Regelmässig eine Akupunktur-Sitzung – schon schwinden die Kilos, und der Weg zur Traumfigur ist frei. So einfach ist das. Und erst noch wissenschaftlich erwiesen – zumindest auf den ersten Blick. Denn eine
Studie in der angeblich renommierten medizinischen Fachzeitschrift «Frontiers in Endocrinology» zeigt, wie Akupunktur den Stoffwechsel und das Hormonsystem beeinflusst.
Wirksam ist die Radikal-Diät
Liest man die Studie, ist es allerdings unklar, ob es die Akupunktur ist, die beim Abnehmen nützt. Es heisst nämlich ausdrücklich: «Die Akupunktur allein scheint jedoch nicht klinisch wirksam zu sein, um das Körpergewicht zu reduzieren. Wir schlagen deshalb eine kombinierte Behandlung mit einer sehr kalorienarmen Diät und Akupunktur vor.»
Das heisst: Die Probanden, die erfolgreich abgenommen haben, gingen nicht nur zur wöchentlichen Akupunktur-Sitzung, sondern mussten sich gleichzeitig einer Crash-Diät unterziehen: Sie durften höchstens 450 Kilokalorien täglich zu sich nehmen. Zum Vergleich: Ernährungsfachleute empfehlen viel moderatere Diäten mit 1600 bis 1800 Kilokalorien.
Autoren betreiben Akupunktur-Praxis-Kette
Warum die Studie den Fokus auf die Akupunktur legt und die radikale Diätkur eher als Nebensache erwähnt, wird klar, wenn man die Autoren der Studie näher betrachtet.
Der leitende Arzt der Studie, Raymond Landgraaf, ist «wissenschaftlicher Leiter» der Firma Sinomedica Gui Sheng Tang. Der Gründer dieser Firma ist der Tessiner Allgemeinmediziner Massimo Fumagalli – und er ist ebenfalls Mitautor der Studie. Landgraaf und Fumagalli betonen, dass die vier andern Autoren keine Verbindung zu Sinomedica hätten und als Ärzte in der Forschung an der Universität Amsterdam arbeiten. Die Studie sei deshalb unabhängig.
Expansion geplant
In den Sinomedica-Praxen bieten die beiden Ärzte Akupunktur zum Abnehmen. Die so genannte Shou-Shen-Diät soll mit Akupunktur kombiniert «die hormonellen Prozesse im Körper wieder ins Gleichgewicht bringen und damit ein gesundes Gewicht erreichen».
Sinomedica hat Praxen in acht Schweizer Städten. Die Expansion von Sinomedica ins nahe Ausland ist in Planung. Eine Studie zum Erfolg der Praxen dürfte dabei hilfreich sein.
Publikation kostet 3000 Franken
Das wirft aber die Frage auf: Wie gelangt eine solche Werbe-Studie überhaupt in eine renommiert wirkende Fachzeitschrift? Die Antwort lautet: Weil die Autoren dafür bezahlt haben. Wer in den «Frontiers in Edocrinology» eine Studie publizieren will, muss dem Verlag rund 3000 Franken abliefern.
Dazu sagen Landgraaf und Fumagalli: «Diese Zahlung bedeutet nicht, dass die Studie nicht wissenschaftlich und unabhängig ist. Die Beiträge werden von einem unabhängigen Redaktionsausschuss geprüft.»
Der 2007 gegründet Verlag Frontiers stand allerdings wegen dieser Abgeltung schon mehrmals in der Kritik. Er arbeite nicht unabhängig und nehme unkritisch Artikel auf. Von 2019 bis 2021 hat sich die Anzahl publizierter Artikel pro Jahr von etwa 40'000 auf über 80'000 verdoppelt.
«Regt den Stoffwechsel an»
Doch zurück zur Abnehm-Therapie, die Fumagalli propagiert: Mit dem Vorwurf konfrontiert, dass er unter dem Deckmantel der Akupunktur eine ungesunde Radikal-Diät propagiere, sagte Fumagalli zum
«Blick»: «Unsere Hypothese ist, dass die Akupunktur den Stoffwechsel anregt und dadurch die in der Literatur bekannten Nebenwirkungen der Crash-Diät – also die Verringerung der Stoffwechselrate nach der Diät und anschliessender Jojo-Effekt – unterdrückt.»
Und weiter: «Daher schlagen wir eine langfristige Nachfolge- und Erhaltungsdiät mit regelmässigen Akupunktursitzungen vor, um den Stoffwechsel weiterhin anzuregen und so eine dauerhafte Gewichtsabnahme zu erreichen.» Ein ärztlicher Rat, der Fumagalli auch zu einer dauerhaften Akupunktur-Kundschaft verhelfen düfte.
Auch noch mit Mahlzeiten-Dienst im Geschäft
Geschäftstüchtig wie die Sinomedica-Betreiber sind, bieten sie auch Akupunktur in Kombination mit Menülieferungen an: Ein wöchentliches Set von 7 Mittag- und 7 Abendessen in Gläsern, streng nach dem Ernährungsprinzip der Shou-Shen-Diät zubereitet – was bei 450 Kilokalorien am Tag nicht sehr aufwändig sein dürfte.