Müssen bald 120 Spitäler schliessen?

Der Spitalverband Hplus warnt vor einem massiven Spitalsterben - und vor einem riesigen Stellenabbau. Schuld sei der Bund. Was steckt dahinter?

, 6. März 2020 um 13:00
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Es sind happige Vorwürfe, die an den Bundesrat und das Bundesamt für Gesundheit (BAG) gerichtet werden. Absender ist der Spitalverband Hplus. Er wirft dem Bund vor, «120 Spitäler schliessen und 10’000 Stellen abbauen» zu wollen. Klar ist: So hat das der Bund nie gesagt. Doch woran macht der Spitalverband seine Vorwürfe dann fest? Er verweist auf ein in den letzten Wochen in seinem Auftrag erstelltes rechtliches Kurzgutachten. Dieses thematisiert die vom Bundesrat im Februar in die Vernehmlassung geschickte Revision der Krankenversicherungsverordnung (KVV), die Medinside bereits im Januar exklusiv publik gemacht hatte.
Diese sieht als Neuerung unter anderem ein tarifrelevantes Benchmarking bei allen Spitälern vor. Der Bundesrat schlägt vor, den Benchmark beim 25. Perzentil zu setzen. Das heisst, jener Wert, bei dem 25 Prozent der schweregradbereinigten Fallkosten der Spitäler unterhalb und 75 Prozent oberhalb des Benchmarkwerts liegen. Nach einer mehrjährigen Übergangsfrist soll dieser Wert für die Festlegung der stationären Tarife herangezogen werden.

Geht der Bundesrat schludrig vor?

Dies löst beim Spitalverband grosse Ängste aus. Der Bundesrat habe sich «bei der Definition der neuen Vorgaben soweit erkennbar nicht von fundierten, datenbasierten Analysen leiten» lassen, kritisiert das Gutachten. Dieses wirft dem Bundesrat unter anderem auch vor, «mit den geplanten Eingriffen ins Finanzierungsregime für stationäre Spitalleistungen in mehrfacher Hinsicht das geltende Gesetz zu verletzen».
Doch wie kommt der Spitalverband auf die Zahl von 120 Spitalschliessungen, von denen 10‘000 Personen betroffen sein werden? Auch das Kurzgutachten beantwortet diese Frage nicht. Auf Nachfrage von Medinside teilt Hplus-Mediensprecherin Dorit Djelid folgendes mit: «Das stimmt, dass es nicht im Gutachten steht, doch die fehlenden 670 Millionen Franken werden zu einem Spitalsterben führen.»

Auch Bund geht von Kosteneinsparungen aus

Tatsächlich geht auch der Bund von Einsparungen aus. Gemäss BAG-Sprecher Jonas Montani sollen diese rund 530 Millionen Franken pro Jahr betragen, wenn die Methode mit dem 25. Perzentil zu Anwendung kommt. Das entspricht rund fünf Prozent der aktuellen Spitalkosten. Doch führt dies zum grossen Spitalsterben? Montani gibt zu bedenken, dass die Einsparungen «etwas unter dem Kostenanstieg der Spitäler im vergangenen Jahr und etwa in der Grössenordnung der Einsparungen, die mit dem Tarmed-Eingriff im ambulanten Bereich gemacht wurden» entsprechen.
Und ja, die Vorlage stelle «gegenüber der heutigen Praxis eine Verschärfung dar». Sie mache jedoch keine Vorgaben zu Spitalstandorten oder Personalpolitik, sondern bezwecke,  dass die Spitäler ihre Strukturen überprüfen und ihre Effizienz verbessern, so Montani.
Letzteres sei Aufgabe des Bundes, sagt Montani. «Das Bundesgesetz über die Krankenversicherung (KVG) sieht vor, dass sich die Spitaltarife an der Entschädigung jener Spitäler orientieren, welche die tarifierte obligatorisch versicherte Leistung in der notwendigen Qualität effizient und günstig erbringen.» Diese Vorgabe sei im Rahmen der Revision der Spitalfinanzierung im Jahre 2007 durch das Parlament gestellt worden. Ziel des Gesetzgebers sei es damals gewesen, das Kostenwachstum im stationären Spitalbereich einzudämmen und den Wettbewerb zwischen den Spitälern zu fördern, ohne die Qualität der Gesundheitsversorgung zu beeinträchtigen.

Leiden ländliche Regionen?

Genau letzteres stellt der Spitalverband Hplus in Abrede: Das System würde vor allem «kleinere Spitäler treffen, die häufig in ländlichen Gebieten oder Bergregionen ein wichtiger Teil der medizinischen Grundversorgung seien.» Ein «solch tiefer Effizienzmassstab» verunmögliche den Spitälern und Kliniken zudem, ihre Leistungen kostendeckend zu erbringen und dringend notwendige Investitionen in die Zukunft zu tätigen. «Dies wird zu einem Qualitätsabbau auf Kosten der Patientinnen und Patienten führen.»

Krankenkassen fordert Spitalschliessungen

Im von Partikularinteressen dominierten Gesundheitswesen sehen das lange nicht alle so: Der Krankenkassenverband Santésuisse hat sich jüngst denn auch schon fast euphorisch zur selben Vernehmlassung verlauten lassen: «Santésuisse begrüsst die vom Bundesrat in die Vernehmlassung geschickte Vorlage zur besseren Koordination der Spitalplanung und Vereinheitlichung der Tarifermittlung. Die Schweiz verfügt über eine der weltweit höchsten Spitaldichten. Das ist weder effizient, noch lassen sich hohe Qualitätswerte erreichen. Mit der Vereinheitlichung der Tarifermittlung schafft der Bundesrat eine wichtige Grundlage, um die Kosten mittelfristig zu dämpfen.» Doch auch Gesundheitsökonomen fordern, dass es zu einer Konsolidierung im Spitalmarkt kommen müsse, wie Medinside berichtet hat.
Die Sorgen von Hplus scheinen - zumindest im Grundsatz - nicht aus der Luft gegriffen. Fraglich nur, ob diese von den anderen Akteuren auch geteilt werden.
Das im Auftrag von Hplus erstellte Kurzgutachten können Sie hier nachlesen. 
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