In Europa und Nordamerika erhalten bis zu sieben Prozent aller Neugeborenen in den ersten drei Lebenstagen Antibiotika: Zu hoch ist das Risiko einer bakteriellen Infektion. Im Nachgang festgestellt wird eine bakterielle Infektion indes nur bei rund 0,1 Prozent der betroffenen Neugeborenen. Um mögliche gravierende Folgen von vornherein auszuschliessen, werden Antibiotika quasi prophylaktisch verabreicht.
Eine Antibiotika-Behandlung hat aber immer auch Nachteile. So schwächt sie das im Aufbau befindliche Immunsystem der Kleinsten und kann damit chronische Erkrankungen wie Allergien, Darmentzündungen und Diabetes auslösen.
«Dauer signifikant gesenkt»
Martin Stocker, Chefarzt der Intensivstation und der Neonatologie des Kinderspitals LUKS, untersuchte mit Kollegen in einer Studie die Chancen und Risiken eines neuen Verfahrens, mit dem die Notwendigkeit des Antibiotikaeinsatzes besser beurteilt werden kann.
«Die Dauer der der Antibiotikatherapie bei Neugeborenen mit Hinweis auf einen bakteriellen Infekt kann dank der Erkenntnisse der Studie signifikant gesenkt werden», kommentiert Martin Stocker die Ergebnisse der Studie. Sie wurden im Fachjournal
«The Lancet» veröffentlicht.
Der Schlüssel heisst Procalcitonin
An der randomisierten, kontrollierten Studie beteiligten sich Kinderspitäler in der Schweiz, in Holland, Kanada und Tschechien.
Eingeschlossen wurden 1710 Neugeborene. Die Kontrollgruppe umfasste 844 Kinder, diese wurden gemäss bisher gültigem Standard behandelt. Bei 866 Kindern wurde die Dauer der Antibiotikatherapie mit Hilfe der Bestimmung des Blutwerts Procalcitonin definiert. Dank diesem Verfahren konnte die Antibiotikagabe deutlich verkürzt werden.
Die Bestimmung und Verwendung von Blutwerten wie Procalcitonin sei eine mögliche Massnahme für einen gezielteren Antibiotikaeinsatz, schreibt das LUKS. Er entspricht der Strategie betreffend Antibiotikaresistenzen des Bundesamts für Gesundheit (BAG).
Martin Stocker et al: «Procalcitonin-guided decision making for duration of antibiotic therapy in neonates with suspected early-onset sepsis: a multicentre, randomised controlled trial» - in: «The Lancet», Juli 2017