Spitaldirektor war nicht einen einzigen Tag im Homeoffice

Der Chef des Spitalzentrums Oberwallis spricht über die Belastung des Spitalpersonals während Corona, über Lohnerhöhung und über die angebliche coronabedingte Kündigungswelle.

, 25. Mai 2021 um 08:30
image
Die Arbeitsbelastung für das Spitalpersonal im Spitalzentrum Oberwallis (SZO) war während der Corona-Pandemie sehr unterschiedlich – wie in allen andere Spitälern je nach Abteilung. Viele erfahrene Mitarbeitende sahen sich aber plötzlich täglich mit sehr schwer kranken und vielen sterbenden Menschen konfrontiert, sagt Hugo Burgener in einem Interview mit der Zeitung «Walliser Bote». Er ist überzeugt: Zahlreiche Mitarbeitende verarbeiten noch heute diese enorm schwierigen Erfahrungen. 
Schwierige Abschiedsprozesse hätten nicht nur bei den Angehörigen zu tiefen Wunden geführt. Auch für das Spitalpersonal war es eine ganz neue und sehr befremdliche Erfahrung, dass die Familie und die Angehörigen bei der Pflege oder auch beim Sterben ihres Nächsten nicht oder nur sehr kurz anwesend sein durften, so Burgener. 

Verschiedene Berufe seien zusammengewachsen

Der promovierte Ökonom selbst war während der gesamten Corona-Zeit nicht einen einzigen Tag zu Hause im Homeoffice. In einem Umfeld, wo über 90 Prozent aller Leistungen direkt vor Ort erbracht würden, sei es selbstverständlich, dass der oberste Chef jeden Tag an der Front sei. Um die Bedürfnisse und Probleme der Mitarbeitenden sowie Patienten zu spüren und bei der Lösungssuche zu unterstützen, sagt er. 
Generell waren die ersten zwei Corona-Wellen für das Kaderteam gemäss Burgener eine «unglaubliche Belastung». Man habe während Monaten am Tag und in der Nacht, werktags und am Wochenende gearbeitet. Und niemand habe dafür auch nur eine Minute Überzeit geschrieben. «Während dieser Zeit sind aber die verschiedenen Berufe der Pflege, Ärzte und Verwaltung stärker denn je zusammengewachsen», sagt Burgener, früher Stellvertretender Chef der Walliser Dienststelle für Gesundheitswesen.

Flexible Arbeitsformen statt Lohnerhöhung 

Die täglichen Stresssituationen vor, während und nach Corona können allerdings nicht mit einer Lohnerhöhung ausgeglichen werden, wie er der Zeitung weiter sagt. «Jede und jeder von uns möchte grundsätzlich genug oder lieber noch mehr verdienen.» Der Fokus des Spitals liege dementsprechend viel mehr bei der Ausgestaltung von modernen Arbeitsmodellen: unbezahlter Urlaub, Teilzeitarbeitsmodelle, Jahresarbeitszeiten und Sabbaticals – oft auch als Mischungen.
Heute seien sechsmonatige Urlaube, um wieder mal richtig zur Ruhe zu kommen und um eventuell auf einer fernen Reise sich selbst wiederzufinden, sehr häufig. Für solch lange Absenzen haben das SZO unter anderem einen «Springer-Pool» geschaffen. Denn Mitarbeitende, die nach solch einem Unterbruch wieder ausgeglichen und mit Freude zur Arbeit kommen, stellen einen riesigen Gewinn für die Patienten dar, wie der ehemalige Unternehmensberater bei Arthur Andersen sagt. 

Keine coronabedingte Kündigungswelle

Der 49-jährige Spitaldirektor stellt am Spitalzentrum Oberwallis ferner weder einen Pflegenotstand noch eine coronabedingten Kündigungswelle fest. Eine detaillierte Analyse der Personalfluktuation zeige, dass im Jahr 2020 die monatliche Fluktuationsrate bei 0,8 Prozent liege. Dies ergebe gegenüber den Vorjahren nicht die geringste Erhöhung. Im laufenden Jahr 2021 sei diese Fluktuationsrate sogar leicht gesunken – auf 0,5 Prozent monatlich. Auch bei Austrittsgesprächen wurde bis anhin die «Corona-Müdigkeit» laut Burgener kaum je als Austrittsgrund thematisiert.
Artikel teilen

Loading

Comment

Mehr zum Thema

image

Neues Konzept: Wohnzimmer-Betreuung statt Spitalpflege

Die alternden Babyboomer müssten unbedingt zu Hause leben können, findet der Gesundheitsökonom Heinz Locher. Er fordert mehr Betreuung statt Pflege.

image

Das Wallis sucht seine Kantonspflegefachperson

Die Funktion der Kantons-'Nurse' gibt es inzwischen viermal in der Schweiz, in Genf wird darüber debattiert. Und das Wallis befindet sich in der Rekrutierungsphase.

image

Pflege modern gedacht: ICN präsentiert neue Berufsbeschreibung

Der Internationale Pflegeverband ICN hat erstmals seit Jahrzehnten seine Definition von Pflege und Pflegefachleuten überarbeitet. Sie betont Selbstständigkeit, Verantwortung und Vielfalt des Berufs.

image

Stephan Bachmann wird Präsident von Curaviva Basel-Stadt

Der ehemalige Direktor von Rehab Basel löst im kommenden Jahr Veronica Schaller ab.

image

Eine Zusammenarbeit, vernetzt wie das Gefässsystem

Wie in den meisten anderen medizinischen Fachbereichen setzt das Spital Lachen auch in seinem Gefässzentrum auf eine enge interdisziplinäre Zusammenarbeit. Sie garantiert den Patientinnen und Patienten eine professionelle und ganzheitliche Diagnostik, Behandlung und Nachbehandlung.

image

Ein Jahr «Bülacher Modell»: Positive Auswirkungen auf Personal und Kosten

69 Prozent weniger Fluktuation, 1,2 Millionen Franken gespart, 90  Prozent zufriedenere Mitarbeitende: Das Spital Bülach zog eine Bilanz.

Vom gleichen Autor

image

Arzthaftung: Bundesgericht weist Millionenklage einer Patientin ab

Bei einer Patientin traten nach einer Darmspiegelung unerwartet schwere Komplikationen auf. Das Bundesgericht stellt nun klar: Die Ärztin aus dem Kanton Aargau kann sich auf die «hypothetische Einwilligung» der Patientin berufen.

image

Studie zeigt geringen Einfluss von Wettbewerb auf chirurgische Ergebnisse

Neue Studie aus den USA wirft Fragen auf: Wettbewerb allein garantiert keine besseren Operationsergebnisse.

image

Warum im Medizinstudium viel Empathie verloren geht

Während der Ausbildung nimmt das Einfühlungsvermögen von angehenden Ärztinnen und Ärzten tendenziell ab: Das besagt eine neue Studie.