Es gebe kein Spital mehr in Rorschach und es werde kein Notfallzentrum geben, diese Tatsachen müsse man nun zur Kenntnis nehmen, ob es einem nun gefalle oder nicht – dies sagte der Rorschacher Stadtpräsident Robert Raths gegenüber dem «St. Galler Tagblatt».
Anders tönt es vonseiten des Wiler SVP-Kantonsrats Erwin Böhi: «Die Gesundheits- und Notfallzentren (GNZ) müssen eingerichtet werden, die gesetzliche Grundlage ist eindeutig», sagte er kürzlich gegenüber dem «St. Galler Tagblatt». Gemäss der Zeitung will Böhi mit einer Motion verlangen, dass der Begriff GNZ im Gesetz präzisiert wird: «Es darf kein Schlupfloch mehr geben, um die versprochenen Notfallzentren zu umgehen oder zu verhindern, wie das nun geschieht.»
Darum geht’s
Eigentlich hat der St. Galler Kantonsrat im Jahr 2020 neue GNZ als Ersatz für die geschlossenen Regionalspitäler in Flawil, Rorschach und Wattwil beschlossen. Doch lediglich in Wattwil gibt es ein Notfallzentrum, betrieben wird es von der
Berit Klinik.
Für eine eigenständige Notfallanlaufstelle in Rorschach besteht gemäss Regierung kein Bedarf. Auch die niedergelassenen Ärztinnen und Ärzte der Region Rorschach sind der Meinung, dass für eine eigenständige Notfallanlaufstelle kein Bedarf besteht. Die Notfallstationen am Kantonsspital St. Gallen (KSSG) und in der Hirslanden-Klinik Stephanshorn seien von Rorschach aus innerhalb von 20 Minuten erreichbar, so wird argumentiert (Medinside
berichtete).
Das sind die Argumente der Ärztegesellschaft des Kantons St. Gallen
«Eine Strecke von 20 Minuten zur nächsten Notfallstation ist zumutbar – dies ist in weiten Teilen des Kantons seit Jahren selbstverständlich», sagt Patrick Scheiwiler, Vizepräsident der Ärztegesellschaft des Kantons St. Gallen (KAeG SG), auf Anfrage von Medinside.
Die Verlagerung des Notfalldienstes sei eine Investition in die zukünftige hausärztliche Grundversorgung der Region Rorschach, findet der Facharzt für Allgemeine Innere Medizin. Er führt aus: «Bei schlecht organisiertem Notfalldienst in der Region und übermässiger Belastung der Hausärztinnen und Hausärzte werden keine Nachfolger mehr gefunden. Wenn jetzt also der Notfalldienst in Rorschach aufrechterhalten werden müsste, dürfte Rorschach bald die Hausärztinnen und Hausärzte ausgehen.»
So werden Notfälle in der Region Rorschach derzeit geregelt
Seit der Schliessung des Spitals Rorschach wird im bestehenden Spitalgebäude ein Ambulatorium – das
«Ambi Rorschach» – betrieben. Dort werden aber eben keine Notfallpatienten versorgt. Tagsüber und abends sind Hausärztinnen und Hausärzte der Region Anlaufstelle bei Notfällen, und von 22 Uhr bis 7 Uhr wird die Notfallnummer auf die Notaufnahme des KSSG weitergeleitet. Scheiwiler sagt: «Die Betreuung ist also jederzeit sichergestellt, nur nicht mehr gerade vor der eigenen Haustüre.»
Ab Oktober 2022 soll der Notfalldienst aber ab 17 Uhr nur noch im KSSG angeboten werden (s. Box). In der Region Gossau funktioniere dieses System seit Jahren problemlos, sagt der Vizepräsident der KAeG SG.
Situation in Flawil
Wie das «St. Galler Tagblatt» schreibt, tönt es auch in Flawil ähnlich: «Ein rund um die Uhr geöffnetes Notfallzentrum erachtet die Ärzteschaft aufgrund der Nähe zu St.Gallen und Wil als nicht notwendig.»
Permanences für nicht lebensbedrohliche Notfälle?
Wie das «St. Galler Tagblatt» schreibt, geht der Wiler SVP-Kantonsrat Böhi mit den Ärztinnen und Ärzten der Regionen Flawil und Rorschach ein Stück weit einig: Weder in Flawil noch in Rorschach sei ein 24-Stunden-Betrieb notwendig. Böhi meinte gegenüber der Zeitung: «Eine Art Notfallpraxis mit verlängerten Öffnungszeiten würde vermutlich genügen. Wichtig ist, dass es keine Voranmeldung braucht – anders als beim Hausarzt.»
Böhi könnte sich für die beiden Regionen etwa Permanences vorstellen, also zentral gelegene medizinische Einrichtungen mit langen Öffnungszeiten – «für nicht lebensbedrohliche Notfälle, einen tiefen Schnitt, einen verstauchten Daumen oder hohes Fieber», fügte er hinzu.
Was meint der Vizepräsident der KAeG SG zu diesem Vorschlag?
«Aus meiner Sicht ist die Region zu klein, um eine solche Permanence effizient zu betreiben», sagt Scheiwiler. Die Vorhalteleistungen ohne Vereinbarung seien enorm, wenn man lange Wartezeiten verhindern wolle. Eine gut organisierte Hausarztpraxis mit erweiterten Öffnungszeiten hingegen ermögliche ein effizientes Arbeiten, kurze Wartezeiten sowie eine hohe Behandlungsqualität.
Die Gefahr einer Fehleinschätzung bei Patienten auf einer Permanence, so Scheiwiler, seien deutlich höher als bei den eigenen, bekannten Patienten. Zudem zeige sich, dass die Fluktuation der angestellten Ärzte in einer Permanence höher sei als in einer Praxis mit einem angestammten Patientenstamm – «das drückt ebenfalls auf die Qualität».
«Eine Permanence ersetzt somit nie einen guten Notfalldienst»
Scheiwiler kommt zum Schluss: «Eine Permanence bietet lediglich Personen eine Möglichkeit eines ‹out of hour› Arztbesuches, die keinen Hausarzt wollen und somit allenfalls Qualitätseinbussen absichtlich in Kauf nehmen.» Eine Permanence ersetze somit nie einen guten Notfalldienst.
Inwieweit dem Trend nach der Konsumation von ärztlichen Leistungen für Bagatellen ausserhalb der gängigen Arbeitszeit Vorschub geleistet werden solle, sei eine gesellschaftliche Frage, findet Scheiwiler. Da es sich hierbei aber selten um medizinische Notfälle handle, seien den Patienten auch längere Anfahrtszeiten zuzumuten.
Aktuelle Lage im Spital Wil
Es gebe keine aktuelle Informationen der Regierung, ob die Notfallversorgung in den Regionen Flawil und Rorschach derzeit gewährleistet sei, sagte der Wiler SVP-Kantonsrat Böhi gegenüber dem «St. Galler Tagblatt». Er wisse aber, dass die Notfallstation des Spitals Wil seit der Schliessung von Flawil überlastet sei, so Böhi.
Ist dem so? Barbara Anderegg, Leiterin der Kommunikation der Spitalregion Fürstenland und Toggenburg (SRFT), bestätigt zwar auf Anfrage: «Nach der Schliessung des Spitals Flawil haben wir im Spital Wil einen sprunghaften Anstieg der Zahl der Patienten auf der Notfallstation Wil verzeichnet.» Sie betont aber auch, trotz erhöhter Frequenz könne den Patienten eine rasche und gute medizinische Versorgung gewährleistet werden – «dank Anpassungen, insbesondere der Einführung eines neuen Triagesystems sowie personellen Aufstockungen im assistenzärztlichen und im pflegerischen Bereich».
Pläne für die Notfallstation im Spital Wil
Eine Überlastung habe dank dieser Massnahmen abgewendet werden können, allerdings sei die Belastungsgrenze nun erreicht, so Anderegg. Um in Zukunft einen weiteren Anstieg der Patientenzahlen bewältigen zu können, seien weitere Schritte notwendig. «Daher soll die Notfallstation im Spital Wil räumlich erweitert werden», schreibt die Leiterin der Kommunikation der SRFT. Das Bauprojekt soll noch dieses Jahr umgesetzt werden.
Ärzte aus Rorschach leisten Notfalldienst schon bald im KSSG
Der hausärztliche Notfalldienst in der Region See soll ab Ende 2022 neu organisiert werden: Die Grundversorger aus Rorschach, Rorschacherberg, Goldach, Steinach, Tübach, Untereggen und Mörschwil wollen den Notfalldienst zwischen 17 und 22 Uhr nicht mehr in der Praxis, sondern im Kantonsspital St. Gallen (KSSG) leisten (Medinside
berichtete).
Als bereits beschlossene Sache gilt, dass sich die Ärzte der Region Rorschach, die bis anhin noch dem Regionalverein Rorschach-Rheintal angehörten, hierfür dem Ärzteverein der Stadt St. Gallen anschliessen. Die entsprechende Statutenänderung wurde an der Hauptversammlung Ende Januar bei beiden Regionalvereinen beschlossen.
Medinside wollte von Patrick Scheiwiler, Vizepräsident der Ärztegesellschaft des Kantons St. Gallen (KAeG SG), wissen:
Die Hausärztinnen und -ärzte der Region Rorschach werden den Notfalldienst ab Oktober 2022 in St. Gallen leisten – was versprechen sich die Ärzte davon? Eine hochstehende Notfallversorgung durch diensttuende Hausärzte am KSSG; eine Entlastung vom Notfalldienst für die Hausärzte im Kreis Rorschach; die Möglichkeit, Nachfolger für die Praxen zu finden, die altershalber übergeben werden müssen.
Und was sagen wohl die Bürger von Rorschach dazu? Wenn die Bürger den langfristigen Mehrwert erkennen und sich vom Wunsch der medizinischen Versorgung vor der Haustür rund um die Uhr – was bisher ein sehr grosses, und vielleicht auch wenig geschätztes Privileg der Region war – lösen können, werden sie Verständnis für diese kleine Einschränkung aufbringen, wenn dafür der Hausärztebestand in der Region langfristig gesichert werden kann.