Wie Krankenversicherer Ärzte verärgern

Zwei aktuelle Beispiele zeigen, wie und warum Krankenversicherer Rückzahlungen in der Höhe von Tausenden Franken bei Ärzten einfordern.

, 20. November 2018 um 08:30
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Eine auf ambulante Gynäkologie spezialisierte Allgemeinmedizinerin hatte für die Kontrolle von Vaginalzellen unter dem Phasenkontrastmikroskop jahrelang den Tarif der Gynäkologen angewandt. Diese dürfen dafür rund 29 Franken verrechnen, Hausärztinnen jedoch nur 21 Franken. Tarifsuisse forderte von ihr deshalb sämtliches Geld in der Höhe von 140'000 Franken für die letzten fünf Jahre zurück, wie die «NZZ» berichtete.
Die Ärztin aus Zürich hat im ambulanten Bereich die gleichen Weiterbildungen wie «normale» Gynäkologen absolviert. Deshalb darf sie den Titel «Allgemeine Medizin, Tätigkeitsgebiet Gynäkologie» tragen, sich jedoch nicht als Frauenärztin bezeichnen. Ein Relikt aus den 1970er und 1980er Jahren, als sich immer mehr Frauen in gynäkologischen Belangen lieber von Ärztinnen als von Ärzten behandeln lassen wollten.

«Deprimierend und verletzend»

Dass sie dafür jahrelang den falschen Tarif anwandte, war ihr nach eigenen Angaben nicht bewusst. «Weder das Bundesamt für Gesundheit noch die Krankenkassen haben uns jemals darauf aufmerksam gemacht, dass wir seit weit über zehn Jahren die offenbar falsche Tarifposition anwenden.» Irgendjemand hätte die fehlende klare Regelung doch merken müssen, sagte sie. 
Nachdem sie sich einen Anwalt genommen hat, anerkennen die Krankenkassen nun, dass zumindest der Hausärztetarif verrechnet werden darf. Nach weiteren Verhandlungen liegt die Forderung noch bei 14'000 Franken, die Verhandlungen laufen weiter. Letztendlich gehe es der Ärztin ums Prinzip. «Diese ganze Geschichte ist deprimierend und verletzend», wird sie im Bericht der «NZZ» zitiert. 

Delegationsmodell: KPT schickt Brief an 100 Ärzte

Auch ein anderer Fall verärgert derzeit einen Teil der Ärzteschaft: Die Krankenkasse KPT hat rund 100 Psychiatern und Hausärzten einen Brief geschickt. Darin steht, dass die Abrechnung von Therapien durch Psychotherapeuten zu Unrecht erfolgt sei. Der Grund: Die Mediziner hätten den Patienten nie zu Gesicht bekommen. Die «NZZ» berichtet von einem Arzt aus der Region Bern, der 300'000 Franken zurückerstatten soll. Das Geld hat er über fünf Jahre hinweg für die Arbeit von drei angestellten Psychotherapeuten erhalten und diesen vor dem Hintergrund des Delegationsmodells als Lohn ausbezahlt. 
Die Krankenkasse stützt sich unter anderem auf ein Urteil des Bundesgerichts aus dem Jahr 2016, in dem steht, der Mediziner müsse während der gesamten Therapie einen «ausreichend intensiven persönlichen Kontakt» zum Patienten pflegen. Der Arzt müsse in der Lage sein, von Fall zu Fall zu entscheiden, ob delegiert werden könne, schreibt die KPT in ihrem Brief an die Ärzte.
Anders sieht dies Rechtsprofessor Ueli Kieser von der Universität St. Gallen: «Ein Psychiater kann im Einzelfall zum Schluss kommen, dass eine Diagnose allein aufgrund des Aktenstudiums gestellt werden kann», sagt Kieser gegenüber der «NZZ». Eine delegierte Psychotherapie könne zudem wirksam, zweckmässig und wirtschaftlich sein, auch wenn der Psychiater den Patienten nicht persönlich gesehen habe.

Psychologen wollen Volksinitiative

Viele Psychologen hätten bereits auf das Vorgehen der KPT reagiert und nähmen nur noch Patienten mit Zusatzversicherung oder Selbstzahler auf, heisst es. Wollen die Psychologen Geld von der Grundversicherung, müssen sie sich von einem Arzt anstellen lassen und in dessen Räumlichkeiten tätig sein. Für den Psychologenverband FSP  ist das schon länger ein Dorn im Auge: Der Verband fordert, dass psychologische Psychotherapeuten nach einer einmaligen Anordnung durch einen Arzt selbständig über die Grundversicherung abrechnen können – ähnlich wie beispielsweise die Physiotherapeuten.
Gesundheitsminister Alain Berset stellte sich bisher bekanntlich aus Angst vor Kostensteigerungen aber quer. Fraglich ist überhaupt, ob eine solche Praxisänderung zu tieferen Kosten führen würde. Am Freitag wollen drei Psychologieverbände dem Bundesrat mehr als 3'500 Briefe von Psychologen übergeben, in denen diese ein Ende der «Diskriminierung» fordern. Geplant ist auch eine Petition. Und als letztes Mittel drohen die Psychologen mit einer Volksinitiative, um ihre Forderung durchzusetzen. 
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