«Irgendwann müssen die Menschen wieder zur Ruhe kommen»

«Als Kind liebte ich es, durch die Wohnung schreitend Tannenreisig mit einer Kerze anzuzünden», sagt Pietro Vernazza im Weihnachtsinterview.

, 28. Dezember 2021 um 15:00
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Herr Vernazza, Sie waren viele Jahre als Chefarzt der Infektiologie am Kantonsspital St. Gallen (KSSG) tätig. Eigentlich sind Sie seit Ende August pensioniert, gleichwohl sind Sie sehr aktiv. Schalten Sie im nächsten Jahr einen Gang zurück? Oder ist Ihre Agenda bereits reichlich gefüllt mit neuen Projekten?
Mir gefällt meine Arbeit sehr. Sie besteht aus Kontakten mit Menschen, aus Gesprächen, Diskussionen, Lesen, Denken und Schreiben – was darf ein Mensch noch mehr vom Leben erwarten? Ich sehe nicht ein, weshalb ich diese Tätigkeiten nun plötzlich mit Kreuzfahrten, Golfspiel oder Seniorenturnen austauschen sollte. Natürlich werde ich auch meine bisherigen Freuden und Laster weiter pflegen.
Wenn Sie das Jahr 2021 Revue passieren lassen, mögen Sie sich an ein besonders schönes Erlebnis aus Ihrem Arbeitsalltag erinnern?
Mein Team hat mir ein wunderschönes, sehr persönliches Abschiedssymposium geschenkt, mit Menschen, die mich durch mein bisheriges Leben begleitet haben. Das war wirklich ein unvergesslicher Tag.
Und was war Ihr persönliches Highlight?
Dass ich wieder Freude am Schwimmen und Joggen gefunden habe. Diese Freude war mir etwas vergangen.
Viele Ärzte und Pflegekräfte müssen an den Feiertagen arbeiten. Erzählen Sie unseren Lesern von einem Weihnachten, an dem Sie arbeiten mussten – wie war das für Sie?
In fast 40 Berufsjahren hatte ich immer wieder Dienst an Feiertagen. Am schönsten haben mir die Weihnachten gefallen, an denen wir für die Patienten in unserem Bettenhaus eine Feier machten und viel gesungen haben. Mir fehlt heute die Musik im Spital.
Wie wurde am KSSG jeweils Weihnachten gefeiert?
In meiner Klinik hatten wir immer einen besonderen Abend, der war meistens Anfang November. Alle bekamen ein Buch – speziell für sie oder ihn ausgelesen – mit einer persönlichen Widmung. Diese Abende hatte ich immer sehr genossen, auch wenn sie nicht weihnachtlich waren.
Wo und wie verbrachten Sie heuer Heiligabend?
Wir haben mit unseren Kindern ein einfaches, vegetarisches Essen genossen. Dieses Mal gab es kein Canard à l’orange, wie ihn meine Mutter noch wunderbar zauberte. Freunde waren auch dabei. Ohne Zertifikat.
Was bedeutet Weihnachten für Sie?
Ich bin in der christlichen Tradition aufgewachsen. Kerzen hatten auch für mich eine besondere Bedeutung. Diese Kindheitsgefühle werden in Erinnerung gerufen. Aber von den religiösen Inhalten habe ich mich längst befreit, auch wenn ich noch immer gerne Weihnachtslieder singe. Was bleibt, ist die Zeit der Besinnung, die Frage nach den Dingen, die uns als Menschen wichtig sind und zu denen wir Sorge tragen sollen.
Welche Düfte bringen Sie mit Weihnachten in Verbindung?
Als Kind liebte ich es, durch die Wohnung schreitend Tannenreisig mit einer Kerze anzuzünden. Mit diesem Geruch begann Weihnachten. Doch unübertreffbar und bis heute unvergesslich war der Geruch des pain d’épices, welches uns unsere Tante jeden Dezember schickte.
Was wünschen Sie sich für das Jahr 2022?
Dass die Welt wieder zu einem vernünftigen, rationalen Umgang mit Virusinfektionen zurückfindet. Irgendwann müssen die Menschen wieder zur Ruhe kommen.

Zur Person

Pietro Vernazza (65) war bis zu seiner Emeritierung Chefarzt der Infektiologie des Kantonsspitals St. Gallen. Dort arbeitete er seit 1985. Heute ist er freiberuflich als Arzt und Berater tätig. 

Einstimmen auf Weihnachten

Hiermit kommt unsere Weihnachtsinterview-Serie zu einem Ende. Lesen Sie die anderen zwei Interviews: «Seit vergangenem Jahr feiern wir ‹abgespeckt›», «Dieses Jahr führen wir im Team ein etwas anderes Wichteln durch»
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