Wenn der Hausarzt im Dorf aufhört...

Professionelle Arztpraxis-Firmen: Immer häufiger übernehmen sie das Ruder, wenn ein Hausarzt aufhört. Lohnt sich das für die Ärzte?

, 5. April 2021 um 06:11
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Hört irgendwo ein Hausarzt auf oder will kürzertreten, springen sie ein: Firmen, die neue Praxiszentren und Gemeinschaftspraxen aufbauen und sie betreiben. Praxamed ist mit ihren 50 Ärztezentren eines der grösseren solchen Unternehmen.
Medinside wollte wissen: Was bringt eine solche Firma den Ärztinnen und Ärzten? Gewinnen sie tatsächlich mehr Freiheit und Freizeit? Und wie hoch ist der Preis, den Sie dafür zahlen? Bernard Sallin, Mitglied der Geschäftsleitung und Projektleiter bei Praxamed, stand Red und Antwort:
Herr Sallin, bei vielen Ärzten und Ärztinnen haben Firmen wie Ihre nicht gerade einen guten Ruf. Vielleicht auch deswegen, weil letztes Jahr etliche gutgläubige Ärzte von der Firma «Mein Arzt» betrogen wurden und ihre Praxis wieder schliessen mussten. Haben Sie gute Argumente, warum man Ihnen vertrauen kann?
Wir sind unseres Wissens die einzigen in der Schweiz, welche die Ärztezentren in die Hand der Ärzte geben und sie dabei finanziell unterstützen. Wir sind also keine Investoren, welche die Arztpraxen übernehmen. Der schlechte Ruf, den Sie ansprechen, kommt vermutlich daher, dass Ärzte ihr Lebenswerk nicht gerne in die Hände eines Investors geben, sondern lieber Ärzte als Nachfolger haben.
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Kein Arzt - und trotzdem führt er Arztpraxen: Bernard Sallin ist Finanzspezialist und Projektleiter bei Praxamed. | PD
Dann sind die Ärzte also nicht bei Ihnen angestellt?
Nein. Sie sind jeweils bei den einzelnen Praxen angestellt. Bei diesen können sie sich gleichzeitig als Aktionäre beteiligen, können also Unternehmer werden. Auch Praxamed hat übrigens an den Praxen jeweils eine Minderheitsbeteiligung. Damit wollen wir zeigen, dass wir eine Praxis nicht nur aufbauen, sondern auch langfristig dahinterstehen und das Risiko mittragen.
Sie nehmen Ärzten und Ärztinnen die Planung und den Betrieb ihrer Praxis ab. Kann sich ein Ärzte-Team nicht auch ohne ihre Hilfe zu einem Praxiszentrum zusammenschliessen?
Sie könnten schon. Aber in der Ausbildung der Ärzte und Ärztinnen sind Betriebswirtschaft, Personalführung und Organisation kein Thema. Dazu kommt: Der Aufbau einer modernen Praxis ist aufwendig und teuer. Und wer mit 35 Jahren eine halbe Million Franken aufnehmen muss, geht ein grosses Risiko ein. Deshalb kümmern wir uns auch um die Finanzierung. Wir nehmen den Ärztinnen und Ärzten mit unserer Arbeit einen sehr grossen Teil der Anfangssorgen ab. Trotzdem können sie beim Aufbau der Praxis mitentscheiden.
Sie führen selber fünf Arztpraxen, sind aber kein Arzt, sondern Betriebswirtschafter. Wissen Sie denn wie man eine Arztpraxis führt?
Wir begleiten die Ärztezentren: In einigen als Geschäftsführer, in einigen als Berater, als Verwaltungsräte oder als Finanzverantwortliche. Das bedeutet aber nicht, dass wir den Ärztinnen und Ärzten im medizinischen Bereich dreinreden. Die medizinische Führung ist definitiv nicht meine Aufgabe. Die Ärzte und Ärztinnen haben in ihrer Kernkompetenz, dem medizinischen Bereich, völlige Freiheit.
Gibt es überhaupt noch Hausärzte, die eine Einzelpraxis eröffnen?
Nur etwa drei Prozent der jungen Ärztinnen und Ärzte wollen in einer Einzelpraxis arbeiten. Es sind praktisch nur noch Ärzte, die aus dem Ausland einwandern, die eine Einzelpraxis eröffnen oder übernehmen. Die meisten anderen Ärzte wollen mit Kolleginnen und Kollegen zusammenarbeiten, damit sie zum Beispiel schwierige Fälle besprechen können. Und sie wollen auch Teilzeit arbeiten und sich abgrenzen können. Also nicht noch zwischen den Einkaufsregalen oder um Mitternacht aus dem Bett Diagnosen stellen müssen.
Lohnt es sich für einen Arzt oder eine Ärztin, mit Ihnen zusammenzuarbeiten – in Franken ausgedrückt?
Die Lohnmodelle sehen vor, dass ein Arzt oder eine Ärztin nach dem Wechsel in ein Ärztezentrum gleich viel oder mehr verdient als vorher in der Selbstständigkeit. Das ist möglich, weil in einer Gemeinschaftspraxis die Fixkosten – etwa für teure Geräte - aufgeteilt werden. Ausserdem kann Praxamed die administrativen Arbeiten viel effizienter erledigen. Aber Sie haben ja nach Zahlen gefragt: Wenn unsere Ärzte und Ärztinnen20 bis 24 Patienten pro Tag behandeln, verdienen sie gut. Das können wir mit Fug und Recht behaupten.
Und was verdient Praxamed dabei? Was kostet es eine Ärztin oder einen Arzt, wenn sie sich von Ihnen ein Praxiszentrum planen und betreiben lassen wollen?
Wir haben unterschiedliche Angebote – vom vollen Paket bis zu einzelnen Dienstleistungen. Aus diesem Grund lassen sich die Kosten, welche den Ärztezentren erwachsen, nicht beziffern.
Wer sind eigentlich Ihre Kunden: Ärzte, denen das Risiko zu gross ist, selber eine Praxis zu eröffnen, oder Gemeinden, die ein hausärztliche Praxis im Dorf haben möchten?
Beides. Es kommen Ärzte zu uns, die eine würdige Nachfolge suchen. Es haben aber auch schon in Gemeindepräsidenten angerufen und gesagt: Wir haben ein Problem. In zehn Jahren geht unser letzter Hausarzt in Pension. Dann finden wir für die Gemeinde eine Lösung.
Im emmentalischen Wynigen geschah es kürzlich, dass ihre Firma nicht zum Zug kam (Medinside berichtete hier) und eine andere ein Praxiszentrum eröffnete. Warum?
Der Hausarzt, der seine Praxis aufgeben wollte, hat sich schliesslich entschlossen, selber in seiner Praxis eine Nachfolge zu organisieren.
Praxamed führt derzeit 50 Praxen in der Schweiz. Wie viele haben Sie eröffnet, die wieder geschlossen wurden?
Eine. Sie wurde ein halbes Jahr nach der Eröffnung wieder geschlossen, da die Nachfrage zu gering war. Daraus haben wir gelernt. Ohne mindestens einen Arzt, der seine Praxis abgeben will, würden wir heute kein Ärztezentrum mehr aufbauen.
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