Blut wird entnommen, eine Impfung verabreicht, Ohren werden untersucht: Dass Kleinkinder gegen ihren Willen von Eltern und Kinderarzt festgehalten und untersucht werden, ist unumgänglich. Aber sobald die Kinder grösser werden, stellt sich die Frage, inwieweit sie in medizinische Entscheide einbezogen werden sollen.
Die
American Academy of Pediatrics leistet dazu nun einen Diskussionsbeitrag. Die Standesorganisation hat jüngst eine Grundsatzerklärung
(Policy Statement) mit Richtlinien über den Umgang mit Kindern in der medizinischen Entscheidungsfindung veröffentlicht.
Moralisches Bewusstsein fördern
Die Richtlinien legen nahe, dass Kinder ab sieben Jahren über medizinische Behandlungen informiert, über ihre Bedürfnisse befragt und in die Diskussionen einbezogen werden sollten.
Wird das Kind gewissenhaft informiert, kann dies sein moralisches Bewusstsein und die Entwicklung der Persönlichkeit und seiner Unabhängigkeit fördern. Für Ärzte und Eltern bedeutet es umgekehrt, dass sie sich mehr Zeit für Diskussionen mit den kleinen Patienten nehmen und sich vermehrt auf sie einlassen müssen.
Aviva Katz hat die
Policy für die American Academy of Pediatrics mitverfasst. Sie ist Kinderchirurgin und Direktorin des Ethics Consultation Service am Kinderspital Pittsburgh. Gegenüber der
New York Times betont sie, dass die Richtlinien auf neusten neurowissenschaftlichen Erkenntnissen basierten.
Medizinische Reife des Kindes fördern
Danach sollte es das Ziel des Kinderarztes und der Eltern sein, im kleinen Patienten die Entscheidungsfreude zu wecken und seine Autonomie zu fördern, damit es bei Erreichen des Erwachsenenalters die Komplexität von medizinischen Entscheiden nachvollziehen und mit Behandlungen umgehen kann.
«Niemand erwartet von einem Jugendlichen, dass er ohne Autofahrstunden Auto fährt», so Katz, «aber warum sollte jemand im Alter von 18 komplexe medizinische Entscheide treffen können, wenn er es nie gelernt hat?»
Kinder sollen nicht das letzte Wort haben
Das Kind einbeziehen heisst aber nicht, dass es das letzte Wort haben darf. Seine Meinung wird respektiert und in die Entscheidung mit einbezogen, aber der Entscheid für oder gegen eine Behandlung obliegt immer dem Arzt und den Eltern.
Auch muss dem Kind bei lebensbedrohlichen Krankheiten klar gemacht werden, dass es tödliche Konsequenzen haben kann, wenn es eine Behandlung verweigert. In diesem Fall muss das Kind wissen, dass eine Weigerung nicht toleriert wird. Aviva Katz verweist auf Studien, wonach der Einbezug von Patienten in die medizinische Strategie die Heilung fördert.
Autonom entscheiden
In der Erklärung der amerikanischen Pädiater werden auch Situationen genannt, in denen die volle Entscheidungsgewalt bei den Jugendlichen liegen soll. Darunter fallen Behandlungen zur sexuellen Gesundheit, Verhütung, geistigen Gesundheit oder zum Drogenentzug. Die Idee dahinter: Wenn die Jugendlichen bei diesen Themen zuerst diskutieren müssen, wollen sie sich lieber gar nicht behandeln lassen.