Frau Zaugg, mit Ihrer Initiative fordern Sie «eine angemessene Abgeltung der Pflegeleistungen», «anforderungsgerechte Arbeitsbedingungen» und «Möglichkeiten der beruflichen Entwicklung». Sind die Löhne und Arbeitsbedingungen denn so schlecht, dass es einen Verfassungsartikel braucht?
Es fliesst zuwenig Geld in die Pflege, um genügend Personal anzuziehen und anzustellen. Wir wissen, wie sehr die Pflegepersonen unter Zeitdruck stehen, welchen psychischen Stress dieser Beruf mit sich bringt, wie oft man dabei ausbrennt. Und deshalb steigen auch so viele wieder aus. Aus diesem Grund müssen die Rahmenbedingungen verbessert werden. Und damit das möglich wird, muss mehr Geld in die Pflege fliessen.
Zuvor hatte Helena Zaugg als geschäftsführende Präsidentin der SBK-Sektion Bern gearbeitet. Sie ist diplomierte Pflegefachfrau, besitzt aber auch einen Master in Law.
Weiter soll die Initiative bessere Möglichkeiten der beruflichen Entwicklung schaffen. Zweifellos gibt es Lücken, auch schwarze Schafe. Aber normalerweise gelten die Bildungsmöglichkeiten im Schweizer Gesundheitswesen doch als gut.
Wir sagen, dass die Bedingungen verbesserungswürdig sind. Und zwar verbesserungswürdig im Hinblick darauf, dass man das Personal halten kann. Hier kann man noch mehr machen. Insbesondere geht es darum, das Pflegepersonal in jedem Lebensalter weiter zu bilden, damit sie den beruflichen Anforderungen gewachsen sind. Auch Weiterbildungen, um neue Funktionen zu übernehmen, erhöhen die Attraktivität des Berufs.
Haben Sie konkrete Beispiele, wo die Initiative in der Aus- oder Weiterbildung eingreifen soll?
Etwa im Bereich Ausbildung: Personen mit einem FaGe-Abschluss, die eine höhere Fachschul- oder Fachhochschul-Ausbildung in Angriff nehmen, sollen in dieser Phase einen existenzsichernden Lohn erhalten. Heute ist es so, dass man in der HF-Lehre weniger Geld verdient als im letzten Jahr der FaGe-Ausbildung. Das ist ein Riesenproblem.
Sicher der umstrittenste Punkt der Initiative wird sein, dass Pflegefachleute in eigener Verantwortung abrechnen können. Das heisst: Sie können gewisse Leistungen direkt der Grundversicherung verrechnen, es braucht nicht noch eine ärztliche Anordnung. Warum ist Ihnen das so wichtig?
Erstens, weil es ein administrativer Leerlauf ist. Hier sehen wir sogar ein Sparpotential, durch die Änderung würden Pflege wie Mediziner entlastet. Zweitens würde damit die Realität endlich auch im Gesetz abgebildet. Heute erfasst die Pflege selber den Bedarf, sie sagt, aus welchem Grund eine Person eine pflegerische Massnahme benötigt. Dass dann noch ein Arzt pro forma unterschreiben muss, bedeutet: Der Pflege werden nicht die Kompetenzen eingeräumt, welche sie sowieso ausübt.
Es geht also auch um die Würdigung der Qualifikationen? Um eine Image-Aufwertung?
Definitiv. Es geht darum, dass die Autonomie der Pflege anerkannt wird. Der Beruf und dessen Verantwortung sollen so abgebildet werden, wie sie heute gelebt werden. Sie sollen gewürdigt werden.
Bekanntlich wollte bereits eine parlamentarische Initiative dieses Anliegen durchsetzen. Sie scheiterte im Nationalrat, und auch der Bundesrat war dagegen. Man befürchtete offenbar Mengenausweitungen, also Mehrkosten. Können Sie garantieren, dass das nicht eintritt?
Die Pflege wird unweigerlich mehr kosten, weil mit der demographischen Entwicklung der Bedarf steigt. Natürlich können wir nicht garantieren, dass einzelne Ausreisser da und dort zu etwas Mengenausweitung führen. Aber: Wir haben in der Pflege bereits heute eine Pflegebedarfserfassung. Wir müssen zuerst beschreiben, wegen welchen Problemen oder Phänomenen welche pflegerischen Massnahmen ergriffen werden müssen. Das wird kontrolliert. Die Krankenkassen oder die Restfinanzierer – die Kantone – überwachen es jetzt schon.
Der Bundesrat rechnete vor, dass eine Kompetenz-Ausweitung der Pflege bis zu 80 Millionen Franken kosten könnte. Was sagen Sie dazu?
Das waren horrende Zahlen. Wir haben nie verstanden, wie man wirklich darauf kam. Es waren irgendwelche Annahmen, die darauf beruhten, dass die Pflegenden die Gelegenheit ergreifen und mehr Leistungen anbieten würden. Aber das geht nicht so einfach. Mit der Pflegebedarfs-Erfassung und der Leistungskontrolle ist Pflege klar kein Selbstbedienungsladen.
«Der SBK und andere Organisation haben oft gewarnt – aber es wurde nicht gehört»
Es ist die erste Initiative, die in der Schweizer Geschichte vom Pflegepersonal lanciert wird. Geht es dem SBK auch darum, als Organisation, als Berufsstand, als politische Stimme heute eine gewichtigere Rolle zu spielen.
Ja. Die Pflegeverbände sind sich darin einig, dass die Situation in der Pflege an einem kritischen Punkt ist. Dies auch wegen neuen Finanzierungssystemen, die in den letzten Jahren eingeführt wurden. Auf der anderen Seite ist die Berufsverweildauer schlecht, und wir erreichen in keinem Jahr die Ausbildungszahlen, die dem Bedarf der Schweiz entsprechen. Der SBK, aber auch andere Organisation haben oft darauf hingewiesen – aber es wurde nicht gehört. Dabei ist die Pflege ein zentraler Leistungserbringer im Gesundheitswesen. Und jetzt wollen wir gehört werden.
Was hören Sie von den Ärzten? Es könnte im Abstimmungskampf wichtig werden, ob sie sich eher für oder gegen die Pflegeinitiative aussprechen.
Wir sind natürlich in Kontakt mit den Ärzten, auch mit den Hausärzten, und wir erfahren sehr viel Sympathie für die Initiative. Sie stellen sich nicht gegen das Anliegen, und geprüft wird auch, ob die Ärzte ins Unterstützungskomitee kommen.
Die Pflege geniesst höchstes Ansehen, eigentlich liebt Sie doch jeder. Wer würde im Abstimmungskampf die Nein-Parole ausgeben?
Wir sehen es dann – ich bin selber gespannt.
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