Wer auf Komplementärmedizin verzichtet, soll weniger Prämien zahlen

Der Nationalrat will Prämienzahlern die Wahl lassen, ob sie komplementärmedizinische Leistungen decken wollen.

, 12. September 2024 um 14:00
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Symbolbild: Kelly Sikkema on Unsplash
In der laufenden Herbstsession sind gleich drei Motionen traktandiert, die es auf die Komplementärmedizin abgesehen haben. Der Bundesrat lehnt sie alle ab.
Eine davon ist am Mittwochabend im Nationalrat behandelt und mit 94 zu 86 Stimmen knapp angenommen worden. Auffallend viele SP-Mitglieder enthielten sich der Stimme.

Nantermod macht Druck

Die Motion stammt vom Walliser FDP-Nationalrat Philippe Nantermod. Er macht sich für eine Wahlfreiheit stark. Prämienzahler sollen die Wahl haben, ob sie komplementärmedizinische Leistungen gedeckt haben wollen, die nach geltendem Recht in der obligatorischen Krankenpflegeversicherung (OKP) versichert sind. Wer darauf verzichtet, soll weniger Prämien zahlen.
Die Rede ist hier von:
  1. Akupunktur,
  2. Anthroposophische Medizin,
  3. Arzneimitteltherapie der traditionellen chinesischen Medizin (TCM),
  4. Klassische Homöopathie
  5. Pflanzenheilkunde.
Die Stimmberechtigten haben 2009 die Übernahme der Kosten von alternativmedizinischen Leistungen durch die OKP klar angenommen. Doch laut Nantermod habe sich mittlerweile herausgestellt, dass zahlreiche komplementärmedizinische Behandlungsmethoden die Kriterien der Wirksamkeit, der Zweckmässigkeit und der Wirtschaftlichkeit (WZW) nicht erfüllten.

«Fakedmed»

Manche glauben an die Wirksamkeit alternativer Behandlungen; aber längst nicht alle. Nantermod nennt sie Pseudomedizin, Fakemed. «Es lässt sich nicht rechtfertigen, dass alle Versicherten gezwungen werden, Leistungen mitzufinanzieren, die im Wesentlichen auf der inneren Überzeugung einiger Ärztinnen und Ärzte und einiger Versicherten beruhen, nicht aber auf objektiven wissenschaftlichen Daten», bemängelt der Walliser Jurist.
Bundesrätin Elisabeth Baume-Schneider hielt sich kurz und erklärte, eine Wahlmöglichkeit in bestimmten Leistungsbereichen widerspreche der Versicherungspflicht und der Solidarität in der Krankenversicherung. Zudem beruhten die fünf Disziplinen auf dem Verfassungsartikel zur Berücksichtigung der Komplementärmedizin.
Für die dritte Sessionswoche sind zwei weitere Vorstösse traktandiert, die die Komplementärmedizin betreffen. Die eine stammt ebenfalls von der FDP und hat die Prämiensenkung zum Ziel.

«Luxuriöses Gesundheitssystem»

«Das Schweizer Gesundheitssystem ist von so hoher Qualität, dass es als luxuriös bezeichnet werden kann», schreibt die FDP-Fraktion in ihrer Begründung. Ein nicht unerheblicher Teil der Bevölkerung könnte sich freiwillig mit einem Versicherungsschutz nur für schwere Fälle zufriedengeben. Oder sie wären sogar bereit, bestimmte Behandlungen im Ausland in Anspruch zu nehmen, sofern sie keine Einbusse in der Qualität zu beklagen haben.
So macht sich die FDP für Krankenversicherungsmodelle mit «sehr niedrigen Prämien» stark. Diese Modelle sollen sich selbst finanzieren und unter anderem ermöglichen, dass mehrjährige Versicherungsverträge, fallbezogene Franchisen, höhere Franchisen, die Einführung der Vertragsfreiheit im stationären und im ambulanten Bereich in der ganzen Schweiz vorgesehen werden könnten.
Auch eine Reduktion des Leistungskatalogs strebt die FDP an und denkt dabei insbesondere an die Komplementärmedizin oder einen obligatorischen Bezug von Generika.
Was den Punkt der Komplementärmedizin betrifft, wird der Bundesrat die gleichen Argumente ins Feld führen wie bei der eingangs genannten Motion Nantermod zur Wahlfreiheit. Die gewählten Leistungen wären nicht mehr obligatorisch und würden daher nicht mehr solidarisch von der gesamten Bevölkerung getragen.

Buffat beharrt auf WZW

Und schliesslich ist da noch die Motion vom SVP-Nationalrat Michaël Buffat. Der Waadtländer Finanzberater will jene Behandlung von der Kassenpflicht befreien, «die wenig wirksam oder veraltet sind oder die WZW-Kriterien nicht erfüllen.»
Ohne Komplementärmedizin beim Namen zu nennen, meint er natürlich gerade diese Behandlungsmethoden, bei denen mit schulmedizinischen Methoden die Wirksamkeit nicht oder nur mangelhaft nachgewiesen werden kann.
Niemand ist überrascht, dass sich der Dachverband Komplementärmedizin gegen diese Vorstösse wehrt. Wie der Bundesrat verweist er auf den Verfassungsauftrag und das Solidaritätsprinzip im KVG. Zudem wäre eine Wahlmöglichkeit nicht prämienrelevant. Die Gesamtkosten der ärztlichen Komplementärmedizin betragen heute 18 Millionen Franken. Pro Person und Jahr seien das 2 Franken; 16,7 Rappen pro Monat.
Schliesslich sei Komplementärmedizin beliebt, bei Schwangerschaften, bei Kindern oder älteren Menschen, bei denen konventionelle Medikamente wegen dem Gefährdungspotenzial nur mit Bedacht und Vorsicht eingesetzt werden könnten.
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