«Viele Entscheide waren irrational»

Der Infektiologe Pietro Vernazza kritisiert in einem deutschen Dokumentarfilm die Schweizer Behörden für deren Corona-Massnahmen.

, 18. Oktober 2023 um 09:39
image
Der Infektiologe Pietro Vernazza im Film «Un-Sichtbar»
Ein neuer Dokumentarfilm aus Deutschland zeigt Beispiele von Kindern und Jugendlichen, bei denen die Covid-19-Impfung mutmasslich gesundheitliche und soziale Nebenwirkungen hatte. Der mittlerweile pensionierte Infektiologe Pietro Vernazza (67) wirkt im Film als einer der frühen Warner vor der Impfung für junge Menschen mit.

«Nichts war neu»

Vernazza findet, dass die Pandemie die Welt keineswegs unvorbereitet getroffen habe. Von früheren Grippeinfektionen habe man ganz genau gewusst, was passiere und was für Massnahmen sinnvoll seien. Nichts sei neu gewesen. Doch: «Es war, wie wenn wir die medizinische Literatur gar nie konsultiert oder gar nicht einbezogen hätten.»
Das Problem sei gewesen, dass die Bevölkerung nie so richtig begriffen habe, dass jeder im Verlauf der Zeit mit Covid infiziert werde. Stattdessen hätten die Menschen so enorm Angst vor der Erkrankung gehabt, weil sie als ganz schwere Erkrankung dargestellt worden sei, dass sie einfach dachten, das müsse man unbedingt verhindern.

«Zu viel Angst geschürt»

«Viele Bilder haben sehr viel Angst geschürt», sagt Vernazza im Film. Die Kantonsregierungen hätten gar keine Wahl gehabt, eine andere Entscheidung zu treffen, weil der mediale Druck und die Angst in der Bevölkerung so gross gewesen seien. «Das hat die Politiker dazu gedrängt, etwas tun zu müssen. Obwohl sie oft selber nicht davon überzeugt waren.»
Er hätte sich gewünscht, dass in der Schweiz klar gesagt worden wäre, dass das Virus für Kinder und Jugendliche kein Problem, jedoch im hohen Alter ein grosses Risiko sei.

Falsche Erwartungen an die Impfung

Zur Impfung sagt er: «Ich glaube, wir haben mit dieser Covid-Impfung ein riesiges Experiment gemacht.» Man hätte mehr untersuchen müssen, was die Nebenwirkungen und potenziellen Schäden sein könnten.
Zudem habe man gewusst, dass sich das Virus rasch verändere und man mit einer Impfung nicht für den Rest des Lebens, ja nicht einmal für die nächsten paar Jahre geschützt sei. «Insofern hat man auch falsche Erwartungen an die Impfung gehabt.»

«Wir wussten, dass das nicht korrekt war»

Dass der Bundesrat so auf die Solidarität gesetzt habe, sei ein grosses Problem gewesen. «Weil man den Menschen das Gefühl gab, wenn du dich nicht impfen lässt, dann gefährdest du andere Menschen. Eigentlich wussten wir, dass das nicht korrekt war. Und trotzdem haben der Bundesrat und die Medien diese Solidaritätswelle immer stark aufrechterhalten. Das finde ich problematisch.»
Vernazza kommt zum Schluss: «Die Angst hat sehr viele Entscheidungen irrational gemacht. Die Idee, Kinder zu impfen, fand ich abwegig.»
Auch der ehemalige «Mister Corona», Daniel Koch, hat sich rückblickend kritisch zu den übertriebenen Massnahmen der Schweizer Behörden geäussert:
Daniel Koch zurück im BAG? «Theoretisch schon.»

  • ärzte
Artikel teilen

Loading

Kommentar

Mehr zum Thema

image

Münchner Arzt vor Gericht wegen Sex während Darmspiegelung

Ein Arzt soll während Koloskopien 19 Patientinnen sexuell missbraucht haben. Er sagt, die Vorwürfe seien erfunden und eine Intrige.

image

Pflege- und Ärztemangel: Rekordwerte bei offenen Stellen

Die Gesundheitsbranche bleibt führend bei der Suche nach Fachkräften. Laut dem neuen Jobradar steigen die Vakanzen in mehreren Berufen wieder – entgegen dem allgemeinen Trend auf dem Arbeitsmarkt.

image

Im Schaufenster stehen vor allem unwirksame Medikamente

Bieler Ärzte schlagen eine neue Etikette für rezeptfreie Arzneimittel vor. Sie soll zeigen, wie verlässlich die Wirksamkeit nachgewiesen worden ist.

image

Zukunftsvisionen für die Gesundheitsversorgung

Beim Roche Forum 2024 diskutierten Expertinnen und Experten zentrale Herausforderungen der Schweizer Gesundheitsversorgung und setzten wertvolle Impulse für die Zukunft.

image

Ein «Curriculum» für junge Hausärztinnen und Hausärzte

Das Spital Bülach hat eine Lösung gegen den Hausärztemangel: Es bildet Ärzte und Ärztinnen speziell fürs Zürcher Unterland aus.

image

Neuer Präsident der Gesellschaft für Dysphagie

Bartosz Bujan von der Klinik Lengg wird Nachfolger von Jörg E. Bohlender

Vom gleichen Autor

image

«Das Inselspital ist noch lange nicht über den Berg»

Das Inselspital wartete mit guten Meldungen auf. Doch der Insel-Kritiker Heinz Locher gibt keine Entwarnung.

image

So entgehen Sie dem Hochstapler-Syndrom

Viele Ärztinnen und Ärzte überfordern sich – und glauben dann selber, dass sie über ihrem Können spielen. Das ist schlecht für die Psyche.

image

«Hausarzt ist kein Beruf, den man subventionieren muss»

Ein Arzt macht vor, wie eine Berggemeinde zu medizinischer Versorgung kommt. Und er kritisiert Kollegen, die einfach ihre Praxis schliessen.