Charité präsentiert KI-Modell, das 170 Krebsarten erkennt

Auch bei unvollständigen Proben lieferte das System eine hohe Genauigkeit. Nun starten erste Studien zur Integration in den Praxisalltag.

, 13. Juni 2025 um 02:58
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Gehirntumor-OP an der Charité  |  Bild: PD / Dirk Lässig
Ein Team der Berliner Charité hat ein KI-Diagnosemodell entwickelt, das offenbar 170 verschiedene Krebsarten früh erkennen kann. Laut den Forschern seien selbst histologische Untersuchungen allein nicht in der Lage, derart präzise Diagnosen zu liefern kann ihre Künstliche Intelligenz.
Das System heisst «CrossNN» und wurde an gut 5’000 Tumoren überprüft. «Unser Modell erlaubt in 99,1 Prozent aller Fälle eine sehr präzise Diagnosestellung von Hirntumoren und ist genauer als bisherige KI-Modelle», so Studienleiter Philipp Euskirchen.
  • Dongsheng Yuan, Robin Jugas, Petra Pokorna, Jaroslav Sterba,… Philipp Euskirchen et al.: «crossNN is an explainable framework for cross-platform DNA methylation-based classification of tumors», in: «Nature Cancer», Juni 2025.
  • doi: 10.1038/s43018-025-00976-5
Der Einsatz bei Hirntumoren war dabei quasi der Ausgangspunkt. Danach wurde dieselbe Lern-Methodik bei gut 170 Tumorarten aus allen Organen angewandt. Es zeigte sich, dass hier insgesamt eine Treffsicherheit von 97,8 Prozent erreicht wurde.
Nützlich könnte die Methode sein, um eine möglichst perfekte molekulare, zelluläre und funktionelle Charakterisierung eines Tumors zu erhalten – insbesondere in Fällen, wo eine Gewebeprobe nicht möglich ist. Und selbst wo eine histologische Untersuchung durchgeführt werden kann, könnte das neue KI-Modell womöglich zusätzliche Präzision liefern.
Im Hintergrund stehen die Hoffnungen der personalisierten Medizin: Auf Basis der Charakteristika des Tumors – Gewebemerkmale, Wachstumsraten, Stoffwechselbesonderheiten – lassen sich gezielte(re) Therapien anwenden.
Ausgangspunkt des Teams um Philipp Euskirchen waren die epigenetischen Merkmale von Hirntumoren. «Hundertausende epigenetische Modifikationen fungieren als An- und Ausschalter einzelner Genabschnitte. Ihre Muster bilden einen unverwechselbaren Fingerabdruck», so der Forscher vom Institut für Neuropathologie der Charité. «In Tumorzellen sind die epigenetischen Informationen auf jeweils charakteristische Weise verändert. Anhand ihrer Profile können wir Tumoren unterscheiden und sie klassifizieren.» Bei Hirntumoren genügt dazu manchmal schon eine Probe des Nervenwassers.

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Bild: © Charité | Philipp Euskirchen
Oberfläche von CrossCNN: Das Modell gleicht epigenetische Daten unbekannter Tumoren mit den Fingerabdrücken von über 8000 Referenztumoren ab. Ein Kreuz markiert den zu untersuchenden Tumor. Die Visualisierung zeigt die Menge an Daten, auf denen das Modell basiert. Jeder Punkt repräsentiert das Profil eines Referenztumors mit jeweils mehreren Hunderttausend Informationen, jede Farbe einen bestimmten Tumortyp.
Beim KI-Projekt bestand nun die Idee darin, ein Modell zu entwickeln, das Tumoren genau klassifiziert, selbst wenn nur Teile des gesamten Epigenoms vorliegen oder die Profile mit unterschiedlichen Techniken und unterschiedlicher Genauigkeit erhoben wurden. Die Basis bilden dabei tausende Vergleiche: «CrossNN» wurde mit einer grossen Anzahl an Referenztumoren trainiert – und danach nochmals an mehr als 5000 Tumoren überprüft.
Dass am Ende bei 170 Tumorarten aus allen Organen eine Treffsicherheit von 97,8 Prozent erreicht wurde, erstaunte die Wissenschaftler: «Obwohl die Architektur unseres KI-Modells sehr viel einfacher ist als bisherige Ansätze und dadurch erklärbar bleibt, liefert es präzisere Vorhersagen und damit eine höhere diagnostische Sicherheit», sagt Sören Lukassen, Leiter der Arbeitsgruppe Medical Omics des Berlin Institute of Health.
Das Forschungsteam plant nun mit «CrossNN» klinische Studien an acht Standorten in Deutschland. Ein Ziel ist es abei, die exakte (und eher günstige) Tumorbestimmung anhand von DNA-Proben in die Routineversorgung zu übertragen.
Zur Mitteilung der Charité.

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