Warum Pflegeberufe schlecht bezahlt werden

Die ständige Ausdehnung der Qualifikationen in den Pflegeberufen führt letztlich nur zu einer Verteuerung der Leistungen. Dies sagt der bekannte Ökonom Mathias Binswanger.

, 12. Mai 2020 um 07:51
image
  • pflege
  • spital
  • ausbildung
image
Mathias Binswanger (1962) ist Professor für Volkswirtschaftslehre an der Fachhochschule Nordwestschweiz und Privatdozent an der Universität St. Gallen. Er ist Autor von zahlreichen Büchern und Artikeln; im Jahr 2010 erschien etwa das Buch «Sinnlose Wettbewerbe - Warum wir immer mehr Unsinn produzieren». Binswanger gehört seit Jahren zu den einflussreichsten Ökonomen der Schweiz und wurde 2019 am öftesten von Politikern als Inspirationsquelle genannt.
Seit Ausbruch der Corona-Krise stellen sich viele Menschen immer wieder die Frage: Wieso werden die Tätigkeiten schlecht entlohnt, auf die wir am meisten angewiesen sind? Zum Beispiel Kita-Mitarbeitende oder Berufe in der Krankenpflege? Der Schweizer Ökonom Mathias Binswanger liefert auf diese Frage eine schlüssige Antwort.
In «systemrelevanten» Berufen wie in der Pflege, so Binswanger in der NZZ, werde manuell gearbeitet. Es gibt kein Home-Office. Die Herstellung sei arbeitsintensiv und in einem hochentwickelten Land mit relativ hohen Lohnkosten deshalb teuer. Solche Tätigkeiten müssten zudem vor Ort bleiben und liessen sich nur bedingt automatisieren oder digitalisieren. Deshalb sind solche «nützliche» Jobs laut Binswanger einer zunehmend härter werdenden globalen Konkurrenz ausgesetzt.

Konkurrenz ist gross

In Pflegeberufen entstehe die Konkurrenz zudem auf dem Arbeitsmarkt, wo Arbeitskräfte aus Ländern mit tieferen Löhne in die Schweiz drängten. Die internationale Konkurrenz auf dem Arbeitsmarkt ist Binswanger zufolge aber auch deshalb so gross, weil die Anforderungen an die Qualifikation meist gering sind, was den Einstieg zusätzlich vereinfacht.
  • Warum systemrelevante Berufe schlecht bezahlt werden. Mathias Binswanger in: «Neue Zürcher Zeitung». 
Und Anstrengungen, tiefe Löhne durch die Einführung neuer Qualifikationen anzuheben, helfen Besserqualifizierten zwar zu höheren Löhne. Doch die ständige Ausdehnung der Qualifikationsstufen führe letztlich zu einer «Verteuerung systemrelevanter Leistungen», schreibt der bekannte Ökonom. Der Grund: Dem steigenden Anteil an besser qualifizierten Arbeitskräften würden höhere Löhne bezahlt. Somit steige bei den weniger gut qualifizierten Tätigkeiten der Lohndruck, wo man erst recht versuche, zu sparen und möglichst billige Arbeitnehmende einzustellen.

Von der Patientenfront in die Bürokratie

Hinzu komme, dass die Höherqualifizierten in Wirklichkeit Teil der wachsenden Gesundheits- oder Sozialbürokratie werden, erklärt der Ökonomie-Professor den «Teufelskreis» der schlechten Bezahlung. «Während die Pflegehelferinnen weiterhin mit kärglichem Lohn an der Patientenfront tätig sind, werden für neu entstandene Tätigkeiten wie Gesundheitsberaterin, Gesundheitsmanagerin oder Fachreferentin für medizinisches Versorgungswesen deutlich bessere Löhne bezahlt.»
Diese übernehmen dann, so der Ökonom weiter, keine systemrelevanten Tätigkeiten mehr. Der Professor für Volkswirtschaftslehre erklärt diesen Mechanismus am Beispiel der Aufspaltung des früheren Berufs der «Krankenschwester». Durch das Hochschrauben der Bildungsanforderungen fördert man laut Binswanger keine bessere Entlohnung der systemrelevanten Berufe, sondern bloss den Ausbau der Bürokratie.
Artikel teilen

Loading

Comment

Mehr zum Thema

image

Die digitalisierte Patient Journey in der Lindenhofgruppe

Die digitale Patient Journey ist in Schweizer Spitälern etabliert. Sie erleichtert Patient:innen die Planung, Vorbereitung und Begleitung rund um den Spitalaufenthalt und entlastet das medizinische Personal – besonders bei psychisch belastenden Situationen im Vorfeld.

image

Pflegepersonal ist zufriedener – obwohl es mehr Arbeit hat

Wer redet da dauernd von Notstand? Angestellte in der Pflege äussern sich zunehmend positiv zu ihrer Arbeit. Auch wenn die Belastung steigt.

image

Ist das noch Pflege oder ist es Bildschirmarbeit?

Das Luzerner Kantonsspital investiert in die virtuelle Pflege – in die Patientenbetreuung am Computer. Nicht alle Pflegefachleute freut das.

image

USZ: Neuer Bereichsleiter der stationären Pflege

Oliver Röpke übernimmt Anfang Juni 2025 die Leitung der stationären Pflege am Universitätsspital Zürich.

image

Förderung der Pflegeausbildung: Ein Vergleich der Kantone

Die Pflegeinitiative ist beschlossen – und bei der Umsetzung regiert der Föderalismus. Eine neue Übersicht zeigt, wie sich die Beiträge zur Ausbildung kantonal unterscheiden.

image

Pflege im Fokus: Zentralschweizer Spitäler starten Video-Kampagne

Die Spitäler der Zentralschweiz lancieren eine Video-Kampagne, in der Pflegende selbst Regie führen.

Vom gleichen Autor

image

Arzthaftung: Bundesgericht weist Millionenklage einer Patientin ab

Bei einer Patientin traten nach einer Darmspiegelung unerwartet schwere Komplikationen auf. Das Bundesgericht stellt nun klar: Die Ärztin aus dem Kanton Aargau kann sich auf die «hypothetische Einwilligung» der Patientin berufen.

image

Studie zeigt geringen Einfluss von Wettbewerb auf chirurgische Ergebnisse

Neue Studie aus den USA wirft Fragen auf: Wettbewerb allein garantiert keine besseren Operationsergebnisse.

image

Warum im Medizinstudium viel Empathie verloren geht

Während der Ausbildung nimmt das Einfühlungsvermögen von angehenden Ärztinnen und Ärzten tendenziell ab: Das besagt eine neue Studie.