Chirurgen und Hausärzte weinen am seltensten

Jeder zweite Arzt weint gelegentlich am Arbeitsplatz – jeder vierte sogar vor Patienten. Das ist das Resultat einer Studie aus den Niederlanden.

, 4. Januar 2016 um 14:00
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Fehlbehandlung, Todesfälle, schlimme Diagnosen: Natürlich ruft die Arbeit als Mediziner starke Emotionen hervor. Und dabei kullern auch mal die Tränen. 
Wie häufig das bei Ärzten vorkommt, haben klinische Psychologen von der niederländischen Universität Tilburg herausgefunden. Kim Janssens, Chloë Sweerts und Ad Vingerhoets fragten bei fast 800 Ärzten in den Niederlanden. Das Fachmagazin «Medisch Contact» hat die Resultate zusammengefasst.
Das sind die wichtigsten Ergebnisse:

  • Fast die Hälfte der Teilnehmer gab an, innerhalb des vergangenen Jahres am Arbeitsplatz geweint zu haben. 
  • Ein Viertel der Betroffenen taten dies sogar vor Patienten.
  • Frauen liessen dabei mehr als doppelt so häufig wie Männer ihren Tränen freien Lauf (58 versus 25 Prozent). 
  • Dafür hielt sich das weibliche Geschlecht vor Patienten etwas besser zurück. Hier weinten Ärztinnen seltener als Ärzte (23 versus 27 Prozent).
  • Von den männlichen Ärzten gaben die Chirurgen am seltensten an, im vergangenen Jahr bei der Arbeit geweint zu haben (13 Prozent), gefolgt von den Hausärzten (17 Prozent).
  • Unter den Frauen war der Anteil bei den Chirurginnen jedoch am höchsten (75 Prozent), gefolgt von Gynäkologinnen und Kinderärztinnen (69 Prozent).

Was gilt als akzeptabel – was als inakzeptabel?


Die meisten der befragten Ärzte sehen solche emotionalen Reaktionen nicht als Schwäche und halten sie auch nicht für unprofessionell. Im Gegenteil: Sie haben Verständnis dafür, dass starke Emotionen zu Tränen führen können.
Mehr als die Hälfte der Ärzte findet es zudem akzeptabel, dass ein Mediziner manchmal in Anwesenheit eines Patienten weint. Den Ruf des Arztes sehen sie deshalb nicht beeinträchtigt. Ebenso befürchten sie deswegen keine negativen Konsequenzen für die Therapie. 

Welche Gründe zu Tränen führen

Als akzeptable Gründe gelten: das Leid der Patienten oder eine Situation beim Patienten, die sie an persönliche Erlebnisse erinnert. Hingegen werden Tränen vor Patienten aufgrund persönlicher Umstände oder eigener Probleme bei der Arbeit als inakzeptabel betrachtet.
Häufigste Gründe für Tränen waren Trauer und Frustration sowie ein Gefühl der Hilflosigkeit bei der Arbeit mit Patienten. Ebenso spielten eine Rolle: Mitgefühl mit den betroffenen Familien, ferner Stress zu Hause oder bei der Arbeit.

Wie sich Ärzte danach selbst fühlten

Die meisten der weinenden Ärzte stiessen bei ihren Kollegen zwar auf Verständnis. Sie fühlten sich selbst anschliessend aber wenig wohl. Denn sie sahen ihr eigenes Verhalten als Mangel an Professionalität und als Schwäche an. Viele schämten sich wegen ihrer Tränen.
Auch ein Gefühl der Verletzlichkeit und der Angst blieb oft zurück, schreiben die Psychologen der niederländischen Universität Tilburg. 

«Lösungen statt Tränen»

Eine ähnliche Umfrage erschien vor rund zwei Jahren im «British Medical Journal». Von 530 Teilnehmern einer Umfrage fanden es fast zwei Drittel in Ordnung – abhängig von den Umständen. 
Ein Viertel der britischen Ärzte war dagegen der Meinung, dass ein Mediziner unter keinen Umständen vor Patienten weinen darf. «Ein Arzt sollte seine Gefühle von den Patienten unterdrücken. Diese erwarten Lösungen und aufmunternde Worte», schrieb damals ein Teilnehmer. «Wir sollten mitfühlen, aber nicht mitleiden», bemerkte ein anderer.

  • Siehe auch: «Wenn Ärzte vor Patienten weinen», in: «ÄrzteZeitung», Januar 2016.

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