«Nein, nicht so, Herr Berset!»: Mit diesem Aufruf beginnt eine Broschüre, welche die drittgrösste Ärztegesellschaft der Schweiz gestern veröffentlicht hat. Die Société Vaudoise des Médecins SVM sichtet in der neuen, vom Bundesrat geplanten Tarmed-Struktur einen entscheidenden Schritt zur Rationierung – und «eine ernsthafte Bedrohung fürs Überleben unseres Gesundheitssystems».
Viele Grundversicherte müssten damit rechnen, dass ihnen gewisse Behandlungen nur noch begrenzt zur Verfügung stünden, so eine Befürchtung. Spezialisierte Eingriffe liessen sich dann kaum noch ambulant erbringen. Weiter müssten beim neuen System viele Notfall-Ambulatorien ihre Tore schliessen.
Dies bloss drei Argumente, welche der führende Ärzteverband der Romandie vorlegt. In einem weiteren Schritt werden die Probleme auch nach Fachrichtung aufgeschlüsselt – etwa bei den Gastroenterologen: Sie weisen darauf hin, dass der Bundesrats-Tarmed die Vergütung einer Kolonoskopie massiv senken werde, wenn zugleich Polypen entfernt werden. Das heisse: Teils müssten die Gastro-Spezialisten bei der Infrastruktur sparen – oder aber die Patienten müssten ein zweites Mal zur Intervention aufgeboten werden.
Ein anderes Beispiel bieten die Handchirurgen des Waadtlandes: Laut dem geplanten Tarmed würde für eine Karpaltunneloperation noch 34 Minuten eingesetzt – eine Dauer, die normalerweise deutlich überschritten wird, und dies, selbst wenn es keine Komplikationen oder anatomischen Abweichungen gibt.
Bemerkenswert ist schliesslich auch der Beitrag der Ophthalmologen: Sie nehmen das Königsbeispiel der Tarmed-Debatte – die Katarakt-Operation. Sie wurde besonders häufig, auch von Alain Berset, als Beispiel für Einsparungen durch technologischen Fortschritt: Der Eingriff dauere heute bloss noch etwa einen Drittel so lange wie bei der Einführung des jetzigen Tarmed.
«Faux exemples»
Jetzt widersprechen die Waadtländer Augenärzte der Darstellung, dass sich die Behandlungszeit durch den technologischen Fortschritt hier verkürzt habe. Seit den 1990er habe sich die Dauer hier keineswegs verringert, und die stetige Einführung der Lasertechnologie habe letztlich sogar zu höheren Kosten geführt.
Eva de Ancos von der Association des Ophtalmologues Vaudois spricht denn auch recht deutlich von irreführenden Angaben: «Ces affirmations erronées, utilisées à titre de “faux exemples”, sont destinées au grand public comme un justificatif de l’action du Conseil fédéral.»
Fazit: Rückzug
SVM erwartet von der FMH grosse Entschlossenheit («la plus grande fermeté») gegenüber dem Bundesrat; dies insbesondere bei der Forderung, dass der behördliche Tarmed nicht im Januar 2018 in Kraft gesetzt werde – damit die Tarifpartner ein eigenes Konzept erarbeiten können.
Oder andersrum verlangt der SVM, dass die Landesregierung ihren Vorschlag zurückziehe.