Gefängnisinsassen profitieren von Teledermatologie

Müssen Gefängnisinsassen zum Facharzt, ist das mit Aufwand verbunden. Ein Pilotprojekt zeigt: Mit Teledermatologie lassen sich die Prozesse vereinfachen, den Inhaftierten wird schnell geholfen und Kosten werden eingespart.

, 28. Januar 2022 um 12:58
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Muss ein Inhaftierter zum Facharzt, setzt er damit einen grossen organisatorischen Prozess in Gang: Er wird unter hohen Sicherheitsvorkehrungen, in Begleitung von Polizisten und mit einem Spezialtransport zum Arzt gebracht. «Ein solcher Einsatz kostet schnell ein paar hundert Franken, die Konsultation beim Facharzt noch nicht hinzugerechnet», sagt Dr. Thomas Bart, Leitender Amtsarzt, Gesundheitsdepartement des Kantons Basel-Stadt. 
Rund ein Drittel aller Häftlinge in Schweizer Gefängnissen hat keine Krankenversicherung und die Kosten bleiben an den Kantonen oder Gemeinden hängen. Bereits seit fünf Jahren ist Thomas Bart als Gefängnisarzt für die Gesundheit von Basels Inhaftierten zuständig und stellt fest: «Viele Patienten möchten am liebsten umgehend zum Facharzt, was natürlich so nicht möglich ist». Erst, wenn die Diagnose nicht eindeutig oder Therapieoptionen ausgeschöpft sind, werden die Inhaftierten an Spezialisten überwiesen. Bei Hauterkrankungen kommt seit neuestem Teledermatologie zum Einsatz.

Diagnose ohne das Gefängnis zu verlassen

Das Amtsarztteam um Dr. Stephan Regenass hat gemeinsam mit Prof. Dr. Dr. Navarini, Chefarzt Dermatologie am Universitätsspital Basel (USB) und dem Teledermatologieanbieter «derma2go» ein Pilotprojekt lanciert – seit August 2021 wird Teledermatologie im Basler Gefängnis getestet. 
Die Vorteile liegen dabei auf der Hand: der Organisationsprozess und das Risiko eines Ausbruchs entfallen, Kosten werden reduziert und es ist eine schnelle Diagnose und Behandlung möglich. «Hautkrankheiten sind bei Gefängnisinsassen verbreitet, insbesondere auch ansteckende Infektionen wie Krätze. Da ist es wichtig, dass schnell behandelt wird, um eine Ausbreitung im Gefängnis zu vermeiden», sagt Prof. Dr. Dr. Navarini.

Hohe Zufriedenheit bei allen Beteiligten

Das teledermatologische Verfahren ist denkbar einfach, erklärt Dr. Bart: «Wenn wir Gefängnisärzte bei einer dermatologischen Fragestellung unsicher sind, machen wir ein Foto mit unserem Diensthandy und übermitteln dieses an die Hautärzte vom USB. Innert 24 Stunden haben wir in der Regel eine Antwort und können entsprechend behandeln». Rund 80 Prozent der Diagnosen können damit gestellt und erfolgreich therapiert werden. Die Zufriedenheit ist bei allen Beteiligten gross. „Das Pilotprojekt zeigt, welches Potential Teledermatologie hat und dass dieses in Zukunft auf weitere Institutionen ausgeweitet werden kann», so Navarini. 
«Teledermatologie eignet sich nicht zur Krebserkennung»
Der Dermatologe Dr. Christian Greis gründete 2018 das Teledermatologie-Unternehmen derma2go aus einem akuten Bedürfnis heraus: «Mich erreichten immer wieder Bilder von Freunden mit der Bitte, einen Blick auf die fotografierte Hautstelle zu werfen. Auch Patienten zeigten immer öfter per Handykamera dokumentierte Hautveränderungen». Nach knapp drei Jahren Teledermatologie zieht er nun eine erste Bilanz.
Am Beispiel des Basler Gefängnis-Pilotprojekts zeigt sich sehr deutlich, welchen direkten Nutzen Teledermatologie bringt. Welches Fazit ziehen Sie aus den vergangenen drei Jahren?
Wir haben von April 2020 bis Januar 2021 eine umfangreiche Befragung durchgeführt. Sie zeigt, dass auf Patienten wie auch auf Arztseite die Zufriedenheit gross ist und eine Fallabschussquote von 85 Prozent erreicht wird. Teledermatologie wird in der Mehrheit von Patienten zwischen 25 und 45 genutzt, die berufstätig und digitalisiert sind. Der Zeitfaktor spielt hierbei eine zentrale Rolle.
Und das nicht nur für den Patienten.
Auch für den Arzt bedeutet die teledermatologische Konsultation massive Zeitersparnis: er hat bereits im Vorfeld viele Informationen und muss weniger Zeit für eine strukturierte Anamnese aufwenden. Im Mittel brauchen wir rund 5-7 Minuten für eine online Konsultation. Zudem ist der Arzt auch räumlich unabhängig und kann etwa von unterwegs die Anfragen bearbeiten. In Zeiten von Fachärztemangel, kann Teledermatologie eine wichtige Triagefunktion erfüllen.
Medial gehypt wurde die Erkennung von Hautkrebs mittels App. Sie sagen jedoch klar, dass sich Teledermatologie nicht zur Krebserkennung eignet. Weshalb?
Das Risiko einer Fehldiagnose ist gross und kann fatale Folgen nach sich ziehen. Verdächtige Muttermale müssen deshalb immer von einem Arzt mit einem Dermatoskop begutachtet werden. Besonders gut eignet sich Teledermatologie zur Diagnose von chronisch entzündlichen Hauterkrankungen wie Schuppenpflechte, Ekzeme oder auch Akne.
Die Nutzer bezahlen die 75 Franken für die Konsultation bislang selbst, obschon die Krankenkassen doch ein Interesse daran haben müssten, Teledermatologie zu unterstützen.
Erste Krankenkassen haben die Teledermatologie bereits in ihr Portfolio mit aufgenommen - insbesondere über die Zusatzversicherungen. Neben den Krankenversicherungen liegt es aber auch beim Gesetzgeber, hier entsprechende Abrechnungsmöglichkeiten zu schaffen.
Ihre Auswertung zeigt auch, dass fehlendes Vertrauen in die Telemedizin eine verbreitete Sorge ist. Wie reagieren Sie darauf?
Es werden dieselben Gesundheitsdaten erhoben und gespeichert wie bei einer persönlichen Konsultation, diese werden verschlüsselt übermittelt und auf gesicherten Servern hinterlegt. Zugang bekommt der Arzt nur via Two-Factor-Authentification, ähnlich wie beim Online-Banking.
Werden die eingeschickten Bilder ausschliesslich von Experten beurteilt oder spielt künstliche Intelligenz (KI) bereits eine Rolle?
Aktuell ist es so, dass jeder Patient durch einen Dermatologen beurteilt wird. Ich bin aber überzeugt, dass KI in ein paar Jahren die Telemedizin unterstützen wird, etwa indem Krankheitsbilder bereits vorselektioniert werden und vom Arzt entsprechend schneller eine Diagnose und Therapie ausgesprochen werden kann.
Werden die meisten dermatologischen Konsultationen in Zukunft nur noch digital erfolgen?
Ich gehe davon aus, dass sich «hybride» Konstellationen durchsetzen werden. Das Unispital Zürich, das Unispital Basel und weitere Kliniken haben bereits heute eine teledermatologische Sprechstunde, in der wir täglich Patienten sehen und bei Bedarf persönlich einbestellen. 
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