Avenir Suisse möchte Spitallisten abschaffen

Mit einer Dreifach-Therapie will die Denkfabrik das Spitalwesen beleben. Ein Kernproblem sichten die Ökonomen im grassierenden Kantönligeist.

, 6. Februar 2018 um 10:45
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Die liberale Denkfabrik Avenir Suisse hat in einer neuen Publikation das Schweizer Spitalwesen unter die Lupe genommen. Hintergrund ist, dass über ein Drittel der Gesundheitskosten in den Schweizer Spitälern anfallen. 
Mit der Einführung der neuen Spitalfinanzierung im Jahr 2012 ging das Kostenwachstum zwar leicht zurück, es konnte jedoch nicht gebremst werden. Die Ökonomen taxieren die Reformanstrengungen als ungenügend. Speziell mangele es an Transparenz über die Qualität der Leistungen, restriktive Aufnahmekriterien für die Spitallisten und intransparente Subventionen der Kantone. 
Avenir Suisse fordert transparente Vergabeprozesse von gemeinwirtschaftlichen Leistungen, neue Versicherungsmodelle sowie die Abschaffung der kantonalen Spitallisten. 
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Jérôme Cosandey, Noémie Roten, Samuel Rutz: «Gesunde Spitalpolitik - Mehr Transparenz, mehr Patientensouveränität, weniger 'Kantönligeist'» - in: «Avenir Debatte», 6. Februar 2018

1. Mehr Klarheit bei den Subventionen

Die Kantone bezahlen den Spitälern rund 1,8 Milliarden Franken für gemeinwirtschaftlichen Leistungen, kurz GWL. Davon gehen 3 Prozent Privatspitäler, der grosse Rest an öffentliche Häuser. Obendrein päppeln die Kantone «ihre» Spitäler diskret durch höhere Basistarife, zinsfreie Darlehen oder Subventions-Mieten. 
Hier fordert der Think Tank definitiv mehr Wettbewerb. Der Vergabeprozess der gemeinwirtschaftlichen Leistungen müsse transparenter und fairer gestaltet werden, sei dies durch Ausschreibungen oder die explizite Zustimmung des jeweiligen kantonalen Parlaments. 
Die Unterschiede sind jedenfalls frappant: Während der Kanton Zug nur 8 Franken pro Einwohner ausgab, waren es 947 Franken im Kanton Genf. 
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Mal viel, mal wenig Subventionen: Anteil Kantons-Beiträge (Gemeinwirtschaftliche Leistungen) an den Erträgen der Akutspitäler | Grafik: Avenir Suisse, Quellen: Stefan Felder / BAG / Avenir Suisse

2. Anreize bei den Patienten

Patienten – also die Endkunden – sollen mitreden dürfen, und sie sollen aktiver mitentscheiden, in welchen Spitäler sie behandelt werden. Wer aber hat ein Interesse daran, die Patienten hier zu unterstützen? 
Avenir Suisse tippt hier auf die Kassen und Versicherer. Sie könnten ihre Kunden vor Spitaleingriffen beraten; und mit neuen Modellen – wie man sie aus dem HMO-Bereich schon kennt –, könnten die Versicherten für Qualitäts- und Kostenunterschiede sensibilisiert und je nachdem auch belohnt werden. 
Das heisst: Wählen sie ein günstigeres, aber qualitativ gleichwertiges Angebot, werden sie für die resultierenden Kosteneinsparungen mit einer Gutschrift oder tieferen Prämien belohnt.

3. Nationale Qualitätsagentur statt kantonale Spitallisten

Auch die Spitallisten sind ein Instrument, das nicht nur zur Gesundheitsversorgung und Qualitätssteuerung verwendet, sondern auch für die Strukturpolitik missbraucht werden kann. «Es gibt kein öffentliches Spital, das nicht auf dieser Spitalliste wäre», bemerkte Co-Autor Samuel Rutz bei der Präsentation der Studie: «Aber es gibt sehr wohl Privatspitäler, die nicht sind.»
Avenir Suisse will die kantonalen Spitallisten durch nationale Qualitätsstandards ersetzen. Diese sollen auf wissenschaftlicher Basis durch eine finanziell und politisch unabhängige Organisation ermittelt und kontrolliert werden. Der Namensvorschlag: Schweizer Agentur für Spitalqualität. 
Alle Spitäler, welche die Kriterien erfüllen, dürfen ihre Leistungen der Krankenkasse und dem Wohnkanton des Patienten verrechnen.

Kantone bleiben zuständig, aber…

Der Bund soll explizit nicht festlegen, wo welche Spitäler zu betreiben sind. Die Kantone bleiben aber für die Versorgung zuständig, wie es bereits bei Apotheken, Arztpraxen oder der Spitex gängig ist. Sofern der Markt die gewünschten Leistungen in ihrem Einzugsgebiet nicht hervorbringt, könnten die Kantone laut Avenir Suisse subsidiär auf regionale Bedürfnisse mit der Vergabe von gemeinwirtschaftlichen Leistungen eingehen.
Studienautor Jérôme Cosandey warnte allerdings davor, dass Ausschreibungen nicht wieder einfach wieder den Interessen der bestehenden Häusern entgegenkommen dürften. Vielmehr müsse jeweils definiert sein, was die Bevölkerung benötigt – also beispielsweise eine Notfallversorgung, die für alle innert 20 Minuten erreichbar ist. Aber nicht, wie dieser Bedarf abgedeckt werden soll – also in der festgelegten Form eines Spitals mit einer definierten Zahl an Betten, Personal und Angeboten. 

Die Macht des Kostendrucks

Entscheidend ist natürlich, ob sich solche Ideen umsetzen lassen. Befragt nach den Reaktionen aus den Kantonsregierungen, meinte Jérôme Cosandey: Es sei halt ein Unterschied, ob man den Finanzdirektor oder den Gesundheitsdirektor fragt. Aber alle Regierungsräte, mit denen er im Rahmen der Studie zu tun hatte, hätten den Kantönligeist moniert – wobei sich jeder dann über den Nachbarkanton, der Spitalpolitik zu eigenen Gunsten betreibe.
Doch überall seien sich die Politiker bewusst, dass im Gesundheitswesen ein Kostenposten im Schnitt um 4 Prozent pro Jahr wächst: «Hier», so Cosandey, «haben die Kantone schon einen Anreiz, eine effiziente Gesundheitsversorgung zu fördern.»
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