«Was einst als exotische OP galt, gehört heute am USZ fest zum Programm»

Matthias Waldner führt am USZ geschlechtsangleichende Operationen durch. Der Chirurg erzählt im Interview von seinem Handwerk und von gerührten Patientinnen.

, 24. September 2021 um 08:30
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Herr Waldner, Forscher vermuten, dass einer von 200 Menschen transgender ist. In der Schweiz würden somit rund 40’000 Transmenschen leben. Ein paar Tausend entscheiden sich für eine geschlechtsangleichende Operation. Auch Sie führen als Oberarzt in der Klinik für Plastische Chirurgie und Handchirurgie am Universitätsspital Zürich (USZ) solche Operationen durch. Lassen sich mehr Männer zu Frauen umoperieren oder verhält es sich gerade umgekehrt?
Geschlechtsangleichungen von Mann zu Frau sind deutlich häufiger. Es gibt also deutlich mehr Transfrauen als Transmänner – das Verhältnis beträgt circa drei zu eins. Das spiegelt sich auch in den Sprechstunden wider.
Vom Coming-out bis zur etwaigen operativen Geschlechtsangleichung: Der Weg, den Betroffene gehen, ist oft steinig und lang. Wann kommen Sie als Chirurg ins Spiel?
Die Chirurgie befindet sich meist relativ weit am Ende des Prozesses. Patientinnen und Patienten wurden in der Regel schon mehr als ein Jahr lang von Psychologen oder Psychiatern begleitet sowie ein Jahr lang mit Hormonen behandelt. Eine Hormontherapie ist für eine geschlechtsangleichende Operation jedoch nicht zwingend ein Jahr lang notwendig. Bei einem Brustaufbau hingegen schon. Denn bei Transfrauen kann sich die Brust mithilfe weiblicher Hormone stark verändern, deshalb wartet man ein Jahr zu, bevor dann gegebenenfalls noch ein chirurgischer Eingriff vorgenommen wird. Der Zeitpunkt, wann und welche operative Angleichung eine Patientin oder ein Patient sucht, ist sehr individuell; tendenziell wünschen jüngere Transmenschen rascher eine chirurgische Behandlung.
Wie viele geschlechtsangleichende Operationen wurden im vergangenen Jahr am USZ durchgeführt?
Wir machen rund 35 geschlechtsangleichende Operationen pro Jahr. Das sind rein primäre genitalangleichende Operationen, ohne Brust-, Gesichts-, Korrekturoperationen etc. – dann wären es nämlich deutlich mehr. Ich versuche, eine Operation pro Woche, abzüglich Ferien, Feiertage etc., vorzunehmen. Die Wartezeit für eine geschlechtsangleichende Operation beträgt am USZ mindestens sechs Monate – wir sind bei der Planung derzeit bereits im März kommenden Jahres.
Wie lange führen Sie schon operative Geschlechtsanpassungen durch?
Seit 2018 nehme ich diese selbständig vor. Mein Vorgänger Richard Fakin hat eine neue Operationstechnik aus Thailand, die sogennante Preecha-Methode, nach Zürich gebracht; seit 2015 arbeiten wir am USZ nach dieser Methode. Erste geschlechtsangleichende Operationen assistierte ich aber bereits 2012 während meiner Ausbildung. Damals wurde aber noch mit anderen Techniken operiert.
Wie funkioniert die Preecha-Methode?
Bei der Operationstechnik, die in Europa, Asien und in den USA weitverbreitet ist, handelt es sich um die sogenannten PSI-Technik. PSI steht für penile skin inversion: Die Penishaut wird eingestülpt, aus ihr wird die Neovagina geformt. Die Variation nach Preecha, die wir dann machen, um ein besseres ästhetisches Resultat zu erzielen, betrifft vor allem die Formung der Klitoris, der Harnröhre und der kleineren Schamlippen.
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Die Grafik zeigt das Auslösen der Harnröhre und die Schnittführung zur Markierung der Neo-Klitoris. (USZ, Manuel Ruoss)
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Querschnitt des Beckens nach einer penile skin inversion. (USZ, Manuel Ruoss)
Beschreiben Sie die einzelnen Operationsschritte.
Die Operation besteht zwar aus vielen einzelnen Schritten, wird aber an einem Stück durchgeführt. Sie dauert in der Regel rund fünf Stunden. Zuerst wird zwischen dem Dickdarm und der Harnröhre beziehungsweise der Prostata eine Höhle geschaffen. Anschliessend erfolgt die Entfernung der Hoden und die Harnröhre wird aus dem Penisschaft abgelöst. Die Haut für die Neovagina wird vom Penis abgelöst, danach werden beide Schwellkörper des Penis entfernt. In einem nächsten Schritt wird ein Stück der Eichel freigelegt – die Blutgefässe, welche die Eichel quasi versorgen, und der Nerv, der für die Sensibilität sorgt, werden dabei geschont. Aus dem Stück Glans werden die Klitoris und aus der Vorhaut die kleinen Schamlippen geformt. Die Harnröhre wird gekürzt und darunter angelegt. Die äusseren Schamlippen lassen sich aus der Haut des Hodensacks formen und die Haut des Penisschafts wird benutzt, um die Neovagina zu bilden. Zuletzt wird die Neovagina mit einem Kondom, das mit Gazen gefüllt ist, tamponiert. Das bleibt dann fünf Tage drin, damit alles gut verheilen kann. Während dieser Zeit wird ein Blasenkatheter eingesetzt. 

Wann entlassen Sie Ihre Patientinnen?

Der erste Verbandswechsel erfolgt in der Regel fünf Tage nach der Operation. Danach wird es zur Aufgabe der Patientin, ihre Wunde selbst zu versorgen: Die Neovagina muss gepflegt, gereinigt und auch gedehnt werden. Damit die Patientin weiss, wie sie dabei am besten vorgeht, wird sie von einer Advanced Practical Nurse, die auf Transfrauen spezialisiert ist, instruiert – sowohl vor als auch nach der Operation. Die Patientin erhält vor ihrem Operationstermin ebenfalls ein Set mit Verband- und Verbrauchsmaterial. Darunter befinden sich auch Dilatatoren, mit denen sie ihre Neovagina dehnen muss. Zudem gibt es eine Informationsbroschüre und ein animiertes Video zur Instruktion der Wundpflege. Die Patientin kann meistens nach acht bis zehn Tagen nach Hause gehen.

Bleibt das Lustempfinden nach dem operativen Eingriff erhalten?

Rund 90 Prozent unserer Patientinnen sind orgasmusfähig; die sexuell aktiven Patientinnen haben ein gutes Lustempfinden, wie unsere Sexualanamnesen zeigen, die wir nach der Operation erheben. Interessanterweise spielt die Penetration für viele Patientinnen keine bedeutende Rolle, viele verzichten sogar darauf – Intimität geht auch anders.
Wie häufig kommt es zu Komplikationen nach einer geschlechtsangleichenden Operation?
Schwere Komplikationen haben wir am USZ zum Glück sehr selten. Bei der primären Operation kommt es höchst selten zu schweren Komplikationen. Bei Revisionseingriffen hingegen treten Schwierigkeiten deutlich häufiger auf. Kleinere Komplikationen, z.B. Wundheilungsstörungen, sind nach einer geschlechtsangleichenden Operation allerdings recht häufig, sie lassen sich aber gut ohne weitere Operation behandeln. Hier bieten wir Termine in unserer spezialisierten Pflegesprechstunde an, wo regelmässige Kontrollen und Beratung zur Wundpflege erfolgen.
Welche Herausforderungen bringt eine geschlechtsangleichende Operation für Sie mit sich?
Eine Herausforderung technischer Natur besteht etwa darin, den Dickdarm oder die Harnröhre nicht zu verletzen. Eine solche Verletzung kann schwerwiegende Konsequenzen haben. Deswegen ist es im Operationsaal während der ersten Stunde sehr ruhig, alle sind konzentriert. Ist der erste Operationsschritt geschafft, ist die Atmosphäre sogleich entspannter. Ebenfalls nicht immer einfach ist es, eine perfekte Symmetrie zu schaffen, die so schön respektive so natürlich wie möglich aussieht.
Was fasziniert Sie an der «handwerklichen Kunst» im Intimbereich?
(überlegt) Es ist wundervoll, etwas komplett Neues erschaffen zu können. Je häufiger man die Operation macht, desto mehr kann man auf Details achten. Es geht darum, etwas zu schaffen, das funktioniert und ästhetisch anspruchvoll ist. Diese Kombination aus Funktion und Ästhetik fasziniert mich allgemein an der plastischen Chirurgie.
Wie steht es mit der Zufriedenheit Ihrer Patienten und deren Rückmeldungen?
Kürzlich bedankte sich eine Patientin bei mir und brach in Tränen aus. Sie sagte, ich hätte ihr das Leben gerettet, weil sie als Mann so nicht mehr hätte weiterleben können. Sie sei so glücklich, dass alles so gut geklappt habe. Natürlich ist es nicht immer so dramatisch, aber die Feedbacks, die ich erhalte, sind grösstenteils positiv. Es ist für mich sehr erfüllend zu sehen, wie ich mit dem, was ich tue, Menschen helfen und auch glücklich machen kann.
Bislang sprachen Sie ausschliesslich über chirurgische Eingriffe, die Sie an Männern vornehmen oder vorgenommen haben. Eine Geschlechtsanpassung von Frau zu Mann ist wohl um einiges diffiziler…
Ja, das ist tatsächlich komplexer. Um einen Neopenis zu schaffen, gibt es verschiedene Techniken. So kann etwa lediglich aus dem Gewebe, das im weiblichen Genital vorhanden ist, ein penisähnliches Organ geformt werden. Die Technik, die im Fachjargon Metoidioplastik genannt wird, hat den Vorteil, dass kein Gewebe verpflanzt und nichts Grosses an der Harnröhre gemacht werden muss. Dementsprechend kommt es zu weniger Komplikationen bei den Patienten. Andererseits ist das ästhetische Ergebnis nicht so befriedigend wie etwa bei der klassischen Operation, der Phalloplastik.
Bei der Phalloplastik wird das sogenannte Penoid aus Haut- und Unterhautgewebe, einschliesslich Nerven und Blutgefässen, des Unterarms gebildet. Bitte erklären Sie, wie Sie dabei vorgehen.
Sie müssen sich das so vorstellen (holt ein Blatt Papier hervor): Das ist jetzt der entfernte Vorderarmlappen, der über die Arteria radialis ernährt wird und sensible Nerven beinhaltet. Zuerst wird der Hautlappen ein Stück weit auf die eine Seite eingerollt (zeigt es vor) und dann vernäht. Mit dem restlichen Hautlappen wird eine zweite «Rolle» geformt, die aber aussenherum läuft (rollt das Papier auf die andere Seite ein). Es besteht nun eine Innen- und Aussenhaut. Innen ist die Neoharnröhre und aussen die neue Penishaut. Im Bereich des Venushügels wird anschliessend ein Stück, das einen Durchmesser von rund vier Zentimetern aufweist, weggeschnitten. Dort wird das Penoid eingenäht. Zuvor wird es aber an die lokalen Blutgefässe angeschlossen, um die Durchblutung zu gewährleisten. Zudem werden sowohl ein Klitoralnerv als auch ein sensibler Bauchnerv an die Nerven des Vorderarmlappens respektive des Penoids angeschlossen. Nachdem alles eingeheilt ist, wird in einem zweiten Schritt die Neoharnröhre mit der Harnröhrenmündung verbunden, damit aus dem Neophallus uriniert werden kann. Die Hodensackplastik lässt sich aus den grossen Schamlippen formen. Wenn gewünscht, kann zusätzlich eine Penisprothese eingebracht werden; mit dieser kann der Patient eine Erektion erzeugen.
«Transmann bringt Baby zur Welt»: Gibt man diese Begriffe bei Google ein, erhält man mehr als 5,5 Millionen Suchergebnisse. Auch wenn man im Netz auf Fotos von schwangeren Transmännern stösst, ist die Wahrscheinlichkeit sehr gering, einem solchen einmal über den Weg zu laufen. Personen mit Baartwuchs und kugelrundem Babybauch: Das ist alles andere als natürlich – solche Bilder sind verstörend.
Die Wünsche der Patientinnen und Patienten sind nicht immer umsetzbar. Es gibt z.B. Transmänner, die sich einen Penis wünschen, die aber gleichzeitig ihre Gebärmutter behalten möchten, um selbst Kinder haben zu können. Einen solchen Fall ist mir zwar persönlich noch nie begegnet, an Kongressen aber habe ich schon darüber diskutiert. Am USZ würden wir keine solchen Operationen durchführen, da alle Transmänner eine Hysterektomie vor der Phalloplastik durchführen. 
Vor ein paar Monaten äusserten Sie sich gegenüber «Nau.ch» über den «leichten Zuwachs» geschlechtsangleichender Operationen, die sich auch am USZ trotz Covid-19-Einschränkungen beobachten liessen. Sie sagten zudem: «Wir erleben einen deutlichen Anstieg von minderjährigen Personen, welche eine chirurgische Geschlechtsangleichung wünschen.»
Die minderjährigen Patientinnen und Patienten, die in Begleitung ihrer Eltern zu mir kommen, sind meistens im 16. oder 17. Lebensjahr. Zuvor wurden sie in der Regel von Kinderpsychologen und Kinderhormonspezialisten betreut. Am USZ verzeichnen wir vor allem junge Transfrauen – junge Transmänner sind seltener. Da die Geschlechtsteile junger Menschen, die bereits eine Behandlung mit pubertätsblockierenden Hormonen gemacht haben, sich anders entwickeln, wenden wir bei der Operation häufig andere Techniken an. Bei der Dickdarm-Vagina etwa arbeitet die Plastische Chirurgie eng mit der Viszeralchirurgie zusammen. Während die Viszeralchirurgen mittels Schlüssellochtechnik über den Monitor ein Stück Darm freilegen, dieses vom Rest des Darms absetzen und es in die Position der Vagina bringen, wird es von uns dann verbunden. Mit dieser Technik wird die Neovagina genug tief, denn die Haut des Penis gibt meist zu wenig her, um eine ausreichende Tiefe in der Neovagina zu erhalten.
«Irreversible Damage: The Transgender Craze Seducing Our Daughters» (Unumkehrbarer Schaden: Der Transgender-Wahn, der unsere Töchter verführt): Diesen Titel trägt das Buch der amerikanischen Journalistin Abigail Shrier. Es ist vor rund einem Jahr erschienen und wurde von vielen Medien nicht rezensiert; in den USA wurde gar zum Boykott des Buches aufgerufen. Shrier schreibt u.a., dass seit 2007 die Anzahl der Genderkliniken in Amerika von gerade einmal zwei Einrichtungen auf weit über 50 angestiegen sei. Die Zahl der an Frauen vorgenommenen Gender-Operationen habe sich in den USA zwischen 2016 und 2017 vervierfacht. Sollte dieser «Boom» nicht beunruhigen?  
Genderdysphorie und Transsexualität sind auch hierzulande Themen, die in der Gesellschaft sichtbarer geworden sind. Es machen sich mehr Menschen Gedanken darüber, verglichen mit früher. Von einem gefährlichen Trend oder dergleichen würde ich als Chirurg aber nicht sprechen. Man kann ja nur eine Dienstleitung anbieten, bei der auch eine Nachfrage besteht. Ist man als Patientin oder Patient im Thema «trans» einmal drin, muss man allerdings aufpassen, dass man nicht ‹streamlined›; der ganze Prozess bis zur etwaigen Operation sollte nicht in einem Ruck geschehen. Ich finde es wichtig, dass sich Transmenschen genug Zeit nehmen, um ihre Gefühle wahrzunehmen und dass sie diese auch ausleben – sie müssen ja nicht gleich beim Chirurgen landen. Klar, als Mediziner möchte man seinen Patienten nie etwas vorenthalten, dennoch sollte man bei einem unguten Gefühl auch sagen dürfen: ‹Nein, ich mache das jetzt nicht›, ohne dabei gleich verurteilt zu werden. Schliesslich tragen wir als Chirurgen auch eine Verantwortung für das, was wir tun.
Neben operativen Geschlechtsanpassungen nehmen Sie auch andere körpermodifizierende Behandlungen vor – welche ist besonders beliebt?
Mammaaugmentationen, welche jedoch im weiteren Sinne zu den geschlechtsangleichenden Behandlungen gehören, sind am meisten gefragt. Meist werden Silkonimplantate verwendet, es gibt jedoch auch andere Techniken. Die Nachfrage nach Gesichtsfeminisierungen hat sehr zugenommen. Um das Gesicht eines biologischen Mannes weiblicher zu machen, können etwa die ausgeprägten Knochen an der Stirnwulst abgeschliffen und die Augenbrauen angehoben werden. Die Haarlinie kann tiefer gesetzt, die Nase femininer gemacht und der Adamsapfel entfernt werden. Ob Laserbehandlung für Baarthaare, Gebärmutter- oder Brustdrüsenentfernung bei Transmännern: Für jeden Bereich ist ein Spezialist zuständig – wir arbeiten interdisziplinär.
Am USZ gibt es denn auch ein interdisziplinäres Genderdysphorie-Team, das Menschen mit einer Inkongruenz der Geschlechtsidentität begleitet und behandelt. Seit wann besteht dieses?
Das Team wurde 2014 mit der Idee gegründet, dass sich Vertreter verschiedener medizinischer Disziplinen des USZ austauschen und sich etwa bei Problemen in der Behandlung auch gegenseitig unterstützen können. Dieses Team ist sehr wichtig, da in diesem vor allem kompliziertere Fälle durch verschiedene Fachpersonen diskutiert werden können. Es hilft uns, neue Herausforderungen besser wahrzunehmen und Lösungen für unsere Patientinnen und Patienten zu finden.
Die Plastische Chirurgie arbeitet beispielsweise auch eng mit der Phoniatrie zusammen. Für Transmenschen, die sich für eine geschlechtsangleichende Operation entscheiden, empfiehlt sich eine logopädische Behandlungen mit Stimm-, Modulations- und Sprechtraining.
Die Stimme hat eine enorme Auswirkung: Nimmt das Gegenüber die Person als Frau oder als Mann wahr? Das USZ bietet eigens für Transmenschen eine Sprechstunde an, die ein Stimmtraining machen möchten. Es besteht auch die Möglichkeit zur Stimmlippenchirurgie. Die logopädische Behandlung und auch die chirurgische Behandlung für Stimmlippen und Adamsapfel sind sehr gefragt.
Der Sexualforensiker Felix Abraham berichtete 1922 in der Zeitschrift für Sexualwissenschaft wohl von der ersten operativen Genitalumwandlung: «Die Kastration hat sich, wenn auch nicht weitgehend, so ausgewirkt, dass der Körper voller wurde, der Bartwuchs nachliess, Brustansatz sich bemerkbar machte und auch das Fettpolster des Beckens […] weiblichere Formen annahm.» Der Mann, der sich kastrieren hatte lassen, hiess Rudolph Richter. Der Bericht über seine Genitalumwandlung wurde 1931 publiziert. Ein Jahr zuvor entschied sich auch der dänische Maler Einar Wegener – bekannt als Lili Elbe – für eine geschlechtsanpassende Operation. Einige Monate nach der vierten Operation kam es aber zu Komplikationen, an denen Lili Elbe verstarb. Heute sind operative Geschlechtsanpassungen sehr sicher. Auch zu schweren Komplikationen kommt es sehr selten, wie Sie bereits erwähnten. Der medizinische Fortschritt muss Sie gewiss beeindrucken…? 
Ja, es hat eine extreme Entwicklung stattgefunden, auch bezüglich Qualität. Was einst als exotische Operation galt, gehört heute am USZ fest zum Programm. Früher reisten viele Patientinnen und Patienten für eine geschlechtsangleichende Operation ins Ausland, insbesondere nach Thailand. Eine Nachbehandlung in der Schweiz war allerdings schwierig, der Chirurg war ja weit weg. Am USZ steht den Patientinnen und Patienten eine erfahrene, spezialisierte Ansprechspartnerin zur Seite, die sie vor und nach der Operation berät und unterstützt. Die Abläufe sind standardisiert. Meine Sprechstunden sind gut gebucht – und dies zu einem Grossteil mit Transmenschen. Da gibt es etwa den 17-Jährigen, der lieber eine Frau sein möchte. Die Mutter, die jetzt Papa heisst. Oder die Seniorin, die sich mit 70 Jahren noch für eine geschlechtsangleichende Operation entscheidet, weil sie in einem Bikini in die Badi gehen möchte. Meine Patientinnen und Patienten sind so divers wie ihre Geschichten. 
Zur Person
Matthias Waldner stammt ursprünglich aus Meran (Südtirol). Sein Studium absolvierte er an der Medizinischen Universität Wien. Der 38-Jährige arbeitet seit 2009 am Universitätsspital Zürich (USZ): Die Basisausbildung absolvierte er in den Abteilungen für Viszeral- und Transplantationschirurgie sowie in der Traumatologie, später war er als Assistenzarzt Plastische Chirurgie tätig. Von 2015 bis 2016 war er im Rahmen eines Forschungsstipendiums als wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Universität Pittsburgh in der Abteilung für Plastische Chirurgie tätig. Der Facharzt für Plastische, Rekonstruktive und Ästhetische Chirurgie ist seit 2018 Oberarzt in der Klinik für Plastische Chirurgie und Handchirurgie am USZ. 
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