Studie: Die Schweizer Gesundheitskosten wachsen bald nicht mehr so steil

Die Ausgaben für Gesundheit und Prävention könnten in der Schweiz weniger stark steigen als in anderen reichen Ländern. Zumindest auf lange Sicht.

, 20. April 2016 um 06:59
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Es ist vielleicht nicht gerade Grund zum Feiern – doch eine willkommene Entspannung wäre es allemal: Das jährliche Wachstum der Gesundheitsausgaben in der Schweiz dürfte bald nur noch 1,9 Prozent betragen – oder gar darunter liegen. 
Dies jedenfalls Aussage einer ökonometrischen Studie, welche Autoren der Weltbank und der Universität Seattle soeben veröffentlicht haben.
Zum Vergleich: Zwischen 1993 und 2013 lag das durchschnittliche Ausgaben-Wachstum bei 3,6 Prozent. Und wie die ETH-Konjunkturforschungsstelle KOF jüngst voraussagte, werden die Schweizer Gesundheitskosten im laufenden Jahr wie im Folgejahr 2017 um jeweils 3,5 Prozent klettern.
Dass nun Gesundheitsökonomen darüber hinaus gehen und auf ein Vierteljahrhundert in die Zukunft blicken, ist denn eine Ausnahme – und natürlich mit allerhand Unwägbarkeiten behaftet.

Joseph L. Dieleman, Tara Templin, Nafis Sadat et al: «National spending on health by source for 184 countries between 2013 and 2040», in: «The Lancet», April 2016.

Das Team um Joseph L. Dieleman von der Universität Seattle nahm dazu aktuelle WHO- und IME-Daten, rechnete die von UN-Demographen erwartete Bevölkerungsentwicklung hinein, ferner sozioökonomische und soziodemographische Tendenzen der Gesundheitsausgaben, und skizzierte mit darauf bauenden Algorithmen einen Rahmen der Kostenentwicklung.
Das Spezielle an dieser Arbeit war dabei nicht nur die lange Perspektive, sondern dass hier für einmal 184 Länder betrachtet wurden: Im Kern der von der Bill & Melinda Gates Stiftung finanzierten Arbeit ging es um die Frage, wie gross die Chancen sind, dass sich das Gesundheitsangebot der armen Länder halbwegs jenem der reichen Staaten angleicht.

Die Welt nach den Babyboomern

Antwort: Die Chancen sind klein. Weltweit erwarten die Ökonometrie-Spezialisten bis 2040 ein jährliches Wachstum der Gesundheitskosten um 2,4 Prozent. Aber in den reichsten Ländern dürfte dieser Prozentsatz mit 2,7 Prozent sogar höher sein als in jenen Staaten, die einen dramatischen Nachholbedarf haben.
Mit einem jährlichen Plus von 1,9 Prozent könnte sich die Schweiz damit auf ein vergleichsweise gemässigtes Wachstum der Gesundheitskosten gefasst machen. Was sich einerseits aus stagnierenden Bevölkerungszahlen erklären dürfte, andererseits aus dem ohnehin schon erreichten hohen Niveau. Zu beachten ist zudem, dass im langen Blick bis 2040 eben auch die starke Generation der «Babyboomer» langsam aus dem Gesundheitswesen verabschiedet wird.

USA, Niederlande, Deutschland, Schweiz

Konkret prognostiziert die in «The Lancet» veröffentlichte Studie, dass der durchschnittliche Bewohner der Schweiz des Jahres 2040 – inflationsbereinigt, also auf Basis heutiger Werte – knapp 10'000 Franken pro Jahr für Gesundheit ausgeben wird (das statistische Band der erwarteten Pro-Kopf-Ausgaben liegt bei 8'217 bis 11’478 US-Dollar). Fast zwei Drittel davon, nämlich 61 Prozent, würden durch den Staat ausgegeben.
Damit wären die helvetischen Durchschnittsausgaben – ähnlich der heutigen Situation – die vierthöchsten der Welt, klar nach den USA (16'600 Dollar pro Kopf) und knapp hinter den Niederlanden (10'088 Dollar) sowie Deutschland (9’933 Dollar).

Zuwenig Fortschritte bei den Ärmsten

Aber wie gesagt: Im Fokus der Fragestellung stand die Angleichung reicher und ärmerer Länder, und hier erscheinen die Aussichten offenbar trübe – die Gesundheitsausgaben dürften am Ende, ein Vierteljahrhundert später, etwa gleich weit auseinander klaffen wie heute. Wenn nicht sogar einen Tick stärker.
Oder um die Prognose konkret zu machen: Wenn 2040 in den reichsten Ländern ein Dollar für Gesundheit ausgegeben wird, sind es in den allerärmsten Ländern 0,03 Dollar. 
Und der Anteil jener Staaten, bei denen die Gesundheitsausgaben 5 Prozent des BIP ausmachen, dürfte kaum steigen: Die Autoren um Ökonomen Joseph L. Dieleman kommen zum Schluss, dass etwa 110 Staaten diesen Anteil nicht erreichen dürften.
Oder anders gesagt: Auch in den nächsten Vierteljahrhundert dürfte die Gesundheitsversorgung insbesondere in den 35 ärmsten Ländern dramatisch unvollkommen bleiben.
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