Das Stillverhalten von Ärztinnen beeinflusst laut Nelya Melnitchouk auch den Stillstatus bei Patientinnen | Brigham and Women's Hospital
Ein Team um die Ärztin Nelya Melnitchouk von der Harvard Medical School und dem
Brigham and Women's Hospital in Boston hat eine nicht alltägliche Umfrage in einer Social-Media-Gruppe für Ärztinnen durchgeführt. Insgesamt nahmen daran mehr als 2'350 US-Medizinerinnen mit Kindern teil.
Fast die Hälfte der Ärztinnen gaben an, früher als geplant mit dem Stillen aufgehört zu haben. Der Grund: Das Stillen war mit dem Medizinerjob schlicht nicht vereinbar. Nur gerade über ein Viertel der Befragten sagten, dass sie ihr persönliches Ziel für die Dauer des Stillens erreicht haben.
Im Auto Milch abpumpen
Die häufigsten Barrieren für das weitere Stillen waren: zu wenig Zeit zum Abpumpen während der Arbeit und ein unflexibler Terminplan – gefolgt von Platzmangel.
Die meisten Ärztinnen verwendeten Milchpumpen in ihrem eigenen Büro, knapp jede fünfte Frau nutzte Stillräume. Der Rest pumpte in Bereitschaftsräumen ab (13 Prozent), im Auto (14 Prozent) oder in leeren Patientenzimmern (21 Prozent).
Mit gutem Beispiel vorangehen
«Als Ärzte wird uns beigebracht, mit gutem Beispiel voranzugehen. Mit entgegenkommenden Arbeitsplatzeinrichtungen können wir anfangen, das Stillen zu unterstützen», sagt Melnitchouk
der Nachrichtenagentur «Reuters». Diese Vorbildfunktion habe zugleich Einfluss auf die Patientinnen. Es ist ihr zufolge erwiesen, dass das Stillverhalten von Ärztinnen mit dem Stillen bei Patientinnen korreliere und so den Stillstatus erhöhe.
Die aktuelle Studie war zwar kein kontrolliertes Experiment, das die Auswirkungen des Arbeitsplatzes auf das Stillen untersuchte. Dennoch sei ein längerer Mutterschaftsurlaub, die Anpassung von Zeitplänen für das Abpumpen und mehr Platz klar mit längerem Stillen bei Ärztinnen verbunden, so Melnitchouk.
Die Situation in Schweizer Spitälern
Medinside hat bei drei Universitätsspitälern nachgefragt, ob das Stillen für eine Ärztin gut vereinbar sei. «Das Stillen ist ohne Zweifel eine Herausforderung im intensiven Arbeitsalltag einer Ärztin», sagt Mediensprecher Thomas Pfluger vom Universitätsspital Basel (USB). Das USB unterstütze stillende Mitarbeitende mit speziellen Massnahmen. In Basel haben gemäss Arbeitszeitreglement stillende Ärztinnen Anspruch auf die erforderliche Zeit für das Stillen oder das Abpumpen während der Arbeitszeit. Im ersten Lebensjahr des Kindes wird die effektive Stillzeit wie folgt der Arbeitszeit angerechnet:
- bei einer täglichen Arbeitszeit bis zu 4 Stunden: mindestens 30 Minuten
- bei einer Arbeitszeit von mehr als 4 Stunden: mindestens 60 Minuten
- bei einer Arbeitszeit von mehr als 7 Stunden: mindestens 90 Minuten
Das Basler Unispital gewährt zudem 16 Wochen Mutterschaftsurlaub, also mehr als das Obligatorium. Den stillenden Frauen stehe darüber hinaus ein eigens eingerichteter Still- und Ruheraum zur Verfügung.
Aus Sicht des Universitätsspital Zürich (USZ) ist Stillen für Ärztinnen grundsätzlich gut mit dem Job vereinbar. «Je nach Arbeitsplatz und Funktion sind individuelle Lösungen angezeigt», sagt Personaldirektor Rolf Curschellas. Er nennt als Beispiel die USZ-eigenen KiTa oder auch Ruheräume. Spezielle Arbeitsplatzrichtlinien – insbesondere zum Abpumpen – kennt das USZ nicht.
Auch für die Berner Insel Gruppe ist der Mutterschutz zentral. Bei einem Frauenanteil von 75 Prozent und fast 400 Schwangerschaften pro Jahr sei es unerlässlich, dass schwangere Mitarbeiterinnen sicher und unter optimal angepassten Arbeitsbedingungen möglichst bis zur Geburt arbeiten können, heisst es auf Anfrage. «Auch den speziellen Bedürfnissen während der Stillzeit soll ausreichend Rechnung getragen werden», sagt Mediensprecherin Monika Kugemann. So stehe es Arbeitnehmerinnen zu, die nötige Zeit für das Stillen oder Abpumpen in Anspruch zu nehmen. Die Dauer richte sich nach der täglichen Arbeitszeit und sei in den Anstellungsbedingungen geregelt. «Geeignete Rückzugsmöglichkeiten fürs Stillen und Abpumpen werden mit den Vorgesetzten besprochen und zur Verfügung gestellt», so Kugemann weiter.