Die Leute glauben Dr. Google. Aber Dr. KI trauen Sie nicht über den Weg.

Greifen Ärzte auf Künstliche Intelligenz zurück, so stösst dies bei den Patienten auf Widerstand.

, 26. Juli 2024 um 22:06
letzte Aktualisierung: 29. Oktober 2024 um 09:09
image
Quizfrage zum Arzt-Patienten-Verhältnis: Weckt dieser Mediziner Vertrauen – oder eher nicht?  |  Bild: Medinside (done with Midjourney).
Das Vertrauen in die medizinische Kompetenz von KI-Systemen hält sich noch in engen Grenzen. Dies deutet eine Studie an, die zwei Psychologen der Universität Würzburg und ein Mediziner von Pfizer erarbeitet haben. Ihr Test ergab, dass die meisten Menschen misstrauisch werden, wenn sie erfahren, dass eine KI hinter einer medizinischen Empfehlung steht – selbst wenn ein Arzt aus Fleisch und Blut die Verantwortung übernimmt.
Folglich waren die Testpersonen bei KI-unterstützten Entscheidungen auch weniger bereit, dem Rat zu folgen – verglichen mit Empfehlungen, die ausschliesslich auf menschlich-ärztlicher Expertise basierten.
Konkret erhielten in 2’280 Studienteilnehmer identische medizinische Ratschläge. Dabei ging es um Platzangst, Reflux, Rauchstopp und die Frage, ob eine Kolonoskopie angebracht sei. Die Probanden sollten dann die Empfehlungen nach ihrer Verlässlichkeit, ihrer Verständlichkeit und der Empathie bewerten.
  • Moritz Reis, Florian Reis, Wilfried Kunde: «Influence of believed AI involvement on the perception of digital medical advice», in: «Nature Medicine», Juli 2024.
  • doi: 10.1038/s41591-024-03180-7
Der Unterschied: Während die erste Gruppe hörte, dass die Ratschläge von einem Arzt oder einer Ärztin stammte, meinte die zweite Gruppe, ein KI-gestützter Chatbot sei dafür verantwortlich. Die dritte Gruppe wurde im Glauben gelassen, ein menschlicher Arzt habe die Empfehlung unter Zuhilfenahme einer KI erstellt.
«Das Setting unserer Studie ist angelehnt an eine Digital Health-Plattform, auf der Informationen zu medizinischen Fragestellungen eingeholt werden können – also ein Setting, welches mit der zunehmenden Digitalisierung an Relevanz dazugewinnen wird», beschreiben die Autoren ihr Vorgehen.
Dass die Teilnehmer mehrheitlich dem ärztlichen Rat vertrauten und dem Chatbot-Tipp misstrauten – dies war gewiss zu erwarten. Doch selbst das Setting, bei dem ein Arzt oder eine Ärztin den Rat gab, aber dabei die Unterstützung von einer KI einholte, stiess auf mehr Widerstand als die rein menschliche Empfehlung.
Auch in der Kategorie «Empathie» schnitt der ärztliche Rat besser ab als die beiden KI-Varianten. Einzig unter dem Aspekt «Verständlichkeit» zeigten sich kaum Unterschiede zwischen den drei Gruppen.

«Vernachlässigung der Einzigartigkeit»

Das Ergebnis mag überraschen – zumal wenn man bedenkt, wie leichtfertig die Menschheit bereit ist, sich Diagnosen via Google zu beschaffen und darauf zu bauen.
Möglicherweise werde der Einsatz von KI «als ‚entmenschlichend‘ empfunden», schreiben die Autoren. Dahin deute, dass dem ärztlichen Rat mit KI-Unterstützung sogar tiefere Empathie-Werte zugesprochen wurden. «Eine weitere Erklärung für den beobachteten Widerstand gegen KI-generierte medizinische Ratschläge könnte das Phänomen der ‚Vernachlässigung der Einzigartigkeit‘ sein, bei dem Benutzer glauben, dass KI ihre individuellen Merkmale womöglich nicht angemessen berücksichtigt.»
Oder anders: Wenn der Arzt auf KI zurückgreift, dann zeigt er damit auch, dass er die speziellen Besonderheiten des Patienten weniger berücksichtigt – dies könnte hierbei ein wichtiges Gefühl sein.

  • praxis
  • künstliche intelligenz
  • Forschung
Artikel teilen

Loading

Kommentar

Mehr zum Thema

image

Studie: Ein Viertel der Komapatienten versteht, wenn man mit ihnen spricht

Bewusstlos, aber nicht unbewusst: Menschen mit schweren Hirnverletzungen haben wohl häufiger noch kognitive Fähigkeiten als bisher gedacht.

image

Diversity im OP: Ein Frauenanteil von 35 Prozent rettet Leben

Eine weitere Studie zeigt, dass gemischte Anästhesie- und Chirurgie-Teams gut sind für die Qualität.

image
Gastbeitrag von Esther Wiesendanger

Da sind steigende Gesundheitskosten ja nur logisch

Getrennte Apotheken in Gruppenpraxen, Impfverbote in der Pflege, teure Zusatzkontrollen: Groteske Behörden- und Kassenentscheide lähmen die Versorgung. Sind wir Ärzte eigentlich Komiker?

image

Arzt sein mit Sinn – das ist Medbase.

Der ärztliche Beruf verändert sich – und mit ihm die Erwartungen. Viele Ärztinnen und Ärzte suchen heute mehr als nur eine Anstellung: Sie suchen Wirksamkeit, Gestaltungsspielraum und ein Umfeld, das ihre Werte teilt.

image

Für die Zweitmeinung zu Dr. KI? Kein Problem.

Die meisten Menschen können sich vorstellen, medizinischen Rat bei einem Chatbot zu holen. Und eine klare Mehrheit findet, dass die Ärzte KI-Unterstützung haben sollten. Dies besagt eine Erhebung in Deutschland.

image

Hoher Blutdruck? Setzt auf die Apotheker!

Eine Metastudie ging der Frage nach, welche medizinischen Fachleute die nachhaltigste Verbesserung bei Hypertonie-Patienten erreichen.

Vom gleichen Autor

image

Stadtspital Zürich: Neuer Chef für die Innere Medizin

Andreas Schoenenberger wechselt von der Thurmed-Gruppe ans Stadtspital. Er wird damit auch Mitglied der Spitalleitung.

image

Knie- und Hüftimplantate: Immer weniger Folgeeingriffe nötig

Die 2-Jahres-Revisionsraten bei Hüft- und Knieprothesen sinken weiter leicht oder bleiben stabil. Die Daten deuten eine zunehmend einheitliche Versorgungsqualität in der Schweiz an.

image

Mehr Pflegepersonal = weniger Ärzte-Burnout

Eine grosse Erhebung in sieben Ländern zeigt: Dort, wo Pflege stark vertreten ist und Arbeitsumgebungen stimmen, bleiben Ärztinnen und Ärzte länger im Beruf.