Gehälter im Gesundheitswesen: Das 333-Franken-Rätsel

Geht es um gleiche Löhne für Mann und Frau, so steht die Gesundheitsbranche besser da als andere. Sehr ermutigend ist die Lage trotzdem nicht.

, 24. August 2015 um 05:21
image
  • arbeitswelt
  • lohn
Eines ist klar: Die Fortschritte geschehen im Tempo der Schnecke. Laut neusten Daten verdient eine Frau im Gesundheitswesen durchschnittlich 18,6 Prozent weniger als ein Mann. So war es 2012, im Jahr, aus dem die aktuellsten Lohngleichheits-Daten stammen; sie wurden jetzt vom Bundesamt für Statistik veröffentlicht.
Zum Vergleich: Im Jahr 2006 hatte der Unterschied 18,7 Prozent betragen. Wir haben es also mit einer Annäherung um 0,1 Pünktchen in sechs Jahren zu tun.
Umgesetzt in Monatslöhne macht der Graben ja doch allerhand aus: Eine Frau verdient im Gesundheitswesen 5'738 Franken Bruttolohn pro Monat (gemessen am Medianwert). Ein Mann erhält 6'735 Franken. Es geht also um etwa 1000 Franken.

Tiefes Lohnniveau – mehr Gleichheit

Das Positive dabei: Das ist noch gar nichts. In den meisten anderen Branchen klaffen weitaus grössere Gräben als im Gesundheits- und Sozialwesen (so die offizielle Kategorie der Bundes-Statistiker). Am Ende verdienten die Frauen in der gesamten Schweizer Privatwirtschaft durchschnittlich 21,3 Prozent weniger als ihre männlichen Kollegen
Am weitesten klaffte der Graben dabei Finanzbereich: Hier machte er 34 Prozent aus. Am nähesten kamen sich Mann und Frau im Gastgewerbe: 11 Prozent Unterschied beim Median-Bruttolohn.
Greifbar wird dabei also, dass der Lohnunterschiede in jenen Bereichen eher klein ist, wo das Salärniveau tief ist und wo die Boni keine so wichtige Rolle spielen.

Bundesamt für Statistik: «Löhne, Erwerbseinkommen: Indikatoren Lohnniveau nach Geschlecht»

Kommt hinzu, dass es einen Unterschied zwischen Staat und Privaten gibt. Im gesamten öffentlichen Sektor beträgt der durchschnittliche Lohnunterschied zwischen Frauen und Männern 16,5 Prozent.
Und wäre nicht dies der passendere Vergleich als die Banken? Immerhin spielen öffentliche Arbeitgeber im Gesundheitssektor eine tragende Rolle. Verglichen mit ihren Kolleginnen in Bund, Kantonen und Gemeinden erscheinen die Frauen im Gesundheitswesen dann doch wieder eher benachteiligt.

Weiterbildung, Erfahrung, Hierarchie – und dann?

Doch die Sache wird noch komplexer. Die Zahlenmeister des Bundesamts für Statistik suchten in jeder Branche auch nach Erklärungen für die Unterschiede zwischen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern. Ein Teil des reinen Lohnunterschieds lässt sich nämlich durchaus erklären – zum Beispiel durch Weiterbildung, Anzahl Dienstjahre, Hierarchiestufen.
Anders gesagt: Nicht jeder Franken, den der Durchschnittsmann mehr verdient, ist ein Zeichen für Diskriminierung. Was aber bleibt, sind «nicht erklärbare» Unterschiede. Hier lässt sich dann tatsächlich eine Benachteiligung wittern.

55 Franken in sechs Jahren

Im Bereich Gesundheits- und Sozialwesen lässt sich diese «nicht erklärbare» Summe auch beziffern – sie macht 333 Franken aus. Anders gesagt: Von den rund 1'000 Franken, die ein Median-Mann in der Branche verdient, lassen sich nur etwa zwei Drittel erklären.
Die gute Nachricht: In keiner anderen Branche ist dieser «Diskriminierungs-Index» so tief. Obendrein gibt es da doch greifbare Fortschritte. Sechs Jahre zuvor, bei der Lohnerhebung 2006, hatte der rätselhafte Fehlbetrag noch 388 Franken ausgemacht.
Artikel teilen

Loading

Comment

Mehr zum Thema

image

Lohnangabe: Einzig das Kispi bricht das Tabu

Schon in der Stellenausschreibung steht das Gehalt: So viel Transparenz geht den meisten Spitälern zu weit. Warum eigentlich?

image

Raus aus der Chirurgie, rein in die Privatwirtschaft

«Aufwand und Ertrag stimmen in der Chirurgie nicht», sagt der ehemalige Chirurg Mathias Siegfried. Er zog die Reissleine und wechselte in die Privatwirtschaft.

image

«Nulltoleranz» gegenüber Aggressionen am Spital Wallis

68 Prozent mehr Fälle von asozialem Verhalten in zwei Jahren – Eine neue Richtlinie und eine Sensibilisierungskampagne sollen künftig das Personal vor Übergriffen durch Patienten und Angehörige schützen.

image

Frühpensionierung? Nicht mit uns.

Mitten im Medizinermangel bietet eine grosse deutsche Erhebung ein überraschendes Bild: Nur sehr wenige Ärztinnen und Ärzte streben einen frühen Ruhestand an. Viele möchten bis in die späten Sechziger oder gar Siebziger tätig sein – mit Leidenschaft.

image

Chirurgin oder Mutter? Wenn Karriere und Kinderwunsch kollidieren

Lange Arbeitszeiten, starrer Ausbildungsweg, kaum Spielraum für Teilzeit: Junge Chirurginnen verschieben oft ihre Mutterschaft. Das hat Konsequenzen – auch fürs Fachgebiet.

image

Zulassungs-Stau bei SIWF und MEBEKO: Zürich reagiert

Lange Wartezeiten bei der Titelanerkennung gefährden die medizinische Versorgung. Nun passt das Zürcher Amt für Gesundheit seine Praxis an und erlaubt es teilweise, Ärztinnen und Ärzte provisorisch einzusetzen.

Vom gleichen Autor

image

Spital heilt, Oper glänzt – und beide kosten

Wir vergleichen das Kispi Zürich mit dem Opernhaus Zürich. Geht das? Durchaus. Denn beide haben dieselbe Aufgabe: zu funktionieren, wo Wirtschaftlichkeit an Grenzen stösst.

image

Überarztung: Wer rückfordern will, braucht Beweise

Das Bundesgericht greift in die WZW-Ermittlungsverfahren ein: Ein Grundsatzurteil dürfte die gängigen Prozesse umkrempeln.

image

Kantone haben die Hausaufgaben gemacht - aber es fehlt an der Finanzierung

Palliative Care löst nicht alle Probleme im Gesundheitswesen: … Palliative Care kann jedoch ein Hebel sein.