Beurteilung von mobilen Gesundheitsapplikationen – wie behalten wir den Überblick?

Der Markt für medizinische Apps wächst stark. Die Findung einer geeigneten Lösung kann für die Anwender herausfordernd sein. eHealth Suisse hat ein Konzept erarbeitet, um sich im mHealth-Dschungel besser orientieren zu können. Was in der Theorie gut klingt, könnte in der Praxis schwierig werden.

, 10. Juli 2021 um 06:00
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Das Potenzial der digitalen Medizin

Die eigene Fitness und Ernährung im Auge behalten oder das Diabetes Management kontrollieren. Seinen Menstruationszyklus beobachten oder Contact-Tracing im Pandemiefall durchführen. Das breite und tiefe Angebot an mobilen Gesundheitsapplikationen (mHealth) ist inzwischen weitreichend. Durch die Etablierung des Smartphones und immer mehr leistungsfähigen Sensoren, hat der mobile Gesundheitsmarkt in den vergangenen Jahren einen regelrechten Hype erfahren.
Eine Studie über den Gesundheitsmarkt und seine Trends hat die Grösse des globalen mHealth-Markts im Jahre 2020 mit 45,7 Milliarden US Dollar beziffert. Gleichzeitig wird in der Zeitspanne von 2021 bis 2028 eine jährliche Wachstumsrate von 17% vorausgesagt. Einen Teil dieses Marktes sind die über 300'000 Gesundheits-Apps, welche in den zwei grossen App-Stores angeboten werden.
Wie können heutige Konsumentinnen und Konsumenten das Angebot überschauen und einordnen? Und wie kann künftig die Qualität von mHealth-Lösungen sichergestellt werden?

Fehlende Transparenz in der Softwarelandschaft

Um aus dem überwältigenden Angebot an Gesundheitsapplikationen hinsichtlich der Sicherheit, des Datenschutzes oder der Benutzerfreundlichkeit die richtige identifizieren zu können, bedarf es einem Leitfaden. Dieser Überlegung ist eHealth Suisse, die Kompetenz- und Koordinationsstelle von Bund und Kantonen, gefolgt und hat daraufhin einen Kriterienkatalog zur Qualität von Gesundheits-Apps erstellt.
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Die neun Kriterien und ihre Merkmale zur Selbstdeklaration von Gesundheits-Apps (Bild: unbekannt / eHealth Suisse)
Der Kriterienkatalog definiert neun generische Kriterien, die in 18 Merkmalen und 25 Anforderungen verfeinert werden können. Der Kriterienkatalog dient zur Selbstdeklaration, das heisst, sie geben einen Informationsrahmen vor, der von den Herstellern befüllt werden soll. Die Stakeholder – unter anderem Hersteller, Verbände und medizinische Fachgesellschaften – können sich an dem Katalog orientieren und Schwerpunkte setzen. Auch den Konsumenten soll es auf diese Weise möglich sein einzusehen, welche Kriterien von welchen Institutionen als relevant angesehen werden.
Für die Zukunft plant eHealth Suisse dafür zwei Vorhaben, nämlich die Datenbankentwicklung und die Operationalisierung. Die Datenbankentwicklung strebt die Umsetzung einer zentralen Plattform an, die als Orientierungshilfe für die Akteure dient. Darin sollen alle erfassten Selbstdeklarationen gesammelt und für die Öffentlichkeit bereitgestellt werden. Durch die Operationalisierung sollen die Stakeholder in ihren Fachthemen Besonderheiten erkennen, wichtige Aspekte hervorheben und ihre Mitglieder ideal vertreten. Dadurch wird der Katalog anwendungsgerecht und zielgruppenspezifisch mit vertieften Kenntnissen verfeinert. Letzteres passiert mittels Prüfwerkzeugen wie zum Beispiel Checklisten.

Ist es der Aufwand wert?

Derzeit läuft die Integration von mHealth-Anwendungen in der Grundversorgung noch schleppend. Das präsentierte Konzept ist wegweisend und von Wichtigkeit, wenn mHealth im schweizerischen Gesundheitswesen einen Mehrwert bieten will: Die Grundlage für Patientenbefähigung ist mehr Qualität und Transparenz. Ein Anwendungsbeispiel könnte die eigene Datenüberführung in das persönliche elektronische Patientendossier (EPD) darstellen.
Doch die Strategie wirft eine entscheidende Frage auf: Welchen Anreiz haben die Stakeholder, die Selbstdeklaration auszufüllen oder zu begutachten?
Gewiss, die Selbstdeklaration kann als Gütesiegel angesehen werden und die Aufklärungsarbeit seitens eHealth Suisse wird manche Akteure zur freiwilligen Teilnahme bewegen können. Doch die Partizipation, also das Erstellen und Bewerten einer Selbstdeklaration, schafft für die Stakeholder primär Mehraufwand. Zudem ist bei einem geringen Anteil an Selbstdeklarationen der Qualitätsausweis in Frage zu stellen: Umso weniger Hersteller mitmachen, desto weniger Selbstdeklarationen sind verfügbar. Daraus folgert ein erschwerter und unvollständiger Vergleich der Lösungen auf dem Markt.

Wie die Integration doch noch gelingen kann

Das Zusammenspiel der Stakeholder und die Etablierung von Qualitätsstandards in der freien, ungeregelten Marktwirtschaft könnten für eHealth Suisse die grössten Herausforderungen darstellen. Doch es gibt durchaus Ansätze, die Selbstdeklaration von Gesundheitsapps durchzusetzen.
Ein naheliegender Vorschlag lautet, die Selbstdeklarationen als obligatorisch zu erklären. mHealth kann das Gesundheitswesen durch Patientenbefähigung wirksam und kostendämpfend beeinflussen. Spätestens, wenn mHealth auch in der Grundversicherung berücksichtigt werden soll, ist eine staatliche Regulierung erwägenswert.
Ein anderer Vorschlag wäre, die Selbstdeklarationen und ihre Zertifizierung auf institutioneller Ebene voranzutreiben. Fachhochschulen und Universitäten könnten mit ihren interdisziplinären Studiengänge Pilotprojekte starten und die ersten Selbstdeklarationen durchführen. So würde das Thema an Aufmerksamkeit gewinnen und im Unterricht aufgenommen werden.
Mit dem Kriterienkatalog wurden generische Rahmenbedingungen geschaffen, damit alle Akteure zu mehr Transparenz und Qualität beitragen können – aber wollen das auch alle? Medizinische Fachgesellschaften und Hersteller brauchen für die Zusammenarbeit entweder ein konkretes Anreizsystem oder sie müssen in die Pflicht genommen werden. Mit dem vorliegenden Konzept wird man voraussichtlich nur Wenige zur Kooperation gewinnen können.
Daniel Schmid ist ausgebildeter Informatiker der Fachrichtung Applikationsentwicklung. Derzeit studiert er an der Berner Fachhochschule Medizininformatik und arbeitet in Zürich als Softwareentwickler.
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