Kurz vor Weihnachten war ich wieder einmal bei einer fachärztlichen Untersuchung. Ich hatte innert weniger Tage einen Termin bekommen, die Praxis war sehr gut ausgestattet, die MPA kompetent und freundlich und der Arzt auf einem Top-Niveau. Dieses Erlebnis der (noch) guten Versorgungsrealität hat mich dazu motiviert, diesen Beitrag zur Diskussion über zu hohe Gesundheitskosten und Krankenkassenprämien zu schreiben – eine Diskussion, die in der reichen Schweiz fehl am Platz ist.
Die Wirtschaftskraft eines Landes ist ausschlaggebend dafür, wie teuer oder billig ein Gesundheitssystem ist. Die Menschen werden in allen Ländern älter, chronische Krankheiten treten überall häufiger auf. Der Unterschied zwischen reicheren und ärmeren Ländern ist, dass in den reicheren Ländern die Versorgungsqualität der gleichen Gesundheitsprobleme besser ist. Und dass sich die reichen Länder diese Versorgungsqualität leisten können und wollen.
Der Autor
Michael Kohlbacher ist seit 2013 Generalsekretär der Ärztegesellschaft des Kantons Zürich. Zuvor arbeitete der studierte Jurist unter anderem als Geschäftsführer der Aids-Hilfe Schweiz.
Die Schweiz ist gemessen am BIP pro Einwohner mit 80‘000 US-Dollar das zweitreichste Land der Welt, weit vor den USA (55‘000 Dollar). Und mit 11,1 Prozent Anteil der Gesundheitsausgaben am BIP hat die Schweiz «nur» das zweitteuerste Gesundheitssystem der Welt, mit grossem Abstand nach den USA (16,4 Prozent).
Möchten wir denn Zugangsregulierung?
Dieses «nur» mag provokant klingen, ist es aber nicht. Denn die Schweiz gewährleistet allen Einwohnern einen freien Zugang zu allen Fachärzten. Die Wartezeiten sind kurz, und es gibt keine Priorisierungen oder Rationierungen. Die beste medizinische Versorgung ist für alle Einwohner verfügbar, unabhängig von Alter, sozialem Status oder Einkommen.
Alle Kritiker der «zu hohen Gesundheitskosten» sollten das Schweizer Gesundheitswesen mit dem viel teureren US-System vergleichen, wo ein grosser Teil der Bevölkerung ausser in Notfällen keinen Zugang zur Gesundheitsversorgung hat. Oder mit dem System Schwedens, das mit 11,0 Prozent Anteil der Gesundheitsausgaben am BIP fast so teuer ist wie das der Schweiz, wo es aber sehr lange Wartezeiten infolge einer Zugangsregulierung gibt.
Der Wohlstand stieg
Das Schweizer Gesundheitswesen hat im internationalen Vergleich einen exzellenten Leistungsausweis und ist gemessen an seinen Versorgungsstandards relativ günstig. Es könnte mit Fug und Recht genauso teuer sein wie jenes der USA – und die reiche Schweiz könnte sich das leisten.
Wer trotzdem die Gesundheitskosten in der Schweiz senken will, kann das nur über Rationierung von Leistungen, Priorisierungen oder Zugangsregulierungen tun. Und wer den Ärzten weiterhin keine – für die teure Schweiz – angemessene Bezahlung für die Behandlung krankenversicherter Patienten geben will, gefährdet die KVG-Ziele einer Versorgung auf hohem Niveau für die gesamte Bevölkerung zu möglichst günstigen Kosten.
Bereits jetzt fatale Verschiebungen
Die Leistungserbringung verschiebt sich bereits jetzt von den vergleichsweise effizient und kostengünstig arbeitenden Arztpraxen in ineffizientere und teurere ambulante Institutionen und Spitäler. Immer mehr Zürcher Praxen müssen geschlossen werden, weil es sich schlicht und einfach für junge Ärzte nicht mehr lohnt, eine Praxis zu übernehmen, respektive ein schwieriges Studium und lange Ausbildungszeiten in Kauf zu nehmen, um danach im Vergleich zu ähnlich hoch qualifizierten Berufen immer weniger zu verdienen.
Im Kanton Zürich leben
laut Bundesamt für Statistik die reichsten Schweizer. Trotzdem bezahlen die Zürcher unterdurchschnittliche Krankenkassenprämien. Die relativ tiefen Zürcher Prämien werden unter anderem durch vergleichsweise tiefe Taxpunktwerte erkauft, das heisst durch eine schlechte Bezahlung der Zürcher Ärzte für die Behandlung krankenversicherter Patienten.
Es stimmt, dass auch in der reichen Schweiz oder im reichen Kanton Zürich sich nicht alle die Krankenkassenprämien leisten können. Dazu braucht es aber andere Finanzierungslösungen. Die Lösung eines Prämienproblems für einen Teil der Bevölkerung darf nicht durch ein Kaputtsparen bei den Ärzten erkauft werden.
Es sei denn, es sei ein gesundheitspolitisches Ziel, die ärztliche Versorgung der Bevölkerung zu verschlechtern. Und das wird wohl in der reichen Schweiz nicht der Fall sein.