Das Fallbeispiel: So wirkt das Globalbudget im Alltag eines Hausarztes

Ein Arzt in Deutschland kündigte an, seine Praxis zu schliessen und seine Zulassung öffentlich zu verbrennen. Die Geschichte ist sehr lehrreich – gerade auch für die aktuelle Gesundheitsdebatte bei uns.

, 3. November 2017 um 09:50
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Die Globalbudget-Idee wird uns in den nächsten Monaten noch intensiv beschäftigen. Doch wie immer man auch dazu steht: Es dürfte sich lohnen, stets den Fall von Günter Krause im Hinterkopf zu haben. 
Günter Krause ist 38 Jahre alt und betreibt eine typische Landarzt-Praxis im 1500-Seelen-Ort Hainewalde in Sachsen. Letzten Donnerstag gab er bekannt, er werde nach Dresden fahren, sich dort vor die Regionalzentrale der Kassenärztlichen Vereinigung stellen und öffentlich seine Zulassung verbrennen. Er gebe auf. Er schliesse seine Praxis.
Der Grund: die Bürokratie. Noch konkreter: Sein Alltag als Hausarzt mit einem Globalbudget sei unerträglich geworden. Er werde durch Kontrollen, Auflagen und vor allem Rückzahlungs-Forderungen gegängelt.

«Macht doch euer’n Dreck alleene!»

Landarzt Krause hat – von der Versicherung vorgegeben – ein monatliches Budget. Wenn er es gegen Ende des Monats ausgeschöpft hat und er trotzdem weiter Patienten behandelt, trägt er die Kosten selber. Damit steht er in guter Gesellschaft: Offenbar schliessen viele Ärzte im dünn versorgten ländlichen Ostdeutschland schon Tage vor Monatsende einfach ihre Praxen.
In einer Mitteilung an die Medien kündigte Doktor Krause nun seinen feurigen Abgang an: «Honorarbeschneidung, Rabattverträge, Regresse ... mir reicht es!», schrieb der Landarzt. Und dann: «Macht doch euer’n Dreck alleene!»
Am Tag danach, so berichtete er in der «Sächsischen Zeitung», klingelte in seiner Praxis das Telefon unaufhörlich: Ärzte von nah und fern klopften ihm fernmündlich auf die Schulter, nach dem Motto: Endlich sagt's mal einer.

Entweder gratis arbeiten – oder Praxis schliessen

Worum geht es? Offenbar um die Realität einer Praxis mit Globalbudget. Krause hat zur Behandlung seiner Patienten – darunter die Bewohner von 16 Altersheimen – ein Jahresbudget, das sich nach Durchschnittswerten bemisst. Dabei kommt es immer wieder vor, dass er die bewilligten Ausgaben bereits aufgebraucht hat – während gewisse Patienten trotzdem noch nicht ausgeheilt sind und sich andere Patienten sogar mit neuen Krankheiten melden. Also steht er vor der Wahl, die Menschen zu vernachlässigen oder aber gratis zu arbeiten und die Kosten selber zu berappen.
Verschärft wird das Problem, weil die Kassenärztliche Vereinigung die Ausgaben einer Praxis bis zu vier Jahre rückwirkend prüft. Die Vereinigung, muss man wissen, ist in Deutschland eine spezielle Instanz, die eigentlich die Ärzte vertritt; beim Management der Globalbudgets tritt sie aber als Mittler zwischen Krankenkassen und Medizinern auf, auch als Kontrollinstanz.

Selbst die Mutter soll noch zurückzahlen

Wenn das Budget also gesprengt wird, fordert die Kasse den Arzt auf, insbesondere Ausreisser schriftlich zu erklären und Massnahmen und Verschreibungen zu begründen. Der Arzt muss «Praxisbesonderheiten» herausarbeiten und belegen, ansonsten kann die Kasse das Geld zurückverlangen (ein Verfahren, das man hierzulande ja im Prinzip auch kennt).
«Ich bezahle Behandlungen, die ich vor dreieinhalb Jahren durchgeführt habe, jetzt aus eigener Tasche», erzählte der Arzt der SZ. Drei derartige Kassenprüfungen hatte Krause in diesem Jahr bereits. Selbst seine Mutter müsse noch zurückzahlen. Sie hatte die Praxis in Hainewalde zuvor geführt, aber sie ihm bereits 2014 übergeben.
Natürlich ist der deutsche Fall nicht einfach übertragbar. Aber auf den Facebook-Einträgen dazu wird rasch ersichtlich, dass hier ein warnendes Beispiel steht; und man beginnt zu ahnen, welche Exzesse drohen, wenn die Überwachung der ambulanten Tarife und der Globalbudgets schlecht umgesetzt werden.

Für «sprechende Medizin» werde nicht bezahlt

Da beschreibt beispielsweise eine Ärztin, dass sie einen Regress hängig habe, der existenzvernichtend werden dürfte. Letztes Jahr sei es den Kassen eingefallen, die Jahre 2012 bis 2015 rückwirkend zu prüfen. Auf die Frage, weshalb die Anfrage nicht früher gekommen sei, lautete die Antwort: Personalmangel. Jedenfalls sei alles, was die Kassen zurückverlangen, auch tatsächlich erbrachte Leistung. «Nur weil ich zu viele Patienten behandelt habe und nicht in den Fachgruppendurchnitt passe, werde ich bestraft.»
Von der Kassenärztlichen Vereinigung erhalte die Ärztin dann den Ratschlag, sie solle sich «abgrenzen»; für die sprechende Medizin werde nicht bezahlt.
Günter Krause wollte mit seiner Aktion vor allem warnen: Der bürokratische Deckel führe dazu, dass die Mediziner am Ende nur noch «Dienst nach Vorschrift machten». Die Warnung kam offenbar an: Gestern gab Krause bekannt, die Verbrennungs-Show auszusetzen. Vom Rummel aufgeschreckt, machte ihm nicht nur die Kassenärztliche Vereinigung ein Gesprächsangebot, sondern auch diverse Politiker luden ihn ein.

  • Mehr/Quellen: «Sächsische Zeitung»   |  «Tag24»  | «Radio Chemnitz» 

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