Warum der Bevölkerungsrat mehr ist als Symbolpolitik

Der Bevölkerungsrat 2025 steht für einen neuen Weg in der Gesundheitspolitik. Zweifel an der Kompetenz der Teilnehmenden greifen zu kurz.

, 7. Mai 2025 um 06:48
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Bild: Caroline Minjolle
Kürzlich äusserte sich der Gesundheitsexperte Felix Schneuwly in einem Gastbeitrag kritisch über den Bevölkerungsrat – und meinte unter anderem: «Im Bevölkerungsrat haben also knapp 50 Personen keine Ahnung vom Gesundheitswesen.»
Diese Ansicht teile ich nicht.
100 zufällig ausgeloste Personen, repräsentativ für die Schweizer Wohnbevölkerung, haben sich im Rahmen des Bevölkerungsrats 2025 über mehrere Monate hinweg intensiv mit einem gesundheitspolitischen Thema auseinandergesetzt.
«Rund 49 Prozent der Bevölkerung haben Mühe, sich im Gesundheitssystem zurechtzufinden.»
Sie diskutierten Reformvorschläge, wogen Argumente ab und beantworteten die Frage, welche Massnahmen zur Gesundheitsförderung und Prävention ein informierter Querschnitt der Bevölkerung befürwortet, um langfristig die Gesundheitskosten zu senken. Das Projektteam am Zentrum für Demokratie Aarau verfolgte keine inhaltliche Agenda, sondern interessierte sich primär für die Erprobung neuer Formen demokratischer Beteiligung.
Daniel Kübler ist Co-Initiator des Forschungsprojekts ‘Bevölkerungsrat 2025’ an der Universität Zürich.
Auch das Thema wurde nicht vorgegeben: Es ging aus einer repräsentativen Umfrage hervor, in der über 40 Prozent der rund 5'000 Befragten den Fokus auf die steigenden Gesundheitskosten legten – ein Thema, das viele Menschen als persönlich belastend empfinden.

Informieren, diskutieren, entscheiden

Zur Vorbereitung wurde eine Politikfeldanalyse erstellt, die zentrale Aspekte der Debatte um die Gesundheitskosten aufbereitete. Am Startwochenende legten die Teilnehmenden den Fokus auf «Gesundheitsförderung und Prävention» – ein Bereich, der weniger kurzfristige Einsparungen bringt, aber langfristig Wirkung entfalten kann.
Ein zentraler Ausgangspunkt war die Erkenntnis aus dem Health Literacy Survey Schweiz 2019–2021: Rund 49 Prozent der Bevölkerung haben Mühe, sich im Gesundheitssystem zurechtzufinden.
«40 Prozent der rund 5'000 Befragten legten den Fokus auf die steigenden Gesundheitskosten.»
Der Bevölkerungsrat spiegelte diese Realität wider. Viele Teilnehmende starteten mit wenig Vorwissen, eigneten sich aber im Laufe des Prozesses fundierte Kenntnisse an – dank aufbereiteter Informationen, Fachinputs und moderierter Diskussionen. Das Projekt zeigt: Wer die Bevölkerung ernst nimmt, erschliesst ungenutztes Potenzial.

Demokratische Kompetenz anerkennen

Kritiker zweifeln oft die Kompetenz ausgeloster Personen in komplexen Fragen wie der Gesundheitspolitik an. Gleichzeitig wird die direkte Demokratie hochgehalten, in der dieselben Menschen an der Urne verbindlich entscheiden. Der Bevölkerungsrat zeigt, dass bürgerschaftliches Engagement in informierten und gut moderierten Prozessen zu durchdachten Ergebnissen führen kann – über politische Gräben hinweg.

Mehr als Symbolpolitik

Einzelne Stimmen kritisieren den Bevölkerungsrat als gelenkt, da die Empfehlungen mehr Koordination und Regulierung im Gesundheitswesen vorsehen. Diese Kritik verkennt jedoch die Struktur des Prozesses: Die Diskussionen waren ergebnisoffen, kontrovers, vielfältig moderiert und orientierten sich an realen Reformvorschlägen. Fachpersonen aus unterschiedlichen Richtungen sowie politische und gesellschaftliche Akteure wurden einbezogen.
«Viele Teilnehmende starteten mit wenig Vorwissen, eigneten sich aber im Laufe des Prozesses fundierte Kenntnisse an.»
Das Resultat sind differenzierte Empfehlungen, die auf einem breiten Konsens innerhalb einer informierten Bevölkerungsgruppe basieren. Die Forderung nach besserer Prävention, Koordination und Steuerung ist kein ideologisches Statement, sondern Ausdruck eines gemeinsamen Bedürfnisses: Gesundheit soll in der Schweiz stärker geschützt und gefördert werden.

Ergebnisse ernst nehmen

Dass nicht alle politischen Akteure mit den Ergebnissen einverstanden sind, ist normal. Sachliche Kritik ist legitim und nützlich. Doch den Prozess an sich infrage zu stellen, weil die Resultate unbequeme Antworten liefern, wird dem deliberativen Ansatz nicht gerecht. Neue Beteiligungsformate brauchen Offenheit und die Bereitschaft, auch unbequeme Positionen aus der Bevölkerung zu hören.
Der Abschlussbericht des Bevölkerungsrats erscheint Mitte Mai. Er legt alle Verfahrensschritte und Ergebnisse offen. Erst auf dieser Grundlage kann eine sachliche Debatte über die Chancen und Grenzen solcher demokratischen Beteiligungsformate geführt werden – und darüber, welchen Beitrag sie zur Weiterentwicklung der Gesundheitspolitik leisten können.
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