Person-centered care - den Menschen und seine Bedürfnisse ins Zentrum der gesundheitlichen Leistungserbringung stellen. Diese Denk- und Handlungsweise ist alles andere als neu und doch scheint sie aktueller denn je. Doch was braucht es wirklich, um den Leistungsempfänger ins Zentrum zu stellen? Wer hat zu handeln, was kann konkret getan werden und wo liegen die Grenzen?
Bei person-centered care geht es grundsätzlich darum, die Prozesse in der Gesundheitsversorgung auf die individuellen Bedürfnisse der Person auszurichten. Es handelt sich somit um einen Paradigmenwechsel: nicht mehr die einzeln erbrachte Leistung steht im Fokus, sondern die Person, welche eine Gesundheitsleistung in Anspruch nimmt. Dies heisst jedoch nicht, dass jeder Patient einen individualisierten Behandlungspfad durchgehen soll. Vielmehr geht es darum, dass die Prozesse, welche ein Patient während seines Behandlungspfades durchläuft, rund um den Patienten geplant werden. Person-centered care muss somit kein Widerspruch zur Standardisierung oder Systematisierung sein.
Zahlreiche Akteure, Institutionen und Gesundheitssysteme beeinflussen den Patientenpfad und spielen eine Rolle in dem Prozess hin zu einer menschenzentrierten und wertebasierten Gesundheitsversorgung. Um person-centered care zu erreichen besteht Handlungsbedarf auf drei Ebenen:
- Individuums-Ebene: Der Mensch muss befähigt werden seinen Behandlungspfad mitzugestalten.
- Organisations-Ebene: Leistungserbringer müssen unterschiedliche Berufs- und Interessensgruppen zusammenbringen, um interdisziplinär und institutionsübergreifend Prozesse rund um den Patienten zu planen.
- System-Ebene: Regulatoren müssen auf übergeordneter Ebene Rahmenbedingungen schaffen, die eine person-centered Gesundheitsplanung erlauben und fördern.
Die drei Handlungsebenen und deren Schlüsselelemente für eine personenzentrierte Gesundheitsversorgung lassen sich wie folgt darstellen:
Individuums-Ebene
Wie es der Begriff person-centered care schon andeutet, dreht sich dieser Ansatz nicht nur um den Patienten. Dieser ist nämlich nicht nur ein Patient, sondern eine Person mit einem sozialen Netzwerk. Somit müssen Familie und enge Bezugspersonen auch in den Pflegepfad integriert werden. Das Individuum soll als Partner des Leistungserbringers betrachtet werden, um so eine möglichst hohe Zufriedenheit des Patienten und Wirksamkeit der Behandlung zu erzielen. Der Patient soll die Möglichkeit erhalten, gemeinsam mit dem Leistungserbringer Behandlungsziele, Pflegeschritte sowie Austrittsbedingungen festzulegen. Ziel ist nicht, auf alle Bedürfnisse des Einzelnen einzugehen und jeden Wunsch individuell zu behandeln. Vielmehr ist es wichtig, die Bedürfnisse systematisch aufzunehmen und standardisierte Antworten darauf geben zu können. Wie der Kunde bei Starbucks gemäss seinen individuellen Wünschen aus verschiedenen Optionen wählen kann, so soll auch der Patient die Möglichkeit erhalten, den Verlauf seines Pflegepfades mitzusteuern. Dennoch reagiert Starbucks auf die individuellen Wünsche mit systematisierten Antworten – und auch im Gesundheitswesen ist dies möglich.
Auf der Individuums-Ebene kann jeder Einzelne seinen Beitrag leisten, indem er sich aktiv informiert, hinterfragt, kommuniziert und handelt. Zugang zu Information und Daten sind dafür essenziell. Dennoch hängt auf dieser Ebene vieles von der Organisations- und der System-Ebene ab. Das Beispiel der elektronischen Patientenakte des Kantons Genf (MonDossierMedical.ch) erlaubt den Patienten den Zugriff auf ihre Daten. Sie können selbst entscheiden, wer auf diese Daten Zugriff haben soll und ob sie das System nutzen wollen. Die System-Ebene befähigt in diesem Beispiel den Patienten, seine Gesundheitsdaten zu verwalten und Informationsunterbrüche zu vermeiden. Ein weiteres Beispiel ist die Ryhof Dialyse-Einheit des Jönköping Spitals in Schweden. Hier können Patienten schon seit über zehn Jahren eigenständig ihre Hämodialyse durchführen. Der Anreiz, dies anzubieten kam damals von einem Patienten, der seine Behandlung auf autonome Art durchführen wollte. In diesem Beispiel hing der Patient von der Organisations-Ebene ab: das Spital musste die Prozesse zuerst anpassen, bevor der Patient selbst aktiv werden konnte. Auch wenn es schwer scheint, von dieser Ebene aus direkt etwas zu bewirken, so hat die Individuums-Ebene zumindest einen indirekten Einfluss auf die anderen Ebenen. Dieser indirekte Einfluss kann je nach Situation ein ganzes System antreiben.
Organisations-Ebene
Der Fokus dieser Ebene liegt primär auf den Leistungserbringern des Gesundheitswesens wie Spitäler, Klinken, Arztpraxen, Alters- und Pflegeheime und weitere. Auf dieser Ebene heisst person-centered care, dass die organisationsspezifischen Prozesse rund um den Patienten gestaltet werden. Ziel ist es, vom klassischen Silo-Denken wegzukommen und eine breitere Perspektive einzunehmen, in welcher der Patient im Zentrum steht.
Patientenzentrierung in die Organisationsstrategie aufzunehmen ist ein erster, wichtiger Schritt. Um
person-centered care jedoch im Alltag umzusetzen, braucht es weitaus mehr. Erstens müssen die Mitarbeiter den Ansatz verstehen, sich damit identifizieren und diesen letztendlich auch umsetzten und weitergeben. Die interne Kommunikation einer Organisation ist hierbei zentral. Auch das Wohl der Mitarbeiter spielt in diesem Prozess eine wichtige Rolle: wenn Mitarbeiter zufrieden sind steigt auch die Zufriedenheit der Patienten. Des Weiteren nehmen auch hier Daten einen wichtigen Platz ein: ein funktionierendes Datendokumentationssystem ist eine unerlässliche Basis für die Kommunikation innerhalb der Organisation wie auch mit externen Akteuren. Das Datendokumentationssystem erlaubt es auch, ein patientenzentriertes
outcome measurement durchzuführen (
PROM).
Was ist nun auf Organisations-Ebene zu tun? Konkret sollten Leistungserbringer zunächst die Bedürfnisse der Leistungsempfänger abholen. Dies sollte zu Beginn des Prozesses geschehen, sodass alle betroffenen Berufsgruppen sich an diesen Bedürfnissen orientieren können. Sobald diverse Bedürfnismuster erkannt sind müssen sich die verschiedenen Akteure, die im Pflegepfad agieren, austauschen und die Pflegeprozesse rund um die vorherig identifizierten Bedürfnisse bauen. Zuletzt müssen die unterschiedlichen Prozesse dem Patienten klar kommuniziert werden. Das Lillebaelt Hospital in Dänemark hat die Schlüsselrolle der patientenzentrierten Kommunikation anerkannt. Das gesamte medizinische Personal hat eine mehrtägige Schulung zum Thema Kommunikationsfähigkeiten zu absolvieren. Das Spital bietet zusätzlich zur obligatorischen Schulung einen weiterführenden Kurs an, welcher sich der Thematik shared decision making widmet.
System-Ebene
Die System-Ebene ist die übergeordnete Ebene und beinhaltet verschiedene Systeme auf kantonalem, regionalem oder nationalem Level. Die Strukturen des Systems müssen es erlauben – und im besten Fall fördern -, dass person-centered care auch tatsächlich gelebt werden kann. Die System-Ebene definiert Rahmenbedingungen und stützt sich hierfür teilweise auf Zukunftsprognosen, beispielsweise für die Bedarfsplanung. Die Festlegung der Patientenpfade auf Organisations-Ebene sollte auf Basis dieser Prognosen erfolgen.
Anpassungen auf System-Ebene sind oftmals herausfordernd, da sie einen hohen Komplexitätsgrad aufweisen und zahlreiche Akteure betroffen sind. Ein effizientes Stakeholder- und Erwartungsmanagement, transparente Faktengrundlagen sowie klare Kommunikationskanäle sind zentrale Elemente, um Anpassungen auf einer solchen Ebene durchzuführen. Luxemburg hat die Relevanz erkannt, alle Akteure an einen Tisch zu bringen, um über ein zukunftsfähiges Gesundheitssystem zu diskutieren. Im Rahmen des «Gesondheetsdësch» (Gesundheitstisch) werden mit einer Vielzahl Akteuren insgesamt sechs Zukunftsthemen besprochen.
Die gemeinsamen Nenner
Es gibt zwei Themen, die bei allen drei Ebenen sehr präsent sind: Daten und Kommunikation. Ein funktionierender Datenpool sowie die adäquate Verwendung und Interpretation der Daten sind zentral und müssen proaktiv implementiert und genutzt werden. Aber auch die Kommunikation innerhalb der Einheiten sowie mit externen Akteuren etablieren sich nicht von selbst. Es bedarf eines klaren Aktionsplans, um die Prozesse auf allen Ebenen hin zu einer personenzentrierten Versorgung zu leiten. Dass dies nicht isoliert geschehen kann, sondern Ko-Produktion erfordert, wurde anhand von verschiedenen Beispielen aufgezeigt.
Der springende Punkt bei dem Thema person-centered care ist nicht, für jedes Patientenbedürfnis eine separate Handlungsweise anzuwenden. Dies wäre für die Leistungserbringer kein realistisches Szenario. Ziel ist es viel mehr, die Prozesse entlang des Patientenpfades so umzuformen, dass der Patient einen zentralen Platz darin erhält und es die Strukturen erlauben, systematisch auf individuelle Bedürfnisse einzugehen – eine systematische Individualisierung halt.
Wie Muller Healthcare Consulting Ihnen helfen kann
Wollen Sie das Thema person-centered care in Ihrer Organisation mehr gewichten und die Prozesse darauf anpassen? Oder soll auf System-Ebene eine Strategie entwickelt werden, wie patient-centered care gefördert werden kann? Wir haben Projekterfahrung auf allen drei Ebenen und kennen uns sehr gut mit den Ansprüchen und Herausforderungen der jeweiligen Ebenen aus. Insbesondere bei den Themen Stakeholdermanagement, Strategieerarbeitung und -implementierung sowie Kommunikation weisen wir einen hohen Erfahrungsgrad aus und unterstützen Sie gerne bei Ihren Anstrengungen zu einer mehr patientenorientierten Versorgung.
Über Muller Healthcare Consulting
Die Beratungsgesellschaft Muller Healthcare Consulting GmbH wurde 2014 von François Muller gegründet. Das Unternehmen mit Büros in der Schweiz und in Luxemburg bietet Institutionen des Gesundheitswesens Beratungsdienstleistungen an. Muller Healthcare Consulting verfügt über eine Expertise in der Optimierung klinischer und nicht-klinischer Prozesse, in der Entwicklung von innovativen Geschäftsmodellen sowie in gesundheitsökonomischen Fragestellungen. Muller Healthcare Consulting unterstützt Spitäler, Psychiatrien, Pflegeheime und andere Leistungserbringer im Gesundheitswesen, aber auch Regierungen in Strategie-, Prozess- und Organisationsfragen.