Der Beitrag, soeben im «Journal of the American Medical Association» erschienen, zeigt eigentlich nur gewisse Möglichkeiten heutiger Gentechnologie auf: Er listet auf, welche Möglichkeiten des «Carrier-Screening» derzeit zur Verfügung stehen, also von Tests, um genetische Abnormalitäten zu erkennen, welche wiederum vererbbare Krankheiten nach sich ziehen (können).
Es geht also darum, rezessive Allele beziehungsweise Genvarianten zu erkennen, die bei einem oder beiden Elternteilen vorhanden sind und die Gefahr bergen, dass das Kind eine schwere Krankheit daraus entwickeln wird.
Prätest des Pränatal-Tests
Die Publikation, erarbeitet von Genforschern des DNA-Testlabors
Counsyl und der Columbia University in New York, stellt also fest, dass es derzeit möglich ist, bei bis zu 94 zusätzlichen Erkrankungen das Risiko der Eltern zu erkennen beziehungsweise eine heikle Genvariation festzustellen. Wichtig ist dabei das Wörtchen
zusätzlich: Bekanntlich kann (und wird) das Carrier-Screening vereinzelt schon mit einer gewissen Regelmässigkeit eingesetzt, beispielsweise um die die Tendenz zu Mukoviszidose zu erkennen.
Was sich hier aber vor allem zeigt, ist weitere Verlagerung nach vorne in grossem Stil. Erst gab es Pränatal-Tests, bei der fetale Zellen verwendet wurden. Dann wird es in immer mehr Fällen möglich, Genmutationen im mütterlichen Blut zu erkennen (in Deutschland rollt jetzt gerade
die Debatte an, ob der Praena-Test zur Bestimmung von fetalen Trisomien krankenkassenpflichtig werden soll). Und hier erscheint der Prae-Test des Praenatal-Tests: Eltern lassen sich auf ihr Risiko testen – und das bei Dutzenden dereinst möglichen Befunden.
Der Beitrag im JAMA zeigt hauptsächlich auf, wie häufig die erfassbaren 94 Mutationen in den einzelnen Bevölkerungsgruppen der USA verbreitet sind; Grundlage dafür waren die Daten von knapp 350'000 Personen. Danach sind beispielsweise in der hispanischen Bevölkerung 95 von 100'000 Föten von einer schweren vererbbaren Krankheit bedroht, während die Zahl bei nordeuropäischen Paaren gut 55 erreicht.
«DNA Screening for the important moments in life»
Bemerkenswert ist dabei einerseits, dass hier Vertreter einer auf solche Tests spezialisierten Firma im «Journal of the American Medical Society» die erweiterte Anwendbarkeit beschreiben: «DNA Screening for the important moments in life», so der Slogan von Counsyl. Wobei die Autoren dann in der Conclusion festhalten, dass eine Ausweitung von Carrier Screenings im Vergleich zu den derzeit gültigen Standards helfen könnte, «potentially serious genetic conditions» zu erkennen.
Und dass es gerechtfertigt sein könnte, bei gewissen Bevölkerungsgruppen solch eine Ausweitung vorzunehmen.
In den USA ist es immer noch so, dass die Ärztegesellschaften solche Tests bloss befürworten, wenn es um sehr schwere chronische Krankheiten geht; wenn klare Positivaussagen durch Trägerscreenings möglich sind (also wirklich eine grosse Gefahr besteht, dass die fatale Variation vererbt sind); und wenn drittens ein unkomplizierter und zugleich akkurater Test zur Verfügung steht.
Es gibt genügend andere Risiken zu beachten
Und so mahnt auch das
Editorial der aktuellen JAMA zu Vorsicht. Der Genforscher Wayne W. Grody von der UCLA nimmt gleich einleitend die Gegenposition ein und warnt vor einer Ausweitung der Eltern-Tests. «Paare in Erwartung müssen viele andere Punkte beachten (ob zur Genetik, zur Geburtshilfe oder psychosoziale Fragen), die substanziell wichtiger sind und mehr Risiken in sich tragen.»
Klar wird also: Erweiterte Carrier Screenings haben problematische gesellschaftliche Implikationen und stellen heikle Fragen in den Raum – etwa wie die zu testenden Krankheiten auszuwählen sind. Die Kernfrage der nächsten Jahre dürfte debei lauten: Ist die Verbreitung solcher Screenings unvermeidbar?