Eine Patientin weigert sich, in der Praxis einen Mund-Nasen-Schutz zu tragen. Muss der Arzt sie trotzdem behandeln? Diese Frage stellte sich neulich ein deutscher Arzt und suchte Rat beim deutschen Ärztenetzt Coliquio (Antworten siehe Box).
Das Fallbeispiel:
Eine Patientin betritt die Praxis ohne Maske und gibt an der Rezeption an, ein schriftliches Attest zu haben, aus dem hervorgeht, sie sei vom Tragen eines Mund-Nasen-Schutzes befreit. Die Frau will am Empfang wegen Datenschutzgründen das Attest nicht zeigen und legt dieses erst dem behandelnden Arzt in der Praxis vor.
Von solchen Situationen werden Schweizer Ärzte kaum verschont bleiben. Medinside gelangte deshalb mit folgenden Fragen an den Berufsverband der Schweizer Ärzte FMH:
Dürfen Patienten das Vorzeigen des Attests aus Datenschutzgründen an der Rezeption verweigern?
Im von Ihnen erwähnten Fall verweigert der Patient dem Empfangspersonal, nicht aber dem Arzt, die Einsicht in das Attest. Gegenüber dem Patienten kann darauf hingewiesen werden, dass die Angestellten der Praxis ebenfalls der Schweigepflicht unterstellt sind. Es dürfte in der Regel möglich sein, einen Arzt oder eine Ärztin zu erreichen, damit der Patient ihm/ihr sein Attest zeigen kann.
Wer ein Attest hat - sollte dies nicht bei der Terminvereinbarung erwähnt werden?
Grundsätzlich ist in solchen Fällen eine Voranmeldung sinnvoll. Gemäss Art. 3b Abs. 2 lit. b Covid-19 Verordnung besondere Lage sind Personen mit Dispens von der Maskentragpflicht ausgenommen, eine Voranmeldung ist in der Verordnung nicht genannt. Von Seite Praxis ist im genannten Fall wichtig, die Gesundheit der übrigen Patienten nicht zu gefährden durch entsprechende Schutzmassnahmen wie etwa das Separieren des Patienten ohne Maske.
Im FMH-Schutzkonzept steht: Sind Personen anwesend, die von der Pflicht zum Tragen einer Gesichtsmaske ausgenommen sind (Artikel 3b Absatz 2 oder Artikel 6e oder 6f), so muss entweder der erforderliche Abstand eingehalten oder es müssen andere wirksame Schutzmassnahmen wie das Anbringen geeigneter Abschrankungen ergriffen werden. Gibt es noch andere Massnahmen, die ein Hausarzt treffen muss, etwa Termine zu Randzeiten?
Ein Termin zu Randzeiten ist sicher sinnvoll, sofern die Maskendispens im Voraus bekannt ist. Entsprechend der Örtlichkeit, der Ausstattung der Praxis und des Spezialgebietes können pragmatisch zusätzliche Massnahmen gewählt werden, wie räumliche Separierung, SMS-Aufgebot unmittelbar vor Konsultation, um Wartezeit zu vermeiden und so weiter.
Sollte eine Kündigung des Behandlungsvertrags notwendig sein, was braucht es dazu?
Der Arzt-Patienten-Vertrag stellt rechtlich gesehen einen Auftrag dar, welchen sowohl Auftraggeber wie auch Auftragnehmer gemäss Art. 404 OR (ausser zur Unzeit) jederzeit beenden können. Ein Arzt oder eine Ärztin darf deshalb den Behandlungsvertrag kündigen, ausser es liegt ein medizinischer Notfall vor, welcher zu einer Beistandspflicht führt (siehe Art. 5 unten).
Wer darf überhaupt ein solches Attest ausstellen?
Gemäss Art. 3a Abs. 1 lit. b Covid-19 Verordnung besondere Lage ist die Ausstellung solcher Atteste Fachpersonen vorbehalten, die nach dem Medizinalberufsgesetz vom 23. Juni 2006 oder dem Psychologieberufsgesetz vom 18. März 2017 zur Berufsausübung in eigener fachlicher Verantwortung befugt sind.
Art. 5 Freie Arztwahl; Annahme und Ablehnung des Behandlungsauftrages:
Arzt und Ärztin respektieren das Recht ihrer Patienten und Patientinnen, den Arzt oder die Ärztin frei zu wählen oder zu wechseln. Anderseits sind auch Arzt und Ärztin frei, einen Abklärungs- oder Behandlungsauftrag anzunehmen oder abzulehnen. Vorbehalten bleiben Fälle, in denen der Arzt oder die Ärztin im Namen oder im Auftrag eines Dritten, z.B. einer Heilanstalt oder einer Versicherung, tätig ist. In Notfällen gilt die Beistandspflicht in jedem Fall für alle Ärzte und Ärztinnen.
So regelt es Deutschland
Der deutsche Jurist Florian Hölzel verweist im besagten Artikel auf die Empfehlungen des Robert Koch-Instituts (RKI) zu Hygienemassnahmen im Rahmen der Behandlung und Pflege von Patienten mit einer Infektion durch SARS-CoV-2. Dort wird explizit empfohlen, in allen Bereichen des Gesundheitswesens einen Mund-Nasen-Schutz (MNS) zu tragen. Weiter müsse sich der Praxisbetreiber im Rahmen der Abwägung zwischen Schutz- und Behandlungspflichten sich vom Vorliegen des behaupteten Attests überzeugen dürfen. Datenschutzrechtliche Bestimmungen würden dem nicht entgegenstehen.
Selbst wenn sich der Arzt überzeugt habe, dass ein Attest vorliege, bedeute dies nicht, dass der maskenverweigernde Patient in Zeiten mit hohem Patientenaufkommen behandelt werden müsse. Es könne notwendig sein, aus Gründen des Gesundheitsschutzes, Behandlungstermine zu Randzeiten anzubieten. Die ausserordentliche Kündigung des Behandlungsvertrags sollte laut Hölzel als letztes Mittel in Erwägung gezogen werden. Dies dürfe allerdings nicht bei einem dringenden Behandlungsbedarf erfolgen. Der Patient müsse die Möglichkeit haben, Behandlungsleistungen von anderer Seite zu beziehen.