Darum sprechen psychisch Kranke oft von Krieg und Reisen

Wer unter psychischen Störungen leidet, benutzt oft Kriegs- oder Reisemetaphern, um sein Leiden zu beschreiben. Forscher wollen das nutzen.

, 5. Oktober 2022 um 14:50
image
Ist die psychische Krankheit ein Feind oder ein Hindernis auf dem Weg der Besserung? Die richtige Metapher kann bei der Heilung helfen, sagen Forscher. | Pixabay
Viele kranke Menschen - besonders Krebserkrankte - brauchen für ihre Krankheit Umschreibungen, die sich aufs Reisen oder auf Kämpfe beziehen. In einer Studie hat ein Forscherteam der Universitat Oberta de Catalunya (UOC) untersucht, wie psychische kranken Patienten und Fachleute aus der Psychiatrie solche Umschreibungen benutzen.

Feind oder Hindernis?

Interessant ist, dass die Patienten die Umschreibungen sowohl negativ für ihr Leiden als auch positiv für die Bewältigung ihrer Krankheit verwenden. Ziel des Forscherteams ist es, zu zeigen, wie die Umschreibungen möglichst positiv verwendet werden können.
Insgesamt wurden 3’200 Kriegs- und Reisemetaphern identifiziert. Alle Arten von Konflikten werden als Kriege oder Kämpfe ausgedrückt, wobei negative Aspekte als Feinde dargestellt werden. Hingegen werden viele Abläufe mit Reise-Metaphern wie Wege, Hürden, Schritte vorwärts, Schritte zurück oder Fortschritte dargestellt.

Positive Emotionen

Ein Beispiel für die positive Verwendung von Reise-Metaphern ist die Betrachtung psychischer Erkrankungen als Reisebegleiter. Das zeige, dass der Patient die Krankheit akzeptiere, was wiederum einen positiven Einfluss auf die Erfahrung des Patienten mit seiner Erkrankung haben könne, erklären die Forscher.

Kriegsmetaphern sind nicht unbedingt negativ

Überraschend ist, dass auch Kriegs-Metaphern durchaus positiv verwendet werden. «Man könnte annehmen, dass Kriegsmetaphern von Natur aus negativ sind, weil sie die Vorstellung von Konflikten vermitteln, und dass Reisemetaphern positiv sind, weil es dabei um Fortschritt geht.
Aber das ist nicht der Fall.» In Kriegsmetaphern geht es zum Beispiel oft um Kampfgeist, Handlungsfähigkeit und Selbstbestimmung, was das Selbstwertgefühl der Patienten steigern und sich positiv auf ihre Erfahrungen auswirken könne, erklären die Forscher.

Beide Formen können nützlich sein

Die Forscher stellen fest, dass sogar ein und dasselbe Thema mit unterschiedlichen Metaphern besprochen werden kann. So ist es beispielsweise nicht dasselbe, über den Kampf gegen die Ängste (ein Feind), zu sprechen, wie über die schrittweise Überwindung der Ängste (ein Hindernis auf dem Weg).
Der Unterschied besteht darin, dass Kriegsmetaphern in Situationen nützlich sein können, die Handeln und Energie erfordern, während Reise-Metaphern verwendet werden können, um einen fortlaufenden Aktionsplan mit eher zurückhaltenden Einsatz von Energie zu beschreiben.

Die innersten Gefühle ausdrücken

Die Forscher sind sich einig, dass die Analyse der Umschreibungen gut geeignet sei, um psychische Krankheiten besser zu verstehen. «Wenn man weiss, welche Metaphern in Erzählungen über psychische Störungen am häufigsten vorkommen, erhält man einen besseren Einblick in das, was Patienten wirklich denken, fühlen und erleben, und kann so ihr Leiden besser verstehen», so die Forscher.
«Die Ergebnisse könnten die Art und Weise verändern, wie wir öffentliche und professionelle Diskurse über psychische Gesundheit und sogar Behandlungen oder Therapien angehen. Es kann sehr nützlich sein, die positive Verwendung dieser Metaphern zu fördern und die negativen umzuwandeln oder zu streichen, also diejenigen, die negative Emotionen wie Verzweiflung, Angst oder Verletzlichkeit vermitteln», kommentieren die Forscher ihre Studie.

Ein Werkzeug für Therapeuten

Diese detaillierte Analyse der Metaphern und ihrer Bedeutungen könnte auch den Fachleuten bei ihren Therapiestrategien helfen. «Es kann die Kommunikation zwischen Patient und Psychotherapeut erleichtern», so die Forscher. Zu diesem Zweck haben die Forscher eine Sammlung von Metaphern, das «Diccionario de métaforas de la salud mental», erstellt. Es ist allerdings nur auf Spanisch verfügbar.

In Blogs eine Million Wörter analysiert

Die Studie basierte auf der Analyse von rund einer Million Wörtern in den persönlichen Blogs von 73 Patienten, bei denen eine der vier häufigsten schweren psychischen Erkrankungen - Depression, Schizophrenie, bipolare Störung und Zwangsstörung - diagnostiziert wurde, sowie von 22 Fachleuten aus den Bereichen Psychiatrie, Psychologie, Krankenpflege und Sozialpädagogik.

  • ärzte
  • forschung
Artikel teilen

Loading

Comment

2 x pro Woche
Abonnieren Sie unseren Newsletter.

oder

Mehr zum Thema

image

Hohe Ehre für USZ-Rheumatologen in Deutschland

Oliver Distler holt den Carol-Nachman-Preis. Sein Bruder auch.

image

Ärztemangel: Bern drohen weitere Versorgungsengpässe

Auch Fachgebiete wie die Endokrinologie, Gynäkologie und Rheumatologie sind zunehmend betroffen. Das zeigen aktuelle Zahlen der Ärztegesellschaft des Kantons Bern.

image

SAMW: Drei neue Ehrenmitglieder

Der Senat wählte zudem Arnaud Perrier zum neuen Präsidenten der Schweizerischen Akademie der Medizinischen Wissenschaften.

image

Aargauischer Ärzteverband: Neuer Präsident

Der Nachfolger von Jürg Lareida heisst Thomas Ernst.

image

Das sind die SGAIM-Preisträger

Die Schweizerischen Gesellschaft für Allgemeine Innere Medizin hat fünf Projekte mit Fokus «Sonografie» ausgezeichnet.

image

Hausarzt wehrt sich gegen Klima-Behauptungen

Ein Zeitungsartikel suggeriert, dass wir uns zwischen Gesundheit und Klimaschutz entscheiden müssten. Ein Arzt aus dem Emmental widerspricht.

Vom gleichen Autor

image

SVAR: Neu kann der Rettungsdienst innert zwei Minuten ausrücken

Vom neuen Standort in Hundwil ist das Appenzeller Rettungsteam fünf Prozent schneller vor Ort als früher von Herisau.

image

Kantonsspital Glarus ermuntert Patienten zu 900 Schritten

Von der Physiotherapie «verschrieben»: In Glarus sollen Patienten mindestens 500 Meter pro Tag zurücklegen.

image

Notfall des See-Spitals war stark ausgelastet

Die Schliessung des Spitals in Kilchberg zeigt Wirkung: Nun hat das Spital in Horgen mehr Patienten, macht aber doch ein Defizit.