Diese fünf Behandlungen in der Physiotherapie sind unnötig

Massagen, Ultraschall oder Infrarot-Wärme: Solche Behandlungen allein gelten heute als unnütz und stehen deshalb nun auf einer Liste.

, 8. Februar 2023 um 15:52
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Mirjam Stauffer, Präsidentin von Physioswiss. | zvg
Nun gibt es auch für die Physiotherapie erstmals eine Top-5-Liste von unnützen oder unnötigen Behandlungen. Physioswiss rät von ausschliesslich passiven Behandlungen – mit Wärme, Kälte, Ultraschall oder Massagen – ab.

Unbequem, aber nützlich

Besser seien Übungen zur Linderung der Beschwerden – auch wenn diese unbequem sein können. Medinside wollte von Physioswiss-Präsidentin Mirjam Stauffer wissen, warum die Physiotherapie eine Top-5-Liste des Vereins «Smarter medicine – Choosing Wisely Switzerland» erstellt hat.
Mirjam Stauffer, unter Physiotherapie verstehen viele Patienten Massagen, Ultraschall, vielleicht auch eine Wärme- oder Kältepackung. Werden sie nicht überrascht sein, wenn es plötzlich heisst, passive Massnahmen würden nichts nützen?
Das glaube ich nicht. Das Bild von der Physiotherapie hat sich in den vergangenen Jahren gewandelt, das hat sich auch in einer repräsentativen Umfrage vor gut einem Jahr gezeigt. Die Mehrheit der Bevölkerung weiss, dass es besser ist, Übungen zu machen und sich zu bewegen. Es ist auch wissenschaftlich erwiesen, dass die erwähnten Behandlungen bei bestimmten Krankheitsbildern mittel- und langfristig nicht wirken.
Waren die passiven Behandlungen eher «Wellness-Behandlungen»?
Nein. Vor 30 Jahren, als ich in den Beruf eingestiegen bin, ging man davon aus, dass diese Massnahmen helfen. Deshalb waren diese Behandlungen für die damalige Zeit sinnvoll. Sie waren ja auch nicht völlig wirkungslos, aber man kam damit oft nicht zum gewünschten Ziel. Seither hat sich unser Beruf entwickelt und wir haben eine klare Evidenz darüber, was besser wirkt.
Sind die Patienten bereit dazu, sich anzustrengen, statt passive Behandlungen über sich ergehen zu lassen?
Ich erlebe im Berufsalltag die ganze Bandbreite. Wichtig ist, dass wir mit den Patienten klare Ziele vereinbaren. Wir sind ihre Coaches und unterstützen sie dabei, selbst dafür zu sorgen, dass sie möglichst schnell wieder zurück in ihren gewohnten Alltag gelangen. Ausschliesslich passive Behandlungen führen hingegen dazu, dass die Patienten dabei selbst passiv bleiben, statt ihre Beeinträchtigungen aktiv anzugehen.
Wie hoch schätzen Sie den Anteil der Patienten, welche die Übungen auch zuhause machen?
Das ist schwer zu sagen. Meine Erfahrung zeigt, dass die Bereitschaft steigt, etwas zu tun, je höher der Leidensdruck ist.
Haben Sie Patienten, denen die Übungen zu unbequem oder zu lästig sind oder die keine Zeit dazu haben?
Ja, das gibt es. Solchen Patienten spiele ich den Ball zurück: Ich zeige ihnen auf, was ich ihnen zu bieten habe und dass sie die Wahl hätten, das Angebot anzunehmen. Ich versuche dabei, sie zu Beteiligten zu machen. Die meisten gehen darauf ein.
Wie messen Sie die Wirksamkeit einer Physiotherapie?
Hierzu gibt es verschiedene Möglichkeiten. Etwa mit einem Beweglichkeitstest oder mit dem persönlichen Feedback des Patienten, ob ein gestecktes Ziel erreicht worden ist. Ein Beispiel dafür könnte sein, 30 Minuten schmerzfrei gehen zu können. Als Physiotherapeutin interessiert mich aber auch das Empfinden des Patienten bei der Behandlung. Darum frage ich jeweils: Sind Sie zufrieden mit dem Therapieresultat?
Was versprechen Sie sich von den Top-5?
Dass die Patienten erfahren, wie wirksam Physiotherapie ist und dass es ihre Mitarbeit für die bestmögliche Behandlung braucht. Wir bekennen uns mit der Liste zur evidenzbasierten Medizin, zu Qualitätsbestrebungen und zur Einhaltung der drei Kriterien Wirksamkeit, Zweckmässigkeit und Wirtschaftlichkeit. Es würde mich sehr freuen, wenn dies zu einer verbesserten interprofessionellen Zusammenarbeit unter den medizinischen Berufen führen würde.

Top-5-Liste: Die fünf Empfehlungen von Physioswiss auf einen Blick

  1. Arthrose am Knie oder der Hüfte sollte weder über eine längere Zeit noch ausschliesslich mit passiven Massnahmen behandelt werden.
  2. Isolierte Wärmebehandlungen verbessern Beschwerden des Bewegungsapparats langfristig nicht.
  3. Ultraschall-Behandlungen sind nicht wirksam bei Sehnenerkrankungen der Rotatorenmanschette (Schulter), einem verstauchten Knöchel und Schmerzen im unteren Rücken.
  4. Schmerzen im unteren Rücken sollten nicht über einen längeren Zeitraum ausschliesslich mit passiven Massnahmen behandelt werden.
  5. Nach einer komplikationslosen Kniegelenksersatz-Operation ist eine Behandlung mit einer Motor-Bewegungsschiene (Kinetec-Schiene) nicht notwendig.
Ausführlichen Empfehlungen sowie die Literaturangaben unter www.smartermedicine.ch

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