Vergiss die Konfession; es lebe die Spiritualität

Das Coronavirus hat Politik, Gesellschaft und insbesondere das Gesundheitswesen fest im Griff. Andere Themen gehen vergessen, zum Beispiel dass die Spitalseelsorge einem allmählichen Wandel unterworfen ist. Unser Beitrag zum Osterfest.

, 9. April 2020 um 22:20
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Die beiden grossen Landeskirchen verlieren laufend Mitglieder. Und wer aus der Kirche austritt und nicht mehr bereit ist, Kirchensteuern zu bezahlen, kann grundsätzlich nicht auf die Dienste der Kirche zählen - ausser man liegt im Spital. 
Für Pascal Mösli, Beauftragter Spezialseelsorge der Reformierte Kirche Bern-Solothurn-Jura, geht die Spitalseelsorge über die Konfession hinaus. «Die heutige Spitalseelsorge begleitet Menschen in ihren spirituellen Bedürfnissen, Anliegen und Krisen und ist keineswegs auf Religiosität oder Konfessionalität fokussiert», sagt er.

«Ich bin für den Menschen da»

Das deckt sich mit den Aussagen von Axel Fabian, der am Kantonsspital Winterthur das Team der reformierten Seelsorge leitet. Er erklärte in einem Interview: «Ich bin grundsätzlich für den Menschen da.» Das Interview lesen Sie hier.
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Axel Fabian, Spitalpfarrer in Winterthur:.«Wir begleiten die muslimischen Frauen und Männer, die hier ein Praktikum absolvieren.»
Die Schweiz wäre nicht die Schweiz, wenn die Spitalseelsorge organisatorisch einheitlich aufgestellt wäre. Auch der Lohn sprudelt je nach Kanton aus unterschiedlichen Quellen; manchmal ist es die Landeskirche, manchmal der Kanton, manchmal das Spital und manchmal alle zusammen. Mehr dazu lesen Sie hier.

Reformiert oder katholisch?

Ob dann der Patient katholisch, reformiert oder zur wachsenden Gruppe der Konfessionslosen gehört, ist für die Seelsorger  zweitrangig. «Wir arbeiten als Team ökumenisch», sagt Hanspeter Schärer, reformierter Pfarrer am Kantonsspital Zug und am Kinderuniversitätsspital in Zürich.
Generell ist zu beobachten, dass die Zusammenarbeit zwischen den Konfessionen intensiviert wird. Vom Kantonsspital Graubünden beispielsweise ist zu erfahren, dass sich die Seelsorger beider Konfessionen seit diesem Jahr punkto Pikett, Gottesdienste und Abteilungen gemeinsam organisieren. «Alle Parallelitäten sind abgeschafft», heisst es. Die Seelsorger pflegten in gemeinsamen Sitzungen Weiterbildung und gemeinsames Lernen.

Historischer Meilenstein im Aargau

Nochmals einen Schritt weiter gehen die Landeskirchen im Kanton Aargau, wie sie das Anfang Dezember 2019 in einem Communique mitteilten. Sie sprechen von einem «historischen Meilenstein.» Medinside berichtete hier.
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Hans Niggeli, «Wir machen nicht nur ökumenische Seelsorge; wir verantworten ökumenische Seelsorge.» Niggeli ist Leiter der Fachstelle Spital-, Klinik- und Heimseelsorge bei der Römisch-Katholischen Kirche im Aargau.
«Die neue ökumenisch verantwortete Seelsorge stellt die Tätigkeit dieser Seelsorgerinnen und Seelsorger auf eine völlig neue Grundlage, die in der Schweiz in dieser Form der engen Zusammenarbeit der Landeskirchen bisher einzigartig ist», steht im Communiqué zu lesen.
Die Seelsorge wird im Aargau nicht nur vor Ort ökumenisch betrieben. Auch die strategische und operative Leitung wird gemeinsam durchgeführt. Selbst bei den Bewerbungen gehen die beiden Landeskirchen gemeinsam vor.

«Wir verantworten ökumenische Seelsorge»

«Wir machen nicht nur ökumenische Seelsorge; wir verantworten ökumenische Seelsorge», sagt Hans Niggeli, Leiter der Fachstelle Spital-, Klinik- und Heimseelsorge bei der Römisch-Katholischen Kirche im Aargau. 30 theologisch und psychologisch ausgebildete Seelsorger in 25 kantonalen und überregionalen Institutionen bieten ihre Dienste auf einer ökumenischen Grundlage an.
Sie rapportieren den Standortverantwortlichen, die katholisch oder reformiert sein können. Und der Standortverantwortliche am Kantonsspital Aarau (KSA) rapportiert ihm selber; während der Standortverantwortliche im Kantonsspital Baden (KSB) seinem Kollegen der reformierten Kirche unterstellt ist. Die Arbeitsverträge jedoch, so Niggeli, bleiben auf der konfessionellen Schiene.

Und die Muslime?

Mehr und mehr wird auch die muslimische Seelsorge ein Thema. «Wir haben gerade einen Studiengang am Laufen. Wir begleiten die muslimischen Frauen und Männer, die hier ein Praktikum absolvieren», sagte Axel Fabian vom Kantonsspital Winterthur. Das sei erst der Anfang.
In Kanton Zürich wird die muslimische Seelsorge neu durch den Verein QuaMS (Qualitätssicherung der Muslimischen Seelsorge in öffentlichen Institutionen) geregelt. Getragen wird dieser Verein durch den Kanton und die Vereinigung Islamischer Organisationen in Zürich. Die beiden grossen Kirchen unterstützen den Verein hinsichtlich Beratung, und Ausbildung und leisten einen kleinen, symbolischen Beitrag.

In Bern sind Seelsorger Angestellte des Spitals

Angesichts der angesprochenen Zunahme von Kirchenaustritten ist wohl die Frage erlaubt, ob es Aufgabe der Landeskirchen ist, mit den Einnahmen der Kirchensteuer sämtliche Patienten zu betreuen.
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Pascal Mösli: «Spitalseelsorge sei nicht konfessionelle Mitgliederbetreuung an einem anderen Ort.»
«Aus meiner Sicht ist das sehr wohl ihre Aufgabe», ist Pascal Mösli überzeugt. Spitalseelsorge sei nicht konfessionelle Mitgliederbetreuung an einem anderen Ort, sondern - wie oben gesagt - Unterstützung von Menschen bei Krisen sowie bei spirituellem und religiösem Bedarf.
Mösli kann gut reden: Im Kanton Bern werden die Kosten vom Spital getragen und die Seelsorger sind auch Angestellte des Spitals. Im Kanton Aargau hingegen zahlen die Landeskirchen die gesamten Kosten. Hans Niggeli schwebt vor, dass sich früher oder später auch der Kanton und die Institutionen an den Kosten beteiligen müssten.
Was Niggeli aber nicht unbedingt möchte, dass die Seelsorger Angestellte des Spitals sind, wie das im Kanton Bern der Fall ist.
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Hanspeter Schärer, reformierter Pfarrer am Kantonsspital Zug: «Wir arbeiten als Team ökumenisch.»
Im Spitalversorgungsgesetz des Kantons Bern (SpVG) steht: «Die im Kanton Bern gelegenen Listenspitäler stellen für die Patientinnen und Patienten sowie für deren Angehörige die Spitalseelsorge sicher.»
Dabei stellt die Verordnung zum Spitalversorgungsgesetz klar, in welchem Umfang die Spitalseelsorger anzustellen sind: Pro 33 Vollzeitstellen im Pflegebereich müssen mindestens zehn Stellenprozent in der Seelsorger sichergestellt werden.

Seelsorge gehört zum Heilungsauftrag

«Der Kanton Bern stellt sich auf den Standpunkt, dass sich die Seelsorge positiv auf den Gesundungsprozess auswirkt», sagt Pascal Mösli von der Reformierte Kirche Bern-Solothurn-Jura. Die Seelsorge müsse sich «an einem ganzheitlichen Heilungsauftrag» beteiligen, interprofessionell arbeiten und ihre Fachlichkeit einbringen, wolle sie Teil der Gesundheitsversorgung bleiben. So ist es in der täglichen Arbeit der Seelsorge ein Unterschied, ob man vom Spital oder von der Landeskirche angestellt ist. «Ist man vom Spital angestellt, gehört man zum Behandlungsteam, verfolgt ebenfalls ein Behandlungsziel und hat Einblick ins Patientendossier», erklärt der reformierte Pfarrer Hanspeter Schärer.
Ist man aber bei der Landeskirche angestellt, wie das bei ihm in Zug und Zürich der Fall ist, so sei man aus Sicht des Spitals eine quasi unabhängige Instanz und in Konfliktsituationen auch so etwas wie ein diplomatischer Dienst. «Mit unserem unabhängigen Status können wir mitunter auch vermittelnd wirken», verrät Hanspeter Schärer.

Was ist aufsuchende Seelsorge?

In Schweizer Spitälern ist es üblich, dass die Spitalseelsorger die sogenannte aufsuchende Seelsorge betreiben. Das heisst, sie warten nicht auf den Anruf eines Patienten, eines Angehörigen oder einer Pflegefachkraft. Sie gehen, plakativ gesagt, von Bett zu Bett, stellen sich vor und fragen nach, ob ein Bedürfnis zum Reden besteht. Eben: aufsuchende Seelsorge.

So wird man Spitalseelsorger

Spitalseelsorger müssen einen akademischen Abschluss haben und nach einigen Jahren Berufserfahrung eine spezielle Zusatzausbildung absolvieren. Im wesentlichen gibt es drei Studienrichtungen: Die Systemische Seelsorgeausbildung, Lösungsorientierte Gesprächsführung in der Seelsorge (LOS) und das Clinical Pastoral Training (CPT) handelt sich um ein Lernmodell, in dem Seelsorge durch die Reflexion beruflicher Praxis gelernt und geübt wird. Oder im O-Ton des Kursangebots: «Es fördert die Wahrnehmungsfähigkeit und die kommunikative Kompetenz in komplexen, professionellen Arbeitsfeldern sowie das spirituelle und persönliche Wachstum der Seelsorgeperson.»
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