Was sollen Pflegefachleute in eigener Kompetenz ausführen dürfen? Die Frage wird ja nicht nur wegen der Pflegeinitiative akut. Sondern sie trifft eine Kernfrage des künftigen Gesundheitswesens: Wie sollen die Aufgaben innerhalb der Grundversorgung verteilt werden – angesichts der Kosten, aber auch angesichts des notorischen Mangels an Ärzten in diesem Bereich?
Eine Schiene ist bekanntlich: Pharmazeuten erhalten eine neue Rolle – die Apotheke als Triage-Stelle. Ein weiteres Modell wäre die Erweiterung der Aufgaben von Pflegefachleuten nach skandinavischem oder angelsächsischem Modell. Als
«advanced practice nurses» oder
«nurse practitioners» könnte das Pflegepersonal eine stärkere Rolle in der Grundversorgung spielen. Die Idee wird bekanntlich auch in der helvetischen politischen Diskussion eingebracht – sachte, aber stetig (siehe etwa
hier).
Interessant sind also alle Untersuchungen zur Frage, wie sich das konkret auf der Versorgung auswirken würde.
Vier Mediziner der UCLA und der Harvard Medical School stellten dazu eine wichtige Frage: Wenn man die Massnahmen von Ärzten einerseits und Pflegefachleuten andererseits (nurse practitioners, physician assistants) vergleicht: Wichen dann letztere eher von den Guidelines der Ärzteschaft ab?
Die Forscher unter der Leitung des UCLA-Mediziners John M. Mafi verglichen dazu die Datensätze von 29'000 Patientenkontakten, und zwar mit Menschen, die unter Atemwegs-Infektionen, Rückenschmerzen oder Kopfweh litten. Dabei wurde insbesondere untersucht, wie oft die «Pflege-Grundversorger» zu potentiell unnötigen Behandlungen griffen:
- Einsatz von Antibiotika bei Infektionen der oberen Atemwege;
- Röntgenuntersuchungen bei Rückenschmerzen im unteren Bereich;
- MRI oder CT-Scans bei Kopfschmerzen.
Also sehr alltägliche und häufige Grundversorger-Fälle – die auch eine gewisse Wirkung bei den Kosten haben.
Und siehe da: Es liessen sich fast keine Unterschiede festmachen zwischen den Massnahmen von Hausärzten und jenen von Advanced Practice Nurses. Oder im Originaltext: «Unadjusted and adjusted results revealed that APCs ordered antibiotics, CT or MRI, radiography, and referrals as often as physicians in both settings.»
Kein Spezialistentrend
Es wurden also Sonderfaktoren berücksichtigt – etwa die Ernsthaftigkeit der abschliessenden Diagnose oder die Frage, ob sich die Beteiligten eher in einer städtischen oder ländlichen Umgebung befanden.
Der oft geäusserte Verdacht, dass Nicht-Ärzte – etwa aus Unsicherheit – eher zu überflüssigen Hilfsmitteln greifen oder die Patienten eher zum Spezialisten schicken, wurde auch nicht bestätigt.
Wo es ebenfalls keine Unterschiede gibt
Im Grundsatz ergänzen sich die Aussagen mit einem grossen Literaturüberblick, der jüngst im Rahmen des Cochrane-Systems publiziert wurde. Er erfasste die vorhandenen Studien zum Verschreibungsverhalten: Gibt es hier Unterschiede zwischen Ärzten, Pflegefachleuten und Apothekern.
Da es in vielen Ländern oder Regionen inzwischen üblich ist, dass Medikamente nicht ausschliesslich von Ärzten verschrieben werden, kann man hier einen Realitäts-Check machen.
Die beteiligten Forscher aus Australien und Schottland gingen also diesen Fällen nach und fragten: Führt es zu anderen Resultaten? Gibt es einen Unterschied zwischen dem «non-medical prescribing und dem «medical prescribing»?
Das Team um Greg Weeks von der Monash University fand 46 Studien, welche das Verschreibungs-Verhalten dieser Gesundheitsberufe erfassten. Vier stammten aus ärmeren Ländern (Kolumbien, Südafrika, Uganda und Thailand), die restlichen bezogen sich auf Industriestaaten der westlichen Welt. Wobei etwas mehr als die Hälfte die Verschreibungen durch das Pflegepersonal thematisierten (26 Studien), während die anderen 20 Arbeiten auf die Apotheker fokussierten; die nicht-ärztlichen Fachleute arbeiteten teils auf Gemeindeebene, teils in Spitälern, Heimen oder in Betrieben. Im Zentrum der meisten Erhebungen standen chronische Krankheiten.
Gleiche Zufriedenheit, gleiche Adhärenz
Das Fazit: Die einen verschrieben offenbar wie die anderen. Oder genauer: Die Ergebnisse waren vergleichbar. Dies galt beim Management von Blutdruck-Problemen, von Diabetes und Cholesterin-Werten, es galt bei der Adhärenz, bei der Patientenzufriedenheit und bei der erfassten Lebensqualität.
Bei all diesen Kriterien besagten die erfassten Daten, dass die Resultate vergleichbar seien. «Die Ergebnisse deuten an», so dann die «conclusions», «dass die nichtärztlichen Fachpersonen, welche mit hoher Autonomie und unter diversen Rahmenbedingungen Rezepte ausstellen, ebenso effektiv waren wie die gewohnten ärztlichen Verschreiber.»
Mit angemessenem Training klappt es
Eine Einschränkung bringen die Autoren allerdings an – nämlich dass sie nichts sagen können zu den unerwünschten Nebenwirkungen und zum Aspekt der Verschwendung beziehungsweise zur Effizienz: Die greifbaren Studien bieten hier zuwenig Anhaltspunkte.
Dennoch wagen sie eine recht deutliche Aussage: «Mit angemessenem Training und Unterstützung sind Nurses und Apotheker in der Lage, Arzneimittel als Bestandteil der Betreuung diverser Erkrankungen zu verschreiben und dabei vergleichbare gesundheitliche Ergebnisse zu erzielen wie Doktoren.»