Um eine Milliarde zu viel abgerechnet

Eine Doktorandin in den Diensten der Helsana untersuchte Missbrauchsfälle ambulanter Leistungen. Ihre Hochrechnung auf die ganze Branche ist aber problematisch.

, 9. April 2024 um 21:32
image
Tarifspezialist Urs Stoffel stellt die Methodik und Hochrechnung der Doktorarbeit infrage. «Auf die ganze Branche gerechnet, bezweifeln wir die 10 bis 15 Prozent stark.» | Bild: SRF
10 bis 15 Prozent der ambulanten Leistungen werden für unnötige oder gar nicht erbrachte Leistungen fakturiert. Das ergab die Doktorarbeit einer Juristin, die sie zu ihrer Tätigkeit als Juristin bei der Helsana Versicherung geschrieben hat. «Auf die Branche hochgerechnet sind dies eine Milliarde Franken», sagt sie in der Nachrichtensendung «10vor10».
Das Tricksen bei der Abrechnung medizinischer Leistungen habe System, war zu vernehmen. Die grosse Mehrheit der Leistungserbringer verhalte sich zwar korrekt, aber eben nicht alle.

Unzählige Rechnungen

Minuziös habe die Doktorandin unzählige Rechnungen analysiert. Bei Knie-MRI würden Leistungen systematisch berechnet, die gar nicht erbracht wurden. Oft sei die Behandlung durch den Facharzt abgerechnet, obwohl der Facharzt den Patienten gar nicht zu Gesicht bekommen habe.
Dieter Siegrist ist Leiter der Wirtschaftlichkeitsprüfung der Krankenkasse CSS. Er erklärte im Schweizer Fernsehen, dass die CSS mit der Missbrauchsbekämpfung 36,5 Millionen Franken korrigieren konnte.

Jetzt im Gefängnis

Der CSS-Mann erzählt von einem konkreten Arzt im Kanton Aargau, der jetzt rechtskräftig zu mehreren Jahren Gefängnis verurteilt wurde. Er habe im Fünfminutentakt Leute behandelt und zwischen 20 und 50 Minuten abrechnet, was für die CSS zu einem Schaden von 200'000 und allen Versicherten etwa eine Million Franken kosteten.
Auch Urs Stoffel von der FMH kam in der Sendung zu Wort. Er kritisierte nicht explizit den Befund, dass 10 bis 15 Prozent der ambulanten Leistungen falsch abgerechnet würden. Er monierte aber, dass diese Prozentzahl auf die gesamte Brache hochgerechnet statistisch kaum erhärtet werden könne.
  • Das Bundesgericht greift in die WZW-Ermittlungsverfahren ein: Ein Grundsatzurteil dürfte die gängigen Prozesse umkrempeln.
Noch ein Wort zum Fernsehbeitrag von «10vor10». Die Doktorandin kommt darin ausführlich zu Wort. Dass sie aber mit ihrer Doktorarbeit im Dienste von Helsana unterwegs war, haben die Fernsehmacher tunlichst verschwiegen. Nur auf der Website des Schweizer Fernsehens wurde diesbezüglich Transparenz geschaffen.
Verständlich daher die Reaktion von Urs Stoffel auf Linkedin: «Schon spannend, dass man nun das staatliche Fernsehen über die Sendung '10vor10' auch noch als Werbeträger für private Firmen und den eigenen Business Case (miss)brauchen kann zur Vermarktung des eigenen Produkts 'Tarifcontrolling' über eine Dissertation der bei der Firma angestellten Head of Legal Larisa Petrov. Und dann auch noch mit einer statistisch äusserst fragwürdigen Hochrechnung von drei untersuchten Fachgesellschaften auf die gesamte Branche. Wo bleibt da die Transparenz und Offenlegung der Interessen?»

  • Krankenkassen
  • Gesundheitskosten
Artikel teilen

Loading

Comment

2 x pro Woche
Abonnieren Sie unseren Newsletter.

oder

Mehr zum Thema

image

Gesucht: Ideen, damit weniger Pillen im Müll landen

Der Nationalrat setzt ein weiteres Zeichen, dass er die Medikamentenverschwendung bekämpfen will. Es ist nicht das erste.

image

Nun müssen Spitäler besser werden

Erstmals haben die Spitäler und Krankenkassen einen Vertrag über die Qualität ihrer Arbeit abgeschlossen.

image

«Genau: Das Kostenwachstum ist kein Problem»

Für FMH-Präsidentin Yvonne Gilli ist klar: Es braucht Kostenbewusstsein im Gesundheitswesen. Aber es braucht keine Kostenbremse-Initiative.

image

«Kein Mensch will Rationierungen»

Für Santésuisse-Präsident Martin Landolt würde die Kostenbremse-Initiative nicht zu Qualitätsverlust führen. Solange die Bundespolitik ihre Hausaufgaben macht.

image

«Die Spitäler sind selber schuld»

Santésuisse-Präsident Martin Landolt über defizitäre Spitäler, den Tardoc-Streit, ambulante Pauschalen und unnatürliche Kooperationen.

image
Gastbeitrag von Andri Silberschmidt

Gesundheitsinitiativen: Viele Risiken und Nebenwirkungen

Sie klingen verlockend. Aber die Prämien- und die Kostenbremse-Initiative fordern teure und gefährliche Experimente.

Vom gleichen Autor

image

«Frau Bundesrätin, lassen Sie den lächerlichen Streit beiseite...»

In der Ständerats-Debatte zur Kostendämpfung im Gesundheitswesen waren auch Tarmed und Tardoc ein Thema.

image

Keine Zulassungserleichterung für Orphan Drugs

Eine schnellere Zulassung für Arzneimittel bei seltenen Krankheiten hätte laut dem Bundesrat hohe Kostenfolgen.

image

Kinder- und Jugendpsychiatrie: Nun soll's der Bundesrat richten

Der Nationalrat verlangt, dass der Bundesrat in die Kompetenz der Kantone und der Tarifpartner eingreift.