Tarmed: Welsche Ärzte fordern Übungs-Abbruch

Der Waadtländer Ärztegesellschaft SVM wendet sich entschlossen gegen den Eingriff des Bundesrats in die ambulanten Tarife. Alain Bersets Tarmed führe zur Rationierung – und fusse auch auf Falschdarstellungen. Die Argumente.

, 17. Mai 2017 um 14:00
image
  • tarmed
  • praxis
  • romandie
  • bundesamt für gesundheit
«Nein, nicht so, Herr Berset!»: Mit diesem Aufruf beginnt eine Broschüre, welche die drittgrösste Ärztegesellschaft der Schweiz gestern veröffentlicht hat. Die Société Vaudoise des Médecins SVM sichtet in der neuen, vom Bundesrat geplanten Tarmed-Struktur einen entscheidenden Schritt zur Rationierung – und «eine ernsthafte Bedrohung fürs Überleben unseres Gesundheitssystems».
Viele Grundversicherte müssten damit rechnen, dass ihnen gewisse Behandlungen nur noch begrenzt zur Verfügung stünden, so eine Befürchtung. Spezialisierte Eingriffe liessen sich dann kaum noch ambulant erbringen. Weiter müssten beim neuen System viele Notfall-Ambulatorien ihre Tore schliessen.
Zum Dossier der SVM«Les médecins dénoncent une médecine à deux vitesses et un rationnement des soins. Modification de l’ordonnance sur la fixation et l’adaptation de structures tarifaires dans l’assurance maladie (TarMed)», Mai 2017.
Dies bloss drei Argumente, welche der führende Ärzteverband der Romandie vorlegt. In einem weiteren Schritt werden die Probleme auch nach Fachrichtung aufgeschlüsselt – etwa bei den Gastroenterologen: Sie weisen darauf hin, dass der Bundesrats-Tarmed die Vergütung einer Kolonoskopie massiv senken werde, wenn zugleich Polypen entfernt werden. Das heisse: Teils müssten die Gastro-Spezialisten bei der Infrastruktur sparen – oder aber die Patienten müssten ein zweites Mal zur Intervention aufgeboten werden.
Ein anderes Beispiel bieten die Handchirurgen des Waadtlandes: Laut dem geplanten Tarmed würde für eine Karpaltunneloperation noch 34 Minuten eingesetzt – eine Dauer, die normalerweise deutlich überschritten wird, und dies, selbst wenn es keine Komplikationen oder anatomischen Abweichungen gibt. 
Bemerkenswert ist schliesslich auch der Beitrag der Ophthalmologen: Sie nehmen das Königsbeispiel der Tarmed-Debatte – die Katarakt-Operation. Sie wurde besonders häufig, auch von Alain Berset, als Beispiel für Einsparungen durch technologischen Fortschritt: Der Eingriff dauere heute bloss noch etwa einen Drittel so lange wie bei der Einführung des jetzigen Tarmed.

«Faux exemples»

Jetzt widersprechen die Waadtländer Augenärzte der Darstellung, dass sich die Behandlungszeit durch den technologischen Fortschritt hier verkürzt habe. Seit den 1990er habe sich die Dauer hier keineswegs verringert, und die stetige Einführung der Lasertechnologie habe letztlich sogar zu höheren Kosten geführt.
Eva de Ancos von der Association des Ophtalmologues Vaudois spricht denn auch recht deutlich von irreführenden Angaben: «Ces affirmations erronées, utilisées à titre de “faux exemples”, sont destinées au grand public comme un justificatif de l’action du Conseil fédéral.»

Fazit: Rückzug

SVM erwartet von der FMH grosse Entschlossenheit («la plus grande fermeté») gegenüber dem Bundesrat; dies insbesondere bei der Forderung, dass der behördliche Tarmed nicht im Januar 2018 in Kraft gesetzt werde – damit die Tarifpartner ein eigenes Konzept erarbeiten können. 
Oder andersrum verlangt der SVM, dass die Landesregierung ihren Vorschlag zurückziehe.
Artikel teilen

Loading

Comment

2 x pro Woche
Abonnieren Sie unseren Newsletter.

oder

Mehr zum Thema

image

Frankreichs Hausärzte gehen auf die Strasse

Statt 25 Euro pro Konsultation wollen französische Hausärzte künftig das Doppelte. Sind sie geldgierig oder arbeiten sie zu einem Hungerlohn?

image

Covid-Pandemie: Bund und Kantonen steht ein neues Beratungsteam zur Seite

Die Covid-19 Science Task Force war einmal. Nun sorgt ein neues Team für die wissenschaftliche Expertise – vorerst ehrenamtlich. Vorsitzende ist Tanja Stadler.

image

Bund prüft weitere Senkung der Labortarife

Nach der Senkung der Laborpreise arbeitet das Bundesamt für Gesundheit (BAG) weiter an der Neutarifierung.

image

Gemeinde zweifelt an neuer Hausarztpraxis

Der finanzielle Anschub für eine neue Arztpraxis im Kanton Aargau gerät ins Stocken. Grund ist ein TV-Bericht im Schweizer Fernsehen.

image

Schweizer Ärzte gehen sparsamer mit Antibiotika um

Der Einsatz von Antibiotika ist gesunken. Dadurch konnten die Resistenzraten gebremst werden. Das zeigt der «Swiss Antibiotic Resistance Report 2022».

image

Windpocken: Der Bund empfiehlt die Impfung neu auch für Babys

Bisher wurde die Impfung gegen Varizellen Jugendlichen empfohlen. Nun sollen Säuglinge ab neun Monaten vor der Infektionskrankheit geschützt werden.

Vom gleichen Autor

image

Brust-Zentrum Zürich geht an belgische Investment-Holding

Kennen Sie Affidea? Der Healthcare-Konzern expandiert rasant. Jetzt auch in der Deutschschweiz. Mit 320 Zentren in 15 Ländern beschäftigt er über 7000 Ärzte.

image

Wer will bei den Helios-Kliniken einsteigen?

Der deutsche Healthcare-Konzern Fresenius sucht offenbar Interessenten für den Privatspital-Riesen Helios.

image

Deutschland: Investment-Firmen schlucken hunderte Arztpraxen

Medizin wird zur Spielwiese für internationale Fonds-Gesellschaften. Ärzte fürchten, dass sie zu Zulieferern degradiert werden.