Zürich verliert mit der geplanten Spitalregulierung den ordnungspolitischen Kompass

Der Kanton Zürich hat mit der geplanten Revision des Spitalgesetzes den ordnungspolitischen Kompass verloren. Nimmt das Gesetz die demokratischen Hürden, wird aus der Gesundheitsdirektion die Holdingzentrale aller Listenspitäler, die alles entscheidet, aber keine unternehmerische Verantwortung trägt

, 10. April 2019 um 06:02
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Der Bund setzt der kantonalen Planwirtschaft Grenzen

Wie die Kantone ihre Planwirtschaft handhaben sollen, ist im Krankenversicherungsgesetz (KVG) sowie in der Verordnung über die Krankenversicherung (KVV) geregelt. Der Bundesrat hat für die Kantone einheitliche Planungskriterien geschaffen. Die kantonalen Spitallisten sollen auf wettbewerblicher Basis insbesondere die Wirtschaftlichkeit und Qualität der medizinischen Leistungen sowie den Zugang der Patienten zu Diagnosen und Behandlungen innert nützlicher Frist sicherstellen. Und das Ganze wird in Leistungsaufträgen geregelt, die sollten in WTO-konformen Submissionsverfahren ausgeschrieben und vergeben werden, damit kein Spital benachteiligt wird.
Ich wage die These, dass unsere medizinische Versorgung ohne kantonale Planung besser funktionieren würde. Gegen Überversorgung wären rein wettbewerbliche Spielregeln mit einem strengen Kartellrecht, Vertragsfreiheit und transparenter Qualität wirksamer. Und die Gefahr der Unterversorgung in abgelegenen Gegenden wird mit Planung allein, ohne finanzielle Anreize nicht gebannt. Die Realität ist eine andere, wie Zürich zeigt. Kommt das Spitalplanungs- und –finanzierungsgesetz (SPFG) im Kantonsrat und in einem Referendum auch beim Stimmvolk durch, wird der Kanton Zürich im Comparis-Ranking der kantonalen Spitalregulierungen den Spitzenplatz verlieren. Das ist nicht im Interesse der Bürger, die Steuern sowie Krankenkassenprämien bezahlen und als Patienten auf eine gute medizinische Versorgung angewiesen sind.

Zürich will nun die KVG-Planungsgrenzen sprengen

Die Idee, den Ärzten und Spitälern mit Listen vorzuschreiben, welche Operationen sie ambulant statt stationär durchzuführen haben, wenn nicht zwingende medizinische Gründe dagegensprechen, stammt aus dem Kanton Zürich. Bereits 2015 wurden solche Ideen kommuniziert. Luzern kam ihm bei der Umsetzung schliesslich um ein halbes Jahr zuvor. Seit Mitte 2017 gilt dort eine ambulante OP-Liste. Zürich und fünf weitere Kantone folgten anfangs 2018, weitere Kantone während des Jahres 2018. Seit Januar 2019 gibt es eine schweizweit verbindliche Liste mit sechs Operationen. Die Kantone können mit eigenen Listen darüber hinausgehen.
Nun geht die Gesundheitsdirektion des Kantons Zürich mit der in die Vernehmlassung geschickten Revision des SPFGs noch ein paar Schritte weiter. Die Spitalplanung soll auf den ambulanten Bereich erweitert werden. Das ist für Planwirtschaftsfetischisten der logische Schritt nach dem Befehl, ambulant statt stationär zu operieren, damit die ambulanten Eingriffe dem Kanton nicht ausser Kontrolle geraten. Der juristische Trick ist einfach: «Spital ist Spital» wird sinngemäss argumentiert. Wenn der Kanton im stationären Bereich befiehlt, muss er es doch auch im ambulanten Bereich tun. Und nach der Logik «Spital ist Spital» bekommen die vom Kanton gesteuerten Spitäler eine unbeschränkte Weisungsbefugnis. Eine rechtliche Übertragung der Verantwortlichkeit vom Spital an Mitarbeitende oder gar an Belegärzte ist nicht möglich. Damit bekommt der Kanton auch die Kontrolle über die freipraktizierenden Ärzte.

Nachhaltigkeit mit Einjahresverträgen

Die Forderung, dass Spitäler die Leistung «nachhaltig erbringen» müssen, klingt vernünftig, modern und KVG-konform. Nachhaltig kann ein Unternehmen aber nur wirtschaften, wenn es Ressourcen ohne bürokratische Hürden effizient einsetzt und qualitativ hochstehende Leistungen erbringt, Gewinne erzielen darf und damit Innovationen finanzieren kann. Warum mit dem schwammigen Begriff der Nachhaltigkeit von den Spitälern gefordert wird, nur in bescheidenem Ausmass Gewinne erzielen zu dürfen und die Infrastruktur langfristig nutzen zu müssen, ist mir angesichts des rasanten technologischen Wandels mit immer höherem Investitionsbedarf und immer kürzeren Amortisationszyklen schleierhaft. Sind die Ökonomen in der Gesundheitsdirektion alle in einem Sabbatical? Wenn von den Spitälern Nachhaltigkeit verlangt wird, ist es doch absurd, wenn der Kanton Leistungsverträge per Ende eines Kalenderjahres kündigen darf. Wie die Nachhaltigkeit unter diesen asymmetrischen Machtverhältnissen funktionieren soll, wird in den Vernehmlassungsunterlagen nicht erläutert. Das ist aber noch lange nicht das Ende der etatistischen Fahnenstange.
Spitäler, die vom Kanton derart kontrolliert werden, sind quasi öffentliche Spitäler, egal wem sie gehören, wird man sich in der Gesundheitsdirektion gedacht haben. Also müssen alle Spitäler auf der kantonalen Spitalliste dem öffentlichen Beschaffungswesen unterstellt werden. Von einer generellen Unterstellung unter die Steuerpflicht lese ich aber nichts. Anstatt die Vergabe der Leistungsaufträge nach einem WTO-konformen Submissionsverfahren zu regeln, soll bei einem Überangebot der «gemeinnützigste» Anbieter bevorzugt wird und nicht etwa derjenige mit der besten Wirtschaftlichkeit und Qualität. Dies steht im klaren Widerspruch zum KVG. Abenteuerlich ist die Anforderung, dass Entschädigungssysteme nicht im Widerspruch zur Wirksamkeit, Zweckmässigkeit und Wirtschaftlichkeit gemäss KVG stehen dürfen. Vergütungssysteme regeln den Input, WZW den Output bzw. Outcome. Wer WZW fordert, sollte den Spitälern die Inputsteuerung überlassen. Wer Innovation und Nachhaltigkeit will, sollte den Spitälern etwas mehr als bescheidene Gewinne erlauben.

Die Gesundheitsdirektion als Holdingzentrale aller Listenspitäler

Die Gesundheitsdirektion ignoriert auch die Tarifpartnerschaft und schreibt Leistungsmengen pro Leistungsgruppe verbunden mit reduzierten Tarifen bei Überschreitung vor. Grossgeräte (MRI und CT) werden via Bewilligungspflicht rationiert. Spitäler, die für einzelne Leistungen einen Leistungsvertrag mit dem Kanton haben und deshalb auf der kantonalen Liste sind, dürfen nicht gleichzeitig Vertragsspital sein, also faktisch keine weiteren, nicht kassenpflichtigen Leistungen wie zum Beispiel Schönheitsoperationen anbieten. Die Gesundheitsdirektion wird so zur Holdingzentrale aller Listenspitäler, darf ins operative Geschäft der einzelnen Spitäler eingreifen, und widerspenstige Kliniken mit Bussen bis zu einer Million Franken bestrafen, Sockelbeiträge (55 Prozent an jede Fallpauschale) verweigern oder zurückfordern, ohne auch nur ein bisschen unternehmerische Verantwortung zu übernehmen.
Link:
Comparis-Studie über die kantonalen Spitalregulierungen: https://www.comparis.ch/comparis/press/medienmitteilungen/artikel/2016/krankenkasse/spitalregulierungsstudie/kantonale-spitalregulierung-2015
Felix Schneuwly ist Krankenversicherungsexperte beim Internetvergleichsdienst comparis.ch. Von 2008 bis 2011 war er Leiter Politik und Kommunikation beim Krankenkassenverband santésuisse, vorher Zentralsekretär des Schweiz. Blinden- und Sehbehindertenverbandes SBV sowie Generalsekretär der Föderation der Schweiz. Psychologinnen und Psychologen FSP. Er hat in Freiburg i. Ü. Journalistik und Psychologie studiert, verfügt über einen Executive Master in Business and Administration (MBA), AG.
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