In der Schweiz kommt die sogenannte sekundäre Nutzung von Gesundheitsdaten – also ihre Wiederverwendung über den ursprünglichen Behandlungszweck hinaus – kaum vom Fleck. Verantwortlichkeiten sind zersplittert, rechtliche Vorgaben wirken komplex, und viele Institutionen scheuen das Risiko.
Laut Paola Daniore vom
Center for Digital Trust (C4DT) der ETH Lausanne (EPFL) entsteht so eine Negativspirale: Weil Daten nicht geteilt werden, fehlen messbare Nutzenbelege, was die Zurückhaltung zusätzlich verstärkt.
Die Folgen könnten gravierend sein: Ohne nationale Strategie drohen steigende Kosten im ohnehin teuren Gesundheitssystem, ein Rückstand bei Innovationen im Vergleich zu Nachbarländern sowie die Abwanderung klinischer Forschung ins Ausland.
Der Report der EPFL-Wissenschaftlerin stellt sechs konkrete Schritte vor. Im Zentrum stehen eine gemeinsame Vision, klare politische Rahmenbedingungen und finanzielle Anreize, damit Institutionen Daten bereitstellen. Ebenso wichtig sei die bessere Nutzung bestehender Metadaten-Register, die Entwicklung von praxistauglichen Richtlinien zur Risikobewertung sowie eine konsequente Verknüpfung von Datennutzung und Datenschutz.
In sechs Schritten raus aus der Negativspirale
- Gemeinsame Vision für die Sekundärnutzung entwickeln.
- Nutzen kommunizieren – gesellschaftlich, klinisch, wirtschaftlich.
- Finanzielle Anreize/Sanktionen setzen, damit Daten bereitgestellt werden.
- Bestehende Metadaten-Register nutzen und speisen (Findbarkeit erhöhen).
- Risikobewertung leiten: praxistaugliche Guidelines für Institutionen.
- Datennutzung mit Datenschutz verbinden – klare Regeln, technische Garantien.
Für Spitäler und Forschungseinrichtungen bedeutet das, vorhandene Datensätze systematisch auffindbar zu machen und standardisierte Zugriffsregeln zu etablieren. Politik und Behörden müssten parallel die Koordination übernehmen und einen Teil der Kosten tragen.
Politik & Bund/Kantone sollten Koordinationsrolle stärken (Bsp.: Swiss Health Data Space/Digisanté), Kosten der Datenbereitstellung mitfinanzieren, einheitliche Governance und Sanktionsmechanismen festlegen.
Auch Versicherer könnten einen Beitrag leisten, indem sie anonymisierte Daten für Präventionsanalysen nutzbar machen – allerdings nur bei klaren Regeln zum Schutz vor Risikotarifierung. Und schliesslich braucht es transparente Einwilligungsprozesse, damit auch die Bevölkerung ihre Daten gezielt für das Gemeinwohl freigeben kann.
«Quick Wins» identifizieren
Der Report betont, dass sich die Blockade nicht nur mit langfristigen Strategien lösen lässt, sondern auch mit kurzfristig erreichbaren Fortschritten. Solche «Quick Wins» liegen vor allem dort, wo Daten bereits in hoher Qualität vorhanden sind und mit überschaubarem Aufwand für die Sekundärnutzung geöffnet werden könnten. Beispiele sind Laborwerte, Radiologie-Befunde oder standardisierte Medikationsdaten, die routinemässig in Spitälern erfasst werden.
Beispiele nutzbarer Gesundheitsdaten. Quelle: C4DT Insight #4 | September 2025.
Ein zentrales Hindernis sei weniger die Technik als die Sichtbarkeit: Oft wissen Institutionen nicht einmal voneinander, welche Daten verfügbar wären. Hier könnten bestehende Metadaten-Register – etwa beim Bundesamt für Statistik oder beim Swiss Personalized Health Network – helfen, wenn sie systematisch mit Informationen gespeist würden.
Der Report empfiehlt, zunächst genau diese Transparenz herzustellen und verbindliche Anreize zum Mitmachen zu schaffen. So liessen sich bereits mit geringem Aufwand nutzbare Datensätze für Forschung, Prävention und Qualitätsverbesserung gewinnen.
Somit hätte die Sekundärnutzung von Gesundheitsdaten einen direkten Nutzen für das Gesundheitssystem. Denn: Daten erlauben es, Krankheitsrisiken früh zu erkennen und Präventionsprogramme gezielt einzusetzen. Sie schaffen die Grundlage für Value-Based Healthcare, bei dem Qualität statt Quantität belohnt wird. Gleichzeitig können Forschung und klinische Studien schneller und kostengünstiger durchgeführt werden.