So entgehen Sie dem Hochstapler-Syndrom

Viele Ärztinnen und Ärzte überfordern sich – und glauben dann selber, dass sie über ihrem Können spielen. Das ist schlecht für die Psyche.

, 23. August 2023 um 05:00
letzte Aktualisierung: 26. November 2023 um 10:51
image
Inbegriff einer Hochstapler-Figur: Leonardo DiCaprio in «Catch me if you can»   |   Bild: PD Dreamworks
Ausgerechnet Medizinstudierende, Ärzte und besonders Ärztinnen sind von einem Phänomen betroffen, das Hochstapler-Syndrom heisst. Wer darunter leidet, ist nicht etwa ein Hochstapler, sondern hat das – unzutreffende – Gefühl, ein Hochstapler zu sein.
Betroffene sind überzeugt davon, dass der eigene Erfolg unverdient und nicht auf persönlichen Einsatz, Fachkompetenz und persönliche Fähigkeiten zurückzuführen ist.
Warum Ärztinnen und Ärzte besonders häufig darunter leiden? Die Erwartungen an sie sind hoch. Für viele Patienten ist es selbstverständlich, dass sie ihrer Arbeit stets oberste Priorität einräumen und immer wissen, was zu tun ist, erklärt das italienische Gesundheitsportal «Univadis».
Solche Vorstellungen führen dazu, dass sich viele Ärztinnen und Ärzte überfordern und ihre persönliche Gesundheit zugunsten ihrer Arbeit vernachlässigen. Mit der Zeit entwickeln sie Angstgefühle, wenn sie ihren Patienten nicht im gewünschten Mass helfen können.

Fünf Typen des Hochstapler-Syndroms

Eine Analyse in der Medizin-Zeitschrift «Mayo Clinic Proceedings» zeigt fünf Typen des Hochstapler-Syndroms, das auch als Impostor-Syndrom bezeichnet wird.
  • Die Perfektionisten sind wegen selbst auferlegten und unerreichbaren Zielen stets unsicher.
  • Die Experten fühlen sich unzulänglich, weil sie glauben, zu wenig Kenntnisse für ihren Beruf zu haben.
  • Die Superhelden überladen sich mit Arbeit, um sich von ihren Kollegen geschätzt zu fühlen.
  • Die Naturgenies schämen sich, wenn sie sich anstrengen müssen, um eine Fertigkeit zu erlernen.
  • Die Solisten glauben, dass es ein Zeichen von Schwäche sei, andere um Hilfe zu bitten.
Alle fünf Typen haben grosse intellektuelle und berufliche Selbstzweifel. Betroffene leben in ständiger Angst davor, als Betrüger entlarvt zu werden – trotz anhaltender Erfolge, die ihre Fähigkeiten beweisen.

Sie wollen kein Lob

Solche Personen weisen Lob zurück, sind extrem selbstkritisch und schreiben ihre Erfolge dem Glück oder zwischenmenschlichen Beziehungen zu und nicht ihren eigenen Fähigkeiten, Kenntnissen und Kompetenzen.
Bereits während des Studiums sind überdurchschnittlich viele Medizinstudierende vom Phänomen betroffen. Später im Beruf kommen weitere Risikofaktoren dazu, etwa häufig wechselnde Aufgabenbereiche. Das trägt zum Gefühl bei, ein ständiger Anfänger zu sein.

Wer ist speziell betroffen?

Auch negative berufliche Erfahrungen in der klinischen Praxis spielen eine Rolle, etwa ungünstige Ergebnisse für Patienten oder Beschwerden, abgelehnte Bewerbungen oder Manuskripte, schlechte Bewertungen in Ausbildungsprogrammen oder Bewertungen der Patientenzufriedenheit.
In einer Analyse von über 3000 Ärztinnen und Ärzten aus den USA versuchten die Forscher zu beurteilen, wie stark das Syndrom verbreitet ist. Es zeigte sich, dass
  • Ärztinnen stärker davon betroffen sind als Ärzte.
  • eher Jüngere und Unverheiratete darunter leiden.
  • es an Universitätsspitälern häufiger vorkommt.
  • es bei Kinder- und Notärztinnen und -ärzten verbreiteter ist.
  • es am wenigsten in der Ophthalmologie, Radiologie und orthopädischen Chirurgie vorkommt.

So schützen sich Betroffene

Die Wissenschaftler geben Tipps für Ärztinnen und Ärzte, die sich im Berufsleben vom Hochstapler-Syndrom betroffen fühlen:
  • Erinnern Sie sich an Ihre Leistungen, die Sie zu Ihrer beruflichen Rolle geführt haben, und würdigen Sie sie.
  • Sprechen Sie mit vertrauenswürdigen Kollegen, die Ihre Leistungen bestätigen und Ihre Gefühle normalisieren können.
  • Bekämpfen Sie den Perfektionismus, indem Sie akzeptieren, dass es in Ordnung ist, gut genug zu sein, wenn man die Herausforderungen eines anspruchsvollen Berufs bewältigt.
  • Haben Sie Mitgefühl mit sich selbst.
  • Seien Sie sich bewusst, dass das Hochstapler-Syndrom häufig vorkommt, insbesondere zu Beginn des Medizinstudiums, einer medizinischen Weiterbildung oder einer neuen Stelle.

  • ärzte
  • burnout
Artikel teilen

Loading

Comment

2 x pro Woche
Abonnieren Sie unseren Newsletter.

oder

Mehr zum Thema

image

Gefeierter Arzt verliert Berufszulassung bereits wieder

Der Kanton Bern entzieht dem mit Begeisterung angekündigten Hausarzt in Boltigen die Berufsausübungsbewilligung, noch bevor er seine Praxistätigkeit aufgenommen hat.

image

So begrüsst diese Gemeinde ihren neuen Hausarzt

Eine Berner Gemeinde hat ihren neuen Dorfarzt mit viel Begeisterung in Empfang genommen.

image

Kantonsärzte: Barbara Grützmacher folgt auf Rudolf Hauri

Die Berner Kantonsärztin präsidiert ab sofort die Vereinigung der Kantonsärztinnen und Kantonsärzte der Schweiz.

image

Ärztliche Telemedizin entlastet Notfallstationen

Notfallstationen von Akut- und Kinderspitälern in der ganzen Schweiz stossen regelmässig an ihre Kapazitäts- und Belastungsgrenzen. Die Ärztinnen und Ärzte von Medgate entlasten Spitäler und Notfallstationen, indem sie eine Vielzahl von medizinischen Fällen direkt am Telefon behandeln können.

image

Tessiner Arzt schafft es mit umstrittener Diät in ein Fach-Journal

Raffinierte Werbung für eine Akupunktur-Praxis – mit einer Studie in einer angeblich renommierten Fachzeitschrift.

image

Immer mehr Ärzte denken über nicht-klinische Wege nach

Eine US-Umfrage zum Karriereplänen im Gesundheitssektor zeigt: Jeder vierte Arzt erwägt den Ausstieg aus der klinischen Praxis.

Vom gleichen Autor

image

Unzufrieden mit der Pflicht zu Rechnungskopie

Das Resultat ist wenig überraschend: Laut einer Umfrage in Praxen und Spitälern ist das Versenden von Rechnungskopien zu aufwändig.

image

Spital Einsiedeln: Der Markt soll es richten

Das Spital Einsiedeln leidet unter Personalmangel, anonym äussern Angestellte Kritik. Aber der Schwyzer Gesundheitsdirektor will sich nicht zu fest einmischen.

image

Der letzte Notfall im Tiefenau

Am 15. Dezember mittags schliesst die Notfallaufnahme des Berner Tiefenau-Spitals endgültig. Und damit die letzte Abteilung des sich leerenden Spitals.