«Hype» um neue Schmerztherapie bei der Geburt

Eine britische Studie empfiehlt den Einsatz eines hochpotenten Opioids gegen Geburtsschmerzen. Das Mittel birgt aber auch Risiken.

, 27. August 2018 um 07:00
image
  • spital
  • geburtshilfe
  • opioide
  • remifentanil
  • studie
Die Studie im amerikanischen Fachmagazin «The Lancet» könnte die Schmerztherapie während der Geburt verändern. In der Studie «Pain relief during labour: challenging the use of intramuscular pethidine» haben britische Forschende Alternativen zum Opioid Pethidin gesucht. Letzteres kommt in Grossbritannien bei rund einem Drittel der Geburten zum Einsatz. Wie verbreitet der Einsatz von Pethidin in der Schweiz ist, ist umstritten, wie der «Tagesanzeiger» in seinem Artikel zur erwähnten Studie schreibt.  So gehe die Schweizerische Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe davon aus, dass Opioide immer weniger eingesetzt werden; andere Fachleute schätzten die Verwendungshäufigkeit ähnlich hoch ein wie in Grossbritannien.
Eines der Probleme beim Einsatz von Pethidin: Es baut sich vergleichsweise langsam ab. Deshalb ist es auch beim Neugeborenen bis zu 23 Stunden lang nachweisbar. Anders das in der Studie getestete und bereits seit 1996 zugelassene Opioid Remifentanil. Dieses ist hocheffektiv: Es stillt den Schmerz rund 200 Mal stärker als Morphium. Zwar kann Remifentanil ebenfalls über die Plazenta in den Körper des Kindes gelangen, baut sich aber innerhalb weniger Minuten ab. Ein weiterer Vorteil: Die Wirkung setzt viel schneller ein als bei der Gabe von Pethidin oder Tramadol.  Nach 30 bis 60 Sekunden setzt die Wirkung ein, die Maximalwirkung folgt bereits nach 1 bis 2 Minuten. Das Remifentanil wurde in der Studie - wie auch in der Praxis üblich - direkt in die Armvene verabreicht. Mittels einer Medikamentenpumpe konnten die Gebärden die Dosierung selbst steuern.
Ausgezeichnete Ergebnisse
400 Geburten in 14 Spitälern wurden für die Studie untersucht. Einem Teil der Gebärenden wurde das herkömmlich verwendete Pethidin verabreicht, bei den anderen Frauen wurde Remifentanil eingesetzt. Dabei wurde unter anderem erfasst, bei wie vielen Frauen im Verlauf der Geburt eine Periduralanästhesie (PDA) notwendig wurde. Bei einer PDA wird direkt am Rückenmark eine Regionalanästhesie vorgenommen und der Schmerz so effizient bekämpft. Durch den Einsatz einer PDA kommt es aber auch häufig zu einer Verlängerung der Geburt und zum Einsatz von Geburtsglocken oder -zangen. 

image
ignis
Die britische Studie zeigt auf, dass nur 19 Prozent der mit Remifentanil behandelten Frauen nach einer PDA verlangten - bei der Pethidin-Gruppe waren es dagegen mehr als doppelt so viele (41 Prozent). Auch beim subjektiven Schmerzempfinden der Frauen schnitt Remifentanil besser ab. Die Studienautoren kommen zum Schluss, dass der Einsatz von Remifentanil «die Notwendigkeit von PDA, instrumentellen Geburten und den damit verbundenen gesundheitlichen Folgen für viele Frauen weltweit reduzieren» könne.
Schwerwiegende Nebenwirkungen
Welche Auswirkungen hat die Studie auf die Praxis in der Schweiz? Es werde «ein Umdenken geben», sagt Andrea Melber, Vizepräsidentin der Schweizerischen Gesellschaft für geburtshilfliche Anästhesie und Leitende Ärztin am Spital Münsingen dem «Tagesanzeiger». Und ihr Kollege Robert Greif von der Berner Universitätsklinik für Anästhesiologie und Schmerztherapie erwartet laut dem Tagi gar «einen Hype». Er warnt aber auch: «Die Methode ist nicht für alle Frauen geeignet.» Zudem dürfe der Wirkstoff nur von geschultem Personal verabreicht werden. Denn ob aller Vorteile birgt der Einsatz von Remifenatnil auch Gefahren. So kann das Mittel schwere Nebenwirkungen verursachen. Dies weil es die Atmung dämpft. In den USA mussten Gebärende reanimiert werden, nachdem ihnen hochdosiert Remifentanil in Kombination mit anderen Präparaten verabreicht worden war. Auch im Rahmen der britischen Studie wurde rund der Hälfte der mit Remifentanil behandelten Frauen zusätzlicher Sauerstoff gegeben, weil sich ihre Atem- und Sauerstoffwerte verschlechtert hatten. In der Schweiz existiert seit 2009 das RemiPCA Safe Network, an dem sich 30 Kliniken beteiligen. Zur Weiterbildungszwecken und zur Qualitätssicherung werden dort alle Anwendungen erfasst. Inzwischen sind es insgesamt rund 9000. Zu schweren Zwischenfällen kam es bisher nicht. 
Artikel teilen

Loading

Comment

Mehr zum Thema

image

Neuer Leistungsauftrag für die Oberwaid

Die Klinik Oberwaid ist neu auch mit muskuloskelettaler Rehabilitation auf der Spitalliste der Kantone St. Gallen, Appenzell Ausserrhoden und Appenzell Innerrhoden. So kann die Oberwaid auch in diesem Fachgebiet grundversicherte Patienten behandeln und leistet einen wichtigen Beitrag in der Region.

image

Zurück in die Vergangenheit: Spitäler wollen Geld vom Kanton

An sich sollten die Kantone ihre Spitäler nicht mehr finanzieren. Doch immer häufiger zahlen die Regierungen trotzdem – und verzerren möglicherweise den Wettbewerb.

image

Männedorf und Uster: Eine Frauenklinik für zwei Spitäler

Die Gynäkologie und Geburtshilfe der Spitäler Männedorf und Uster kommt unter eine Leitung. Das Spital Zollikerberg könnte folgen.

image

Luzerner Kantonsspital braucht wohl bald Geld

Die Höhenklinik des Spitals machte 180'000 Franken Verlust - pro Monat. Die Kantonsregierung rechnet damit, dass das Kantonsspital Hilfe braucht.

image

Gesundheit Mittelbünden: Neuer Chefarzt Gynäkologie

Martin Schlipf folgt auf Patricia Kollow und Armin Rütten.

image

Spital Samedan gehört bald zum Kantonsspital Graubünden

Dadurch werden wohl einzelne Stellen neu ausgerichtet oder aufgehoben. Andererseits dürften in den medizinischen Bereichen rund 20 zusätzliche Stellen entstehen.

Vom gleichen Autor

image

Covid-19 ist auch für das DRG-System eine Herausforderung

Die Fallpauschalen wurden für die Vergütung von Covid-19-Behandlungen adaptiert. Dieses Fazit zieht der Direktor eines Unispitals.

image

Ein Vogel verzögert Unispital-Neubau

Ein vom Aussterben bedrohter Wanderfalke nistet im künftigen Zürcher Kispi. Auch sonst sieht sich das Spital als Bauherrin mit speziellen Herausforderungen konfrontiert.

image

Preisdeckel für lukrative Spitalbehandlungen?

Das DRG-Modell setzt Fehlanreize, die zu Mengenausweitungen führen. Der Bund will deshalb eine gedeckelte Grundpauschale - für den Direktor des Unispitals Basel ist das der völlig falsche Weg.