«Bildung braucht Zeit. Fangen wir frühzeitig an»

Was sind die neue Schlüsselkompetenzen im Gesundheitsbereich? Und wie bereitet sich die Branche darauf vor? Antworten von Urs Sieber, dem Geschäftsführer des Gesundheits-Bildungs-Verbands OdASanté.

, 14. Oktober 2015 um 07:43
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Herr Sieber, mehrere Bedingungen werden die Anforderungen an die Gesundheits-Profis in den nächsten Jahren massiv prägen – so etwa chronischer Personalmangel, Technisierung, der Ruf nach mehr Patienten-Souveränität, Effizienz-Druck. Welches Thema beschäftigt Sie selber am meisten?
Die Herausforderung ist es, bedarfsgerechte Ausbildungen für die Zukunft zu erarbeiten – und auf der anderen Seite genügend Leute für diese Ausbildungen zu gewinnen; damit wir gut qualifiziertes Personal haben, das dereinst dem Bedarf des Gesundheitswesens entspricht.
Was denken Sie: Was wird «gut qualifiziertes Personal» im Jahr 2030 bedeuten?
Unser Szenario besagt, dass sich die traditionellen Grenzen der Versorgungsbereiche, beispielsweise auch in der Langzeitpflege, stark verschieben oder gar auflösen werden. Die Rollen der Berufsleute werden sich dementsprechend weiterentwickeln, Damit gewinnt die intra- und interprofessionelle Zusammenarbeit an Bedeutung.
Urs Sieber ist seit 2006 Geschäftsführer von OdASasanté. Die Dach-Organisation der Arbeitswelt Gesundheit vertritt die Interessen der Gesundheitsbranche in Bildungsfragen.
Sieber ist ursprünglich diplomierter Pflegefachmann und war unter anderem Lehrer und Rektor im Bereich der Pflege-Ausbildung. 
Welche Skills werden in diesem Szenario stärker gefragt sein?
Ganz entscheidend sind Kommunikations-, Team- und Kooperationsfähigkeit, auch Sprachgewandtheit. Das werden verstärkt Schlüsselkompetenzen. Wir haben es stetig mit Fragen der Generalisierung und Spezialisierung im Beruf zu tun – und da ist eine professionelle Kommunikation von besonderer Bedeutung. Hinzu kommen Patienten, die via Internet recherchieren und sich eine Kompetenz aneignen, die in Teilgebieten grösser sein kann als die einer Fachperson. Da muss man vieles miteinander aushandeln und abklären können.
In Ihrer Liste der wichtigen Kompetenzen haben Sie jetzt das technische Know-how nicht erwähnt.
Es ist klar, dass es mehr und mehr Fähigkeiten auch in diesem Bereich braucht. Wobei: Wenn ich die Jungen sehe, die jetzt in der Ausbildung sind, dann wird sichtbar, dass die hier bereits sehr viel mitbringen. Oft wird es also darum gehen, diese Kompetenzen zu kanalisieren und einen Feinschliff zu machen.
Insgesamt entsteht der Eindruck, dass das Gesundheitspersonal der Zukunft einfach überall mehr bieten muss: Kommunikation, Technik, Dienstleistungs-Orientierung, auch Betriebswirtschaft – und als Grundlage natürlich die medizinischen Kenntnisse. Heisst das Motto einfach: Mehr von allem?
Mir macht das keine Sorgen. Wenn man sieht, wie sich die Pflegeberufe in den letzten Jahren und Jahrzehnten entwickelt haben, dann erkennt man wesentliche Veränderungen – aber die Menschen konnten immer gut mithalten. Heute ist die FaGe-Ausbildung der drittbeliebteste Lehrberuf im Land. Wir haben kaum Hinweise, dass es in der Entwicklung Probleme gibt, und selten klagt jemand: «Das schaffen wir nicht.» Die akuteren Probleme entstehen, weil die Kommunikation nicht klappt. Oder aus gewissen ökonomischen Faktoren – also zum Beispiel wegen fehlenden Personals.

«Auch ethische Fragen werden das Personal mehr und mehr beschäftigen»

Hier tauchen schon die nächsten Zusatz-Anforderungen auf: Das Gesundheitspersonal muss obendrein mehr und mehr unternehmerisches Denken beweisen.
Es ist einfach wichtig, so etwas dann als Bestandteil der Berufsbildung zu integrieren. Wir müssen also in der Ausbildung das Verständnis für solche Zusammenhänge schulen, stetig und stufengerecht. Erwähnen könnte man übrigens auch die ethischen Fragen: Auch diese werden das Personal mehr und mehr beschäftigen.
Sie haben es erwähnt: Gesundheitsberufe sind beliebt, und ihre Attraktivität auf die Jungen steigt sogar. Wie erklären Sie sich das?
Zum einen sind es Berufe, die Sinn machen – ganz einfach. Es sind Berufe, die nicht nur mit Menschen zu tun haben, sondern eben auch mit Technologie. Berufe, in denen sich viel Entwicklung abzeichnet. Berufe, die gesellschaftlich hoch im Kurs sind. Und es sind Berufe mit Zukunft und Sicherheit. Wer eine Ausbildung im Gesundheitsbereich hat, muss sich nicht vor Arbeitslosigkeit fürchten.
Tagung: «Die  Zukunft wird anders!»
Den Entwicklungen der Gesundheitsberufe widmet sich die Tagung, welche OdASanté am 4. November 2015 in Bern veranstaltet. Zu den Referenten gehören Sabine Hahn, Max Giger, Margrit Stamm und François Höpflinger. — Zur Veranstaltungs-Site
Zwischen Spezialisierungen und neuen Grenzen verändern sich die Berufsdefinitionen: Werden Sie bis 2030 noch 10 oder 12 neuartige Diplome im Gesundheitsbereich entwickelt haben?
Das kann man natürlich kaum voraussagen. Wenn wir es genau wüssten, könnten wir die Entwicklung jetzt schon angehen. Odasanté befragt die Betriebe und Verbände: Wo steht ihr? Was braucht ihr? Welche Skills benötigt ihr zunehmend? Es geht also auch darum, die Branche zu sensibilisieren, damit sie selber früh erkennt, was in der Zukunft anders sein könnte. Ein Kernsatz von mir ist immer: Bildung braucht Zeit – fangen wir frühzeitig an. Bis eine Bildungsverordnung überarbeitet ist und die ersten Leute einen neuen Abschluss erlangt haben, dauert es ca. sieben bis zehn Jahre.
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