«Heime unterscheiden sich noch zuwenig untereinander»

Der Pflegemarkt wächst, aber zugleich kommen kleinere Heime stärker unter Druck. Wie kann man sich hier positionieren? Antworten von Strategieberater François Muller.

, 25. Juni 2018 um 07:00
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Herr Muller, die Credit Suisse hat errechnet, dass wir trotz einer alternden Bevölkerung kaum mehr Pflegeheimplätze benötigen. Sehen Sie das auch so?
Nein. Es mag stimmen, dass momentan genügend Plätze vorhanden sind, schaut man jedoch auf die nächsten zehn bis zwanzig Jahre, so müssten wir jetzt unbedingt damit beginnen, mehr Plätze zu bewilligen und zu bauen. Die Erklärung ist ganz einfach: Die Pflegebedürftigen sind heute beim Eintritt ins Pflegeheim im Durchschnitt rund 82 Jahre alt, also geboren um 1936. Im Jahr 2025 werden die Pflegebedürftigen in den Nachkriegsjahren geboren sein, das heisst in sehr geburtsstarken Generationen. 

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    François Muller

    François Muller ist Gründer und CEO der Beratungsgesellschaft Muller & Associés Healthcare Consulting. Er verfügt über einen Bachelor in Betriebswirtschaft der HEC Lausanne, einen Master in Strategie der Universität St. Gallen und einen MBA der Nanyang Business School Singapur. Vor der Gründung von Muller & Associés leitete er unter anderem das Schweizer Büro der Beratungsgesellschaft ICME Healthcare.

Eine weitere Rolle spielen die Migrationswellen der 1960er Jahre. Demographisch gesehen befindet sich das Gesundheitswesen derzeit in einer Schonungsperiode. Die Babyboomer werden nicht nur in grosser Anzahl auf unsere Pflege zukommen, sondern auch mit ganz anderen Bedürfnissen. Die Politik muss hier längerfristig denken. Wenn wir jetzt die Kapazitäten regulatorisch begrenzen, werden uns in 10 Jahren die Betten fehlen, die wir heute eigentlich beginnen müssten zu planen und bauen.
Laut der CS-Studie muss man aber zumindest in bestimmten Gegenden, mit leeren Betten rechnen. Was soll ein Heim da vorkehren?
Leere Betten gibt es auch, weil das Angebot vieler Institutionen nicht auf die Nachfrage abgestimmt ist. Das klassische Altersheim-Angebot ist schon längst ein Auslaufmodell, auch sind viele Heime nicht auf die Bedürfnisse der heutigen Bewohner ausgerichtet. Ich denke, dass viele Heime Ihre Positionierung strategisch überdenken müssen.
Was heisst das? Wie müssen sich Heime künftig positionieren, welche Strategien sind sinnvoll?
Heime können sich vor allem über die Hotellerie oder die Pflege und Betreuung differenzieren. Im Bereich der Pflege und Betreuung ist vor allem die Qualität matchentscheidend. Diese kann zum Beispiel über eine Spezialisierung in der Pflege erreicht werden. Heime, die sich zum Beispiel konsequent auf die Pflege an Demenz erkrankter Menschen konzentrieren, können längerfristig diese Qualität bieten.

«Demographisch gesehen befindet sich das Gesundheitswesen derzeit in einer Schonungsperiode»

Qualität steht und fällt in der Pflege aber vor allem auch mit den Mitarbeitern. Heime die in Mitarbeiter investieren, werden längerfristig die Nase vorn haben. Im Bereich der Hotellerie können Heime sich über differenzierte Angebote mit entsprechender Preispolitik hervorheben. Hier unterscheiden sich Heime meines Erachtens nach noch zu wenig untereinander.
Und was ist mit dem Preis? Angesichts der allgemein unsicheren Altersfinanzierung könnte auch ein grösseres Bedürfnis nach günstigen Möglichkeiten entstehen.
Der Preis ist eine wichtige Komponente: Die Kosten, die ein Bewohner selbst tragen muss, betragen schnell mehr als 5‘000 Franken pro Monat. Gleichzeitig leben viele Rentner in relativer Einkommensarmut. Bei vielen Neubauprojekten von Pflegeheimen werden jedoch nur Einzelzimmer geplant, was in doppelter Hinsicht unglücklich ist: Zum einen sind die Pensionspreise entsprechend teurer; zum anderen profitieren besonders an Demenz erkrankte Menschen oft vom Zusammenleben in Mehrbettzimmern, was den Betreuungsaufwand letztlich reduziert.
Sehen Sie in diesem Bereich weiteren Konsolidierungsdruck? Werden neue Ketten und Unternehmen entstehen?
Es gibt eine seit Jahren andauernde Konsolidierungswelle, die in den nächsten Jahren noch zunehmen wird. Pflegeheimketten wie Korian oder Orpea zählen Betten in Zehntausenden. Sie können Overhead-Kosten natürlich ganz anders verteilen. Letztlich bedeutet dies, das besonders kleinere Heime vermehrt unter Kostendruck kommen werden. Gleichzeitig heisst dies aber nicht, dass eigenständige Heime über die schlechteren Angebote verfügen. Kleinere und eigenständige Heime müssen längerfristig entweder ausserordentlich gute und differenzierte Leistungen anbieten, oder sich grösseren Strukturen anschliessen.
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