Verhafteter Aargauer Arzt in der Psychiatrie

Der Fall des coronaskeptischen Arztes aus dem aargauischen Wettingen wirft einige Fragen auf.

, 16. April 2020 um 06:44
image
  • ärzte
  • kanton aargau
  • coronavirus
Am Ostersamstag wurde im Kanton Aargau ein 58-jähriger Arzt in seiner Praxis verhaftet, wie auch Medinside berichtete. Seitdem befindet sich der Kardiologe in einer geschlossenen Abteilung in der Psychiatrie Königsfelden, angeordnet als fürsorgerische Unterbringung. Dies kommt vor, wenn jemand eine Gefahr für sich selbst oder für Drittpersonen darstellen könnte.
Der «mutmasslich psychisch labile Mann» verbreitete laut der Mitteilung der Polizei «Drohungen gegen Angehörige und Behörden». Die Strafverfolgungsbehörde musste zudem intervenieren, weil der Kardiologe eine Waffe besitzt. Er sieht dies allerdings anders. Aus der Psychiatrie hält der Arzt auf Twitter fest: «Man konnte mir heute bei der endlich erfolgten Einvernahme keine ‹Drohung› von mir zeigen». Die in seiner Wohnung sichergestellte Waffe stamme aus seiner Zeit im Militär, offenbar ohne Munition, schreibt er auf Facebook.

Verhaftung von Regierungsrat veranlasst?

Die «Weltwoche» berichtet zudem, dass aus dem elfseitigen Einvernahmeprotokoll nicht hervorgehe, worin die Bedrohungen konkret bestehen, die zu seiner Verhaftung führten. Und es brauche eine gehörige Portion Fantasie, um eine Drohung in die vorgelegten polemischen Tweets und Facebook-Botschaften hineinzudeuten. 
Gemäss Recherchen des Wochenmagazins kam der Auftrag zur Verhaftung zudem von Markus Dieth persönlich, Aargauer Regierungsrat und offenbar ein langjähriger Freund und Rotary-Kollege des Kardiologen. Er habe die Verhaftung aber keineswegs selber veranlasst, sagt Dieth zur «Aargauer Zeitung». Der Landamman erhielt von einer Drittperson eine «ernstzunehmende Meldung auf Selbst- oder Drittgefährdung», wie er gegenüber der Zeitung weiter sagt. Deshalb habe er im Sinne seiner Meldepflicht die Strafverfolgungsbehörden kontaktiert.

Freidenker oder Tendenz zu Verschwörungstheorien?

Der nicht unumstrittene Arzt mit Praxis in Wettingen hatte sich vor seiner Verhaftung auf Social-Media-Kanälen und Blogs immer wieder zur aktuellen Coronavirus-Pandemie geäussert. Zum Beispiel, dass Corona eine harmlose Grippe sei. Die meisten seiner Einträge sorgen für Diskussionen: Zum Beispiel sieht er einen direkten Zusammenhang zwischen Corona und der 5G-Strahlung aus dem neuen Mobilfunkstandard: «Diese Sars-CoV-2-Schein-Pan​​​​​​​​​​​​​​​​​​​dem​i​e​ ist in der Realität eine 5G-Pandemie». Es finden sich aber auch Einträge wie: «Armee, Polizei, Feuerwehr, schaut sofort wie es Euren Regierungen und den Anstalten der Massenmedien geht und sonst, liebe Bürger, raus, Waffe laden und helfen wir Ihnen!»
Viele offene Fragen müssen noch geklärt werden. Es ist aber wahrscheinlich, dass gewisse Äusserungen des Kardiologen auf gesundheitliche Einschränkungen hindeuten könnten. Im Einvernahmeprotokoll soll denn auch von «Wahnvorstellungen bzgl. Covid-19» und «psychischer Ausnahmezustand» die Rede sein. Es gibt aber auch viele Menschen, die sich mit ihm solidarisieren: Die Behörden hätten ihn wegen seiner skeptischen Haltung zu Corona weggesperrt, wird etwa kritisiert. Das ist falsch, wie die Staatsanwaltschaft gegenüber den Medien festhält. Die kritische Haltung des Beschuldigten zu den Coronamassnahmen des Bundes hatte keinen Einfluss auf den Entscheid, den Mann festnehmen zu lassen.

Wird in die ambulante Betreuung entlassen

Über seinen Anwalt Markus Leimbacher verlangt der 58-jährige Aargauer Arzt nun die sofortige Freilassung, wie er direkt aus der Psychiatrie auf Social Media schreibt. Wie lange der Mann aus dem Bezirk Baden, der auch medizinischer Leiter des Regionalen Führungsorgans Wettingen-Limmattal (RFO) ist, in der psychiatrischen Klinik bleiben muss, hängt jetzt von den behandelnden Ärzten ab.   
Der Arzt teilt am Freitag auf Facebook und Twitter mit, er werde noch vor dem Wochenende in die ambulante Betreuung entlassen. Er bedankt sich bei seinen Verbündeten für die Unterstützung und hält fest: «Auch wenn Ihr wisst, dass SARS-CoV-2 (vordergründig) ein harmloses Corona-Erkältungsvirus ist, sind die behördlichen Vorgaben selbstverständlich zu befolgen.»  
Artikel teilen

Loading

Comment

2 x pro Woche
Abonnieren Sie unseren Newsletter.

oder

Mehr zum Thema

image

Der Erfinder des Ledermann-Implantats ist tot

Er war ein bekannter Implantologe, später auch Hotelier und Schriftsteller. Nun ist Philippe Daniel Ledermann 80-jährig gestorben.

image

«Hört auf mit dem Begriff ‚Long Covid‘»

Natürlich gibt es das Syndrom. Aber laut einer neuen Studie unterscheidet es sich nicht von anderen postviralen Leiden.

image

Ärzte in der Krise: Immer mehr suchen Unterstützung

Zu viel Arbeit, Burn-Out, Angst, Selbstzweifel und Depression: Das sind die fünf Hauptgründe für Ärzte und Ärztinnen, sich Hilfe bei der Remed-Hotline zu holen.

image

Berner Zeitungen verletzten Privatsphäre einer Ärztin

Ein Artikel in den Berner Medien enthielt zu viele Details über eine verurteilte Ärztin. Der Pressrat gab deshalb den Universitären Psychiatrischen Diensten Bern (UPD) recht.

image

EPD: Verschnaufpause für Ärztinnen und Ärzte

Die Anschlusspflicht für Ärztinnen und Ärzte ans EPD soll erst mit der grossen Revision eingeführt werden.

image

USA: Milliardärin befreit Medizinstudenten von Studiengebühren

Am Albert Einstein College of Medicine in New York lernen die Medizinstudenten ab sofort gratis. Dank einer Milliardenspende.

Vom gleichen Autor

image

Arzthaftung: Bundesgericht weist Millionenklage einer Patientin ab

Bei einer Patientin traten nach einer Darmspiegelung unerwartet schwere Komplikationen auf. Das Bundesgericht stellt nun klar: Die Ärztin aus dem Kanton Aargau kann sich auf die «hypothetische Einwilligung» der Patientin berufen.

image

Studie zeigt geringen Einfluss von Wettbewerb auf chirurgische Ergebnisse

Neue Studie aus den USA wirft Fragen auf: Wettbewerb allein garantiert keine besseren Operationsergebnisse.

image

Warum im Medizinstudium viel Empathie verloren geht

Während der Ausbildung nimmt das Einfühlungsvermögen von angehenden Ärztinnen und Ärzten tendenziell ab: Das besagt eine neue Studie.