Herr Wettstein, in der Schweiz gibt es immer mehr Plattformen, auf denen man nach Ärzten suchen und sie bewerten kann. Welche davon wird sich durchsetzen?
Entscheidend sind die Qualität der Adressen: Wieviele Praxen finden Sie dort? Welche? Entscheidend ist zugleich die Qualität der Inhalte, und dann die Nutzerfreundlichkeit – also die Einfachheit, mit der man die gewünschten Antworten und den passenden Arzt oder Zahnarzt findet.
Und weshalb wird sich DocApp durchsetzen?
Bei allen bisherigen Diensten findet man als Patient über das Fachgebiet und die Ortschaft einen Mediziner. Bei
DocApp finden Sie die Ansprechpartner aber auch über die Beschwerde: «Kopfschmerzen» oder «Schmerzen im Knie» oder «Blut im Urin». Sie müssen also nicht schon das Fachgebiet kennen, um zu suchen: «Neurologie» «Orthopädie», «Urologie».
Thomas Wettstein
Thomas Wettstein ist Mitgründer und Managing Partner von DocApp. Zuvor war er – nach einem Abschluss an der HSG – unter anderem in der Unternehmensberatung und im Marketing der CSS Gruppe und Kuoni tätig gewesen.
Es ist wichtig, dass man die Kontaktangabe kombiniert mit Informationen zum spezifischen Leistungsangebot des Arztes. Auf DocApp erfährt man eben auch: Aha – das hier ist ein Frauenarzt, der aber zudem eine Ausbildung im Krebsbereich hat. Und man erfährt nicht nur, ob jemand Orthopäde ist, sondern auch, ob er primär Schulter, Knie oder Fuss therapiert. Ein guter Orthopäde ist heute nicht einfach Orthopäde für den gesamten Bewegungsapparat.
Suchen denn die Leute ihre Ärzte wirklich so? Die Regel ist doch immer noch, dass man zum Allgemeinpraktiker geht, und der schickt einen dann halt weiter zum Spezialisten.
Es gibt die Tendenz, dass die Patienten stetig mehr wissen. Sie informieren sich via Dr. Google. Man kann davon ausgehen, dass 70 bis 80 Prozent der Patienten selber recherchieren; und es gibt Erhebungen, wonach 50 bis 60 Prozent der Menschen in der Schweiz daran interessiert wären, selber Ärzte online zu suchen und zu buchen. Gewiss, in den städtischen Regionen ist dies wohl verbreiteter – in den ländlichen Regionen vertraut man noch sehr stark in den klassischen Hausarzt. Aber der Hausarzt ist ebenfalls eine Zielgruppe für uns. Wenn er beispielsweise eine komplizierte Knieverletzung hat, kann er über DocApp nach Spezialisten dafür suchen.
DocApp ist eine Schweizer Ärzteplattform, die im Juli 2015 lanciert wurde. Sie wird betrieben vom gleichnamigen Unternehmen in Zürich, einer unabhängigen und privat finanzierten Gründung eines Arztes, eines Marketing-Fachmanns und eines IT-Spezialisten. Ziel ist, in den nächsten drei Jahren die wichtigste Ärztesuch- und Bewertungsplattform der Schweiz zu werden.
Dennoch sind die Patienten immer noch überfordert bei der Beurteilung in medizinischen Fachgebieten.
Es gibt gewisse Fachgebiete, wo die Endnutzer selbstständiger auf den Arzt zugehen, fast schon wie beim Zahnarzt: Dermatologie, Hals-Nasen-Ohren oder Schönheit. Bei Krebs andererseits wird kaum jemand den Onkologen selber auf DocApp suchen. Aber immer geht es darum, das Angebot möglichst breit aufzuzeigen und so den Patienten neue Möglichkeiten zu geben.
Wie wirken sich diese Möglichkeiten denn konkret aus?
Sie sind beim Hausarzt. Er stellt fest, dass Sie das Kreuzband gerissen haben, dann sagt er: «Gehen Sie dafür zu Doktor XY». Heute nun fangen Sie an, danach auch selber zu recherchieren. Und unter Umständen haben Sie von Bekannten schon gehört, dass Doktor Z hervorragend sei. Dann vergleichen Sie.
Bald kommt noch eine internationale Ärztebuchungs-Plattform in die Schweiz, Doctena. Dort kann man Termine buchen – aber die Praxen werden nicht bewertet. Das ist doch vor allem für die Ärzte attraktiv. Die stören sich oft daran, dass sie über irgendwelche Sternchen öffentlich benotet werden.
Wer in der analogen Welt einen guten Job macht und einen guten Ruf hat, der hat auch in der digitalen Welt einen guten Ruf. Er muss keine Angst vor Bewertungen haben. Bewertungen hat es ja schon immer gegeben, wir haben uns früher auch erzählt, ob das Gipfeli beim Bäcker gut oder schlecht ist. Das findet jetzt einfach auch in der elektronischen Welt statt. Die Benotungen der Ärzte sind zu mehr als 90 Prozent positiv, auch weil Ärzte gute Arbeit leisten.
«Ich weiss nicht, ob Schweizer Ärzte automatisch bei einer amerikanischen Plattform mitmachen würden»
Wir haben auch Mediziner, die die Bewertungen sogar super finden: Sie erhalten hier Feedback und können damit die internen Prozesse optimieren. Ausserdem können sie stets auch einen Gegenkommentar aufzuschalten und so einen Dialog starten. Zudem gehen alle Bewertungen durch eine Qualitätskontrolle bevor sie publiziert werden. Wenn ein Urteil heikel ist, informieren wir die Ärzte auch aktiv.
Worum geht es den Patienten denn wirklich, wenn sie auf Ihrer Plattform suchen: Wollen sie rasch, einfach und möglichst nahe einen Termin buchen? Oder wollen sie den besten Arzt, suchen sie Qualität?
Sowohl als auch. Es kommt auch auf die Situation an. Wenn Sie einen Zahn abgebrochen haben, können Sie in irgendeine Dentalpraxis laufen. Wenn Sie aber spüren, dass Sie ein tieferes Problem haben, möchten Sie von vertrauenswürdigen Experten betreut werden. Ein Hausarzt braucht DocApp nicht, für den ist es höchstens ein Branding-Element: Er hat auch sonst von morgens bis abends genug zu tun. Aber es gibt aber gewisse Fachbereiche – HNO, Augen, Schönheit, Haut oder auch Ärzte mit einer neuen Praxis – wo es offene Kapazitäten gibt.
Im Bereich der Online-Dienstleistungen findet sich ein Muster: Erst entstehen in jedem Land viele Startups, und dann kommt ein grosser internationaler Player und fegt alles weg – Google, Ebay, Airbnb, Uber, Zalando… Warum sollte das bei den Medizin-Plattformen anders sein? Ist DocApp zum Beispiel auf die vom US-Online-Versicherer Oscar angekündigte internationale Expansion vorbereitet? Dein Deal hat sich auch erfolgreich gegen Groupon gewehrt. Und Ricardo gegen Ebay. Ein Teil unseres Labels ist «Swiss Made». Ich weiss nicht, ob Schweizer Ärzte und Kliniken automatisch bei einer amerikanischen oder deutschen Plattform mitmachen würden. Und Sie können auch nicht einfach Deutschland mit der Schweiz gleichsetzen – in vielen Prozessen, etwa bei den Versicherungsmodellen, sind es völlig andere Verhältnisse.
International zeigt sich aber auch, dass die Ärztesuche sehr nah an die Versicherung kommt: Über seine Versicherungsplattform findet man die Ärzte: Auch dies sieht man im Oscar-Modell. Die Verbindung gibt es auch bei uns in vielen Ansätzen, etwa in Managed-Care-Konzepten.
Es ist eine riesige Herausforderung, das Erlebnis im Gesundheitswesen zu optimieren. Aber man darf sich das auch nicht zu einfach vorstellen. Beschwerden, Unfall oder Notfall, Versicherung, Telemedizin, Premium-Services, Austausch vertraulicher Informationen, Datenschutz – alles über eine Plattform: Hier gibt es für den Premium-Bereich bestimmt Potential für innovative Produkte.
«Man soll noch kurzfristiger Arzttermine verschieben können – zum Nutzen von beiden Seiten»
Zudem dürfen wir nicht vergessen, unser Gesundheitssystem basiert auf dem Solidaritätsgedanken und ist primär für Nutzer mit normaler Grundversicherung geschaffen. Mit DocApp wollen wir mittelfristig das Erlebnis für alle Versicherungsklassen verbessern.
Wie gewinnen Sie die Ärzte für DocApp? Haben Sie Sales-Leute, die eine Praxis nach der anderen aufsuchen?
Wir sind natürlich täglich unterwegs. Aber wir sind auch stark IT-mässig aufgestellt. Wir haben ein wachsendes Netzwerk, das uns hilft, die Türen aufzustossen. Wir möchten die Ärzte mit dem Erlebnis überzeugen: Dass sie sehen, wie es funktioniert – und sagen: «Wow, da machen wir mit.»
Warum soll ein Arzt für eine Präsenz auf DocApp Geld bezahlen?
Wir haben uns von Anfang an zwei Fragen gestellt: Was will ein Arzt kommunizieren? Und was suchen auf der anderen Seite die Endnutzer? Deshalb haben wir DocApp so gestaltet, dass es den einen eine optimale Präsentation ermöglicht und den anderen eine perfekte Suche. Schliesslich sollen die Patienten den passenden Arzt finden. Also ein Mehrwert für alle Beteiligten.
Verändern diese Plattformen auch sonst das Verhältnis von Arzt und Patient? Zum Beispiel dürfte es immer üblicher werden, dass man seine Arzttermine kurzfristig hin und her schiebt.
Wie wir im Gespräch mit
ZocDoc erfahren haben, ist es beispielweise in New York schon heute üblich, dass man den Dermatologietermin eine Stunde vor Beginn nochmals hinausschiebt, weil ein Meeting dazwischenkam. Ob das in diesem Ausmass in der Schweiz kommt, ist unsicher. Aber die Synchronisierung ist natürlich ein Ziel der Online-Agendas: Man soll noch kurzfristiger Arzttermine verschieben können – zum Nutzen von beiden Seiten. In den grossen städtischen Regionen ist dieses Bedürfnis sicher vorhanden.