Mathias Binswanger (1962) ist Professor für Volkswirtschaftslehre an der Fachhochschule Nordwestschweiz und Privatdozent an der Universität St. Gallen. Er ist Autor von zahlreichen Büchern und Artikeln; im Jahr 2010 erschien etwa das Buch «Sinnlose Wettbewerbe - Warum wir immer mehr Unsinn produzieren». Binswanger gehört seit Jahren zu den einflussreichsten Ökonomen der Schweiz und wurde 2019 am öftesten von Politikern als Inspirationsquelle genannt.
Seit Ausbruch der Corona-Krise stellen sich viele Menschen immer wieder die Frage: Wieso werden die Tätigkeiten schlecht entlohnt, auf die wir am meisten angewiesen sind? Zum Beispiel Kita-Mitarbeitende oder Berufe in der Krankenpflege? Der Schweizer Ökonom Mathias Binswanger liefert auf diese Frage eine schlüssige Antwort.
In «systemrelevanten» Berufen wie in der Pflege, so Binswanger in der NZZ, werde manuell gearbeitet. Es gibt kein Home-Office. Die Herstellung sei arbeitsintensiv und in einem hochentwickelten Land mit relativ hohen Lohnkosten deshalb teuer. Solche Tätigkeiten müssten zudem vor Ort bleiben und liessen sich nur bedingt automatisieren oder digitalisieren. Deshalb sind solche «nützliche» Jobs laut Binswanger einer zunehmend härter werdenden globalen Konkurrenz ausgesetzt.
Konkurrenz ist gross
In Pflegeberufen entstehe die Konkurrenz zudem auf dem Arbeitsmarkt, wo Arbeitskräfte aus Ländern mit tieferen Löhne in die Schweiz drängten. Die internationale Konkurrenz auf dem Arbeitsmarkt ist Binswanger zufolge aber auch deshalb so gross, weil die Anforderungen an die Qualifikation meist gering sind, was den Einstieg zusätzlich vereinfacht.
Und Anstrengungen, tiefe Löhne durch die Einführung neuer Qualifikationen anzuheben, helfen Besserqualifizierten zwar zu höheren Löhne. Doch die ständige Ausdehnung der Qualifikationsstufen führe letztlich zu einer «Verteuerung systemrelevanter Leistungen», schreibt der bekannte Ökonom. Der Grund: Dem steigenden Anteil an besser qualifizierten Arbeitskräften würden höhere Löhne bezahlt. Somit steige bei den weniger gut qualifizierten Tätigkeiten der Lohndruck, wo man erst recht versuche, zu sparen und möglichst billige Arbeitnehmende einzustellen.
Von der Patientenfront in die Bürokratie
Hinzu komme, dass die Höherqualifizierten in Wirklichkeit Teil der wachsenden Gesundheits- oder Sozialbürokratie werden, erklärt der Ökonomie-Professor den «Teufelskreis» der schlechten Bezahlung. «Während die Pflegehelferinnen weiterhin mit kärglichem Lohn an der Patientenfront tätig sind, werden für neu entstandene Tätigkeiten wie Gesundheitsberaterin, Gesundheitsmanagerin oder Fachreferentin für medizinisches Versorgungswesen deutlich bessere Löhne bezahlt.»
Diese übernehmen dann, so der Ökonom weiter, keine systemrelevanten Tätigkeiten mehr. Der Professor für Volkswirtschaftslehre erklärt diesen Mechanismus am Beispiel der Aufspaltung des früheren Berufs der «Krankenschwester». Durch das Hochschrauben der Bildungsanforderungen fördert man laut Binswanger keine bessere Entlohnung der systemrelevanten Berufe, sondern bloss den Ausbau der Bürokratie.