Restriktives Waffengesetz gleich weniger (Selbst-)Tötung?

Forscher der Columbia-Universität erkennen eine klare Tendenz zwischen schärferen Waffengesetzen und Todesfällen. Auch eine Armee-Analyse aus der Schweiz wurde berücksichtigt.

, 3. März 2016 um 15:00
image
  • forschung
  • suizid
  • prävention
  • politik
  • usa
Die Debatte um die Zusammenhänge von Waffengesetzen und (Selbst-)Tötung ist ein Dauerbrenner. Jetzt gibt eine internationale, fast weltumspannende Studie Einblicke in die Komplexität der Frage.
Forscher der renommierten Columbia University von New York wollten wissen, ob und wie Gesetzesänderungen mit der Zahl der Todesfälle durch Schusswaffen verknüpft sind.

Tendenz ist klar

Die Epidemiologen aus New York analysierten 130 Studien, durchgeführt in zehn Ländern zwischen 1950 und 2014 – alles Nationen, die ihre Waffengesetze revidierten. Erfasst wurden beispielsweise Gesetzesänderungen in den USA, Australien, Österreich und auch in der Schweiz.
«Die Schusswaffengewalt eines Landes sinkt, wenn Gesetze den Waffenkauf und -besitz einschränken», lautet ein Fazit der Meta-Studie. Das sei aber nur eine Tendenz, endgültig bewiesen sei das nicht, so die Columbia-Wissenschaftler. 
Als Einschränkung gelten Paragraphen, die zum Beispiel die Verwendung, den Erwerb, den Besitz oder die Aufbewahrung einer Schusswaffe regulieren.

Weniger Todesfälle bei Kindern

«Wir beobachteten in den meisten Ländern eine Evidenz zwischen weniger Feuerwaffentoten und revidierter Gesetzgebung», sagt Hauptautor Julian Santaella-Tenorio.
Bestimmte Gesetze senken laut Santaella-Tenorio vor allem Selbsttötungen sowie Delikte in der Familie, oder sie verhindern unbeabsichtigte Todesfälle bei Kindern. Dazu gehören intensivere Kontrollen von Herkunft und Vorgeschichte eines Waffenkäufers, aber auch Vorschriften für die Aufbewahrung der Pistole oder des Gewehrs. 

Julian Santaella-Tenorio, Magdalena Cerdá, Andrés Villaveces, Sandro Galea: «What Do We Know About the Association Between Firearm Legislation and Firearm-Related Injuries?», in: «Epidemiologic Reviews», Februar 2016.

Sogenannte Hintergrund-Kontrollen (Background Checks) kennt auch die Schweiz. Wer eine Waffe beantragt, muss Strafregisterauszug und Angaben über die Gesundheit liefern. Hier sei die «Qualität» von lokalen und nationalen Überprüfungen entscheidend, um Todesfälle zu reduzieren, halten die Studienautoren fest.

«Gefährlich – zuhause»

Die Wissenschaftler nennen Schätzungen, wonach weltweit täglich rund 600 Tötungen auf das Konto von Feuerwaffen geht – Krieg und Konflikte ausgenommen. 
Auch in der Schweiz wird die Diskussion um Ordonanzwaffen, Selbsttötungen und Morde im häuslichen Bereich regelmässig aufgeheizt. Dabei spielt auch die Verfügbarkeit von Schusswaffen eine Rolle. «Schusswaffen sind dort gefährlich, wo sie sich befinden – das ist in der Regel zuhause», sagt zum Beispiel der bekannte Strafrechtsprofessor Martin Killias.

«Zugang erschweren»

In der Schweizer «Ärztezeitung» berichtete der ehemalige FMH-Präsident Jacques de Haller ausserdem im Jahr 2007 von einer Studie, die zeigt, dass mit der Erschwerung des Zugangs zu geeigneten Tatmitteln und somit auch durch die Lagerung der Armeewaffen in gesicherten Räumen die Tötungs- und Suizidrate gesenkt werden kann.
Reisch T., Steffen T., Habenstein A., et al. «Change in suicide rates in Switzerland before and after firearm restriction resulting from the 2003 'Army XXI' reform», in: «Am J Psychiatry», 2013. 
In den Daten aus der Schweiz fanden die Columbia-Autoren insbesondere bemerkenswert, dass eine Verringerung der Schusswaffensuizide nach der Halbierung des Armeebestandes eintrat. Allerdings konnte zugleich beobachtet werden, dass auf andere Suizidmethoden ausgewichen wurde. 

Steigt die Gefahr für die Bevölkerung?

Letztes Jahr stiegen im Vergleich zum Vorjahr in mehreren Kantonen die Gesuche für einen Waffenerwerbsschein – Tendenz steigend. Waren es im Vorjahr im Kanton Waadt beispielsweise noch 2'427 Gesuche, sind es dieses Jahr über 4'200. Pierre-Olivier Gaudard, Chef der Kriminalprävention der Kantonspolizei Waadt, erklärte diesen Anstieg gegenüber «10vor10» mit einem generellen Klima der Beunruhigung und einer gewachsenen Angst vor Einbrechern.
Artikel teilen

Loading

Comment

Mehr zum Thema

image

CHUV: Aus Spenderstuhl wird Medizin

Das Universitätsspital Lausanne ist das erste Schweizer Spital mit Swissmedic-Zulassung zur Herstellung eines Medikaments aus Fäkalbakterien.

image

Unfaire Behandlung? Beim Herzstillstand spielt das Geschlecht eine Rolle

Eine grosse Schweizer Studie zeigt bedenkliche Unterschiede: Frauen kommen nach einem Herzstillstand seltener auf die Intensivstation, werden laxer behandelt und sterben eher als Männer.

image

Diese Studien könnten demnächst die Medizin verändern

Experten kürten für das Fachmagazin «Nature Medicine» jene klinischen Studien, die demnächst die Landschaft neu prägen könnten – darunter ein Projekt von Novartis.

image

Schweizer Ärzte sind besorgt über WHO-Austritt der USA

Die Weltgesundheitsorganisation WHO ist für das Medizin-Personal in der Schweiz nicht so unwichtig, wie es auf den ersten Blick scheinen mag.

image

Musik ist ein chirurgisches Hilfsmittel

Wer nach einer Operation Musik zu hören bekommt, benötigt weniger Schmerzmittel, hat weniger Ängste – und auch sonst bessere Werte. Am US-Chirurgenkongress wurden dazu vielversprechende Ergebnisse präsentiert.

image

Briten wollen mit KI das staatliche Gesundheitssystem verbessern

Der britische Premierminister kündigte an, mit künstlicher Intelligenz (KI) das Gesundheitswesen in Grossbritannien revolutionieren.

Vom gleichen Autor

image

Arzthaftung: Bundesgericht weist Millionenklage einer Patientin ab

Bei einer Patientin traten nach einer Darmspiegelung unerwartet schwere Komplikationen auf. Das Bundesgericht stellt nun klar: Die Ärztin aus dem Kanton Aargau kann sich auf die «hypothetische Einwilligung» der Patientin berufen.

image

Studie zeigt geringen Einfluss von Wettbewerb auf chirurgische Ergebnisse

Neue Studie aus den USA wirft Fragen auf: Wettbewerb allein garantiert keine besseren Operationsergebnisse.

image

Warum im Medizinstudium viel Empathie verloren geht

Während der Ausbildung nimmt das Einfühlungsvermögen von angehenden Ärztinnen und Ärzten tendenziell ab: Das besagt eine neue Studie.