Herr Braga, Sie haben bei Eedoctors rund 20 Mediziner im Einsatz: Was sind das für Ärzte? Woher kommen sie, wie lassen sie sich charakterisieren?
Fast die Hälfte sind Frauen, meistens Mütter, die partiell mit einem Teilzeitpensum in einer Praxis arbeiten. Sie möchten noch aktiver sein, aber dies lässt sich oft schwer mit dem Privatleben abstimmen. Sie ergänzen also ihre Tätigkeiten mit dem Engagement bei Eedoctors, oder Eedoctors erlaubt überhaut, dass sie kurativ tätig sind.
Andrea Vincenzo Braga
Andrea Vincenzo Braga ist Mitgründer und Chief Medical Officer von Eedoctors: Der neue Anbieter für Telemedizin-Leistungen via App und Handy nahm im Mai seine Tätigkeit auf. Braga ist Facharzt für Chirurgie FMH; er studierte in Bern und Sydney, arbeitete als Chief Medical Officer der Versicherungsgruppe Mondial und bei Medi24 und führt eine Praxis für ganzheitliche Medizin in Österreich.
Wir arbeiten mit den Ideen aus der «Sharing Economy» und machen brach liegende Ressourcen wieder verfügbar. Verschiedene Studien zeigen, dass zwischen 2‘500 und 3‘000 Schweizer Ärzte den Beruf an den Nagel gehängt haben, weil sie ihr gewünschtes Arbeitszeitmodell nicht verwirklichen können. Dies ist eine unerhörte volkswirtschaftliche Verschwendung, wenn man bedenkt, dass die Ausbildung eines Arztes rund eine Million Franken kostet. Es ist unser erklärtes Ziel, hier eine hochflexible Lösung für Teilzeitarbeit zu bieten.
Wie gross ist ein durchschnittliches Pensum einer Ärztin, eines Arztes bei Eedoctors?
Wir haben keine Angestellten, sondern funktionieren nach dem Belegarztprinzip. Insofern sind die Mediziner selbstständig. Es kann wirklich jeder und jede soviel arbeiten, wie er oder sie will.
Was macht die Ärzte bei Eedoctors sonst noch aus?
Man kann bei uns ohne viel logistischen Aufwand arbeiten, jeder kann von zuhause – oder wo auch immer – aus tätig sein, und die Einsätze sind recht spontan möglich. Solange unser Ärztepool noch nicht so gross ist, führen wir noch Dienstpläne. Aber später wird sich jeder Vertrags-Arzt sehr spontan einklinken können.
Doch auch sonst öffnen sich viele Anbieter für solche Ärzte, zunehmend offerieren die Spitäler, Privatkliniken oder Gruppenpraxen ebenfalls Teilzeit- und Familien-Lösungen.
Leider sind diese aber noch nicht so variantenreich, dass Mütter wirklich flexibel arbeiten können. Zu uns kommen obendrein Ärzte, die eher am Ende der Karriere stehen. Ich hatte eben wieder die Bewerbung eines Siebzigjährigen; er führt seine Praxis noch, will aber dort abbauen und über Videokonsultationen aktiv bleiben. Wir haben mehrere solcher Kollegen, die genug haben vom ganzen bürokratischen Aufwand einer Praxis, aber gern einige Stunden täglich ihr Wissen einsetzen wollen.
Eedoctors, gegründet in Bern und lanciert im Mai, versteht sich als virtuelle Arztpraxis für das Smartphone: Per Videoverbindung können sich Patienten überall auf der Welt mit einem Arzt verbinden lassen. Wichtig dabei ist die Idee, dass man via Eedoctors auch im Ausland, in abgelegenen Gegenden oder auf Reisen einen raschen und direkten Zugang zu einem Schweizer Arzt bekommt.
Und dann haben wir Schweizer Ärzte, die im Ausland leben, aber hier ihren Abschluss gemacht haben. Für uns arbeitet ein Mediziner, der in Südfrankreich wohnt. Und wir haben eine Kollegin, die nach Kanada ausgewandert ist und dort keine Arbeitsbewilligung als Chirurgin bekommt. Dies ist für uns auch wegen der Zeitverschiebung perfekt, so dass wir in naher Zukunft auch eine 24-Stunden-Abdeckung bieten können.
Was ist der fundamentale Unterschied zwischen Eedoctors und einem Telemedizin-Anbieter wie Medgate oder Santé24? Dass man bei Ihnen von zuhause aus arbeitet?
Dies ist ein wesentlicher Punkt. Im Geschäftsmodell liegt der Unterschied darin, dass die klassischen Telemedizin-Firmen primär als Dienstleister für Krankenkassen arbeiten; ihr Kunde ist die Versicherung, und diese bezahlt einen bestimmten Betrag für eine bestimmte Versichertengruppe.
«Wir haben auch Kolleginnen und Kollegen, die von Frankreich oder Kanada aus arbeiten»
Auch arbeiten die Telemed-Firmen weitestgehend per Telefon – wobei häufig auch Pflegefachleute eingebunden sind, also nicht nur Ärzte. Eedoctors versteht sich hingegen als Gruppenpraxis, bietet also ärztliche Konsultationen – einfach virtuell. Wir rechnen auch grundversicherungs-konform ab.
Wer meldet sich da als Patient? Wie waren bislang die Reaktionen?
Wir hatten seit dem Start im Mai noch nicht tausende Konsultationen, so dass ich noch keine statistische Auswertung bieten kann. Aber spürbar wird, dass eine grosse Bandbreite an Personen den Dienst nutzen. Wir hatten Probleme des Bewegungsapparates, Hautveränderungen, Rötungen, Juckreiz, Fieber, Husten, Bindehautentzündungen; auch gab es reisemedizinische Anfragen.
Und wie häufig musste ein Eedoctor einen Patienten weiterleiten in eine Praxis oder gar auf eine Notfallstation?
Bislang hatten wir es mit medizinisch eher leichten Fällen zu tun, die man problemlos per Videokonsultation beraten und behandeln konnte und nicht überweisen musste.
«Vor zehn Jahren war die Skepsis viel grösser. Damals wirkte Telemedizin tatsächlich noch wie ein Fremdkörper»
Soll Eedoctors dereinst auch als wichtiger Ausweg für ungenügend versorgte ländliche Gebieten dienen? So dass die dortigen Hausärzte leichte Fälle an Sie verweisen können?
Genau dazu sind wir im Gespräch mit Gemeinden und deren Vertretern. Es geht dabei jedoch nicht so sehr darum, die etablierten Hausärzte zu entlasten, sondern überhaupt dort eine Grundversorgung zu gewährleisten, wo es keinen Hausarzt mehr gibt. Vor diesem Hintergrund würden die Patienten sich direkt an Eedoctors wenden.
Wie reagiert die Ärzteschaft sonst? Manche Medizinern beurteilen Telemedizin immer noch skeptisch. Da dürfte eine App-Medizin umso mehr für Stirnrunzeln sorgen.
Nein, die Reaktionen sind fast schon unheimlich positiv. Ich arbeitete vor gut zehn Jahren für einen anderen telemedizinischen Anbieter, und da war die Skepsis viel grösser. Damals wirkte Telemedizin tatsächlich noch wie ein Fremdkörper. Heute hören wir oft den Satz: «Endlich gibt es so etwas» – von Politikern, von Ärzten, aus Behörden. Wir bekommen Kooperations-Anfragen von Ärztenetzwerken, wir erhalten auch Anfragen von Wissenschaftlern, wir spüren Wohlwollen von Kantonsärzten.
Und wie reagieren die Krankenkassen?
Auch die zeigen Interesse: Sie kommen auf uns zu, nicht umgekehrt. Da wir eine Gatekeeper-Funktion einnehmen und weil wir zwangsläufig auf viele Massnahmen verzichten, etwa Labor-Untersuchungen oder Röntgenbilder, liegen die Kosten massiv tiefer. Eine durchschnittliche Hausarzt-Konsultation kommt die Grundversicherung auf etwa 180 Franken zu stehen; bei einem Eedoctors-Fall sind es 40 bis 60 Franken.