein Vorstoss der Spitex-Kantonalpräsidentin Ursula Zybach (SP) im Kantonsparlament vermochte die Regierung nicht umzustimmen.
Grosszügiger Berner Tarif bot Fehlanreize
Der Kanton wolle nicht sparen, sondern Fehlanreize bei der Bezahlung der ambulanten Pflegefinanzierung eliminieren, sagte der Regierungsrat in einer Antwort auf einen Vorstoss aus dem Kantonsparlament.
Bern ist der einzige Kanton, der den freischaffenden Pflegefachleuten für Spezialleistungen einen grosszügigen Zuschlag von fast 25 Franken bezahlte. Nun kam der Regierungsrat aber zum Schluss, dass diese Grosszügigkeit ausgenützt wurde und Fehlanreize setze.
Hohe Spitex-Kosten - und trotzdem auch hohe Spitalkosten
Denn letztes Jahr lag Bern mit seinen Kosten für die ambulanten Pflege pro versicherte Person um 29 Prozent über dem Schweizer Durchschnitt – und das erst noch ohne Auswirkungen auf die Spitalkosten. Denn auch bei diesen liegt Bern mit 25 Prozent deutlich über dem Durchschnitt.
Dem Kanton ist auch aufgefallen, dass zwischen 2011 und 2018 die Zahl der freiberuflichen Pflegefachpersonen um 74 Prozent gestiegen ist, jene der privaten Spitex-Organisationen um 61 Prozent.
Grosszügige Tarife wurden ausgenutzt
Bei den öffentlichen Spitex-Organisationen lag das Wachstum nur bei 6 Prozent. Gleichzeitig sank aber die Zahl der versorgten Personen. Es gebe also nicht mehr Pflegebedürftige. Vielmehr vermutet der Kanton, dass er mit seinen grosszügigen Tarifen nicht nur effektive Kosten gedeckt habe, sondern dazu beigetragen habe, dass Private gut verdient haben.
Was sagt Curacasa, der Fachverband freiberufliche Pflege dazu? Gérard Villarejo, der Präsident, räumt ein, dass der Kanton Bern für die spezialisierten Pflegefachleute einen hohen, aber «gerechten» Tarif bot. Andere Kantone, wie Solothurn, Wallis, Freiburg oder Thurgau würden Freischaffende schlechter zahlen. Dass die Kantone frei sind, wie gut oder schlecht sie Freischaffende entlöhnen, ist ihm jedoch ein Dorn im Auge.
Freie sind Manövriermasse für die Kantone
«Die Freischaffenden sind für die Kantone die grosse Manövriermasse», kritisiert er. Die Versuchung, bei den Freien zu sparen, sei sehr gross.
Niemand stelle die Pflege im Spital in Frage, aber die Pflege zuhause werde immer wieder als zu teuer gebrandmarkt. Es sei schwierig einen Referenzlohn für Freischaffende zu berechnen, weil der Anteil an Fahrtkosten, Administration und anderen Spesen schwer zu beziffern sei.
Darunter zu leiden haben die Selbständigen: Sie erhalten nun rund 25 Franken weniger pro Stunde. Wo sie diesen massive Einnahmenverlust ausgleichen können? «Ich weiss es nicht», sagt ein Betroffener. «Ich muss jetzt einfach mit weniger Lohn auskommen.»