Sind Spitalambulatorien schuld an den hohen Prämien?

Spitalambulatorien seien seit Jahrzehnten die grössten Kostentreiber in der obligatorischen Krankenversicherung, macht Santésuisse-Präsident Heinz Brand Stimmung gegen die Spitäler. Diese wehren sich gegen den Vorwurf.

, 12. Juni 2019 um 05:40
image
  • spital
  • santesuisse
  • hplus
Kaum ein Spital kann sich dieser Entwicklung entziehen: Die Zahl der Patienten, die sich stationär behandeln lassen, stagniert oder sinkt. Dafür nimmt die Zahl der ambulanten Patienten zu. Grund genug für Santésuisse-Präsident Heinz Brand die Spitäler anzuprangern: «Die Spitalambulatorien sind seit Jahrzehnten die grössten Kostentreiber in der obligatorischen Krankenversicherung.»
Deshalb, so Brand weiter in einem Artikel im «Brennpunkt Gesundheitspolitik», sei es absurd, dass die Kantone trotzdem nach Gutdünken handeln dürften. Ein Dorn im Auge ist ihm insbesondere, dass einige Kantone zwar die Praxiseröffnung ausländischer Ärzte verhindern, aber diese Ärzte trotzdem in ihren Spitalambulatorien anstellen. Dort, so Brand, sei eine Konsultation doppelt so viel teuer.

Die Spitäler widersprechen: Es gälten die gleichen Tarife

Ist eine Konsultation in einem Spital tatsächlich doppelt so teuer wie in einer Praxis? «Die Aussage von Santésuisse stimmt so nicht», sagt Dorit Djelid, Sprecherin von Hplus, den Spitälern der Schweiz. «Die bei der Verrechnung angewendete Tarifstruktur ist sowohl für ambulante Leistungen, die im Spital erbracht werden, als auch für solche, die in einer Praxis erbracht werden, genau die gleiche.»
Aber sie räumt ein: «Unterschiede gibt es bei den kantonal vereinbarten oder festgelegten Taxpunktwerten.» Es gibt Kantone, in denen die Arztpraxen tiefere Taxpunktwerte haben, aber auch solche, in denen die Praxen höhere haben.
Die neue Regelung «Ambulant vor Stationär» gilt erst seit 1. Januar 2019. Dorit Djelid betont aber, dass die ambulanten Leistungen – und damit die Kosten – auch aus anderen Gründen zugenommen hätten. Bestimmte ambulanten Eingriffe könnten nur in einem Spital durchgeführt werden: Beispielsweise Mandeloperationen oder Gebärmutterentfernungen.

Die Ansprüche der Patienten?

Ausserdem habe sich das Verhalten der Bevölkerung bei der Inanspruchnahme von medizinischen Leistungen verändert: Die Patientinnen und Patienten würden sich verstärkt eine Rund-um-die-Uhr-Verfügbarkeit von medizinischen Leistungen wünschen. Eine solche Verfügbarkeit könne eine Praxis nicht leisten, sondern nur ein Spital oder «spitalnahe» Praxen, die beispielweise durch ein Spital betrieben würden.
Es ist nicht das erste Mal, dass Santésuisse versucht, einen Schuldigen für das ungebremste Prämienwachstum zu finden: Vor drei Jahren hat der Krankenkassenverband den Schwarzen Peter den boomenden Gruppenpraxen zugewiesen. Damals war der Kostenanstieg bei den niedergelassenen Ärzten nämlich sogar höher als jener im ambulanten Spitalbereich. Medinside berichtete darüber.
Santésuisse analysierte die Zahlen genauer und kam zum Schluss, dass die Gruppenpraxen ein starker Kostentreiber seien. Dort seien die Behandlungskosten pro Patient deutlich höher als bei Einzelpraxen. Am höchsten seien sie dort ausgefallen, wo neben Allgemeinpraktikern auch noch Spezialisten anderer Fachrichtungen in der Gruppenpraxis tätig seien.

«Gruppenpraxen neigen dazu, ihre Kosten zu optimieren»

Die damalige Interpretation von Santésuisse: Gruppenpraxen neigen dazu, ihre Kosten zu optimieren – und es kommt dabei wohl zu Mengenausweitungen. «Die Gewinne gehen dann an die Investoren und kommen nicht den Prämienzahlern zugute», kritisierte damals die Santésuisse-Direktorin Verena Nold.

Wer hat Recht? Die Zahlen

Tatsächlich werden die Spitäler immer wichtiger bei der ambulanten Versorgung. Fast ein Viertel der ambulanten Leistungen werden heute dort erbracht. Der Anteil der Spitäler an den ambulanten Leistungen ist seit der Einführung des Krankenversicherungsgesetzes 1996 von 13 auf 23 Prozent gestiegen. Eine ganz andere Entwicklung gab es in den Arztpraxen: Deren Anteil sank von damals 49 Prozent auf nur noch 38 Prozent.
Und auch die Kosten in den Spitälern stiegen massiv: Die ambulanten Leistungen in den Spitälern legten um das Dreifache zu, nämlich von 1,4 Mrd. auf 5,6 Mrd. Franken. In der gleichen Zeit stiegen die Kosten für Leistungen in Arztpraxen nur um 76%, nämlich von 5,3 Mrd. Franken auf 9,3 Mrd. Franken.
Es stimmt also, dass die Spitalambulatorien die Krankenkassen und damit die Prämienzahler überdurchschnittlich belasten. Das heisst aber nicht, dass die Spitalambulatorien selber die Kostentreiber sind. Sondern eher die Patienten, welche die Spitalambulatorien aufsuchen. Die Zahlen zeigen nämlich auch: Für immer mehr Patienten ist nicht mehr ein Hausarztpraxis, sondern ein Spitalambulatorium die erste Anlaufstelle bei einem gesundheitlichen Problem.
Artikel teilen

Loading

Comment

Mehr zum Thema

image

Nachhaltig: Bacillol® 30 Sensitive Green Tissues

HARTMANN erweitert sein Portfolio um die nachhaltigen Bacillol® 30 Sensitive Green Tissues. Die Tücher werden aus nachwachsenden Rohstoffen gefertigt und vereinen hohe Wirksamkeit, Materialverträglichkeit und Hautfreundlichkeit. Dabei werden Plastikabfall sowie CO₂-Emissionen reduziert.

image

Neuer Leistungsauftrag für die Oberwaid

Die Klinik Oberwaid ist neu auch mit muskuloskelettaler Rehabilitation auf der Spitalliste der Kantone St. Gallen, Appenzell Ausserrhoden und Appenzell Innerrhoden. So kann die Oberwaid auch in diesem Fachgebiet grundversicherte Patienten behandeln und leistet einen wichtigen Beitrag in der Region.

image

Zurück in die Vergangenheit: Spitäler wollen Geld vom Kanton

An sich sollten die Kantone ihre Spitäler nicht mehr finanzieren. Doch immer häufiger zahlen die Regierungen trotzdem – und verzerren möglicherweise den Wettbewerb.

image

Luzerner Kantonsspital braucht wohl bald Geld

Die Höhenklinik des Spitals machte 180'000 Franken Verlust - pro Monat. Die Kantonsregierung rechnet damit, dass das Kantonsspital Hilfe braucht.

image

Spital Samedan gehört bald zum Kantonsspital Graubünden

Dadurch werden wohl einzelne Stellen neu ausgerichtet oder aufgehoben. Andererseits dürften in den medizinischen Bereichen rund 20 zusätzliche Stellen entstehen.

image

100 Millionen Franken? Danke, nicht nötig.

Der Kanton Graubünden plante einen Rettungsschirm für notleidende Spitäler und Gesundheits-Institutionen. Die Idee kam schlecht an.

Vom gleichen Autor

image

Im Schaufenster stehen vor allem unwirksame Medikamente

Bieler Ärzte schlagen eine neue Etikette für rezeptfreie Arzneimittel vor. Sie soll zeigen, wie verlässlich die Wirksamkeit nachgewiesen worden ist.

image

«Hausarzt ist kein Beruf, den man subventionieren muss»

Ein Arzt macht vor, wie eine Berggemeinde zu medizinischer Versorgung kommt. Und er kritisiert Kollegen, die einfach ihre Praxis schliessen.

image

Medikamente: Diese fünf Irrtümer müssen alle kennen

Epinephrin statt Ephedrin? Solche Verwechslungen können tödliche Folgen haben. Gut zu wissen, wo die grössten Gefahren lauern.