Also doch: Selbstdispensation erhöht die Medikamenten-Kosten

Wenn Hausärzte die Pillen selber abgeben können, liegen die Arzneimittel-Ausgaben pro Patient im Schnitt um 56 Franken höher: Mit solchen Daten widerspricht eine Berner Studie dem Bundesrat.

, 16. Dezember 2015 um 10:00
image
Die Zahlen aus der Universität Bern haben es in sich – immerhin stehen sie im offensichtlichen Widerspruch zu einer Aussage, welche der Bundesrat und das Bundesamt für Gesundheit erst kürzlich gemacht haben.
Die Feststellung damals: Die direkte Medikamentenabgabe durch Ärzte verteuert die Krankenkassen-Kosten nicht – im Gegenteil.

7'500 Arztpraxen aus der Deutschschweiz

Die Aussage des neuen «Working Paper» aus dem Volkswirtschaftlichen Institut der Uni Bern jetzt: Doch – Ärzte mit Dispensierrecht verursachen höhere Medikamentenkosten als Ärzte in jenen Kantonen, wo die Abgabe verboten ist.
Die Ökonomen Daniel Burkhard, Christian Schmid und Kaspar Wüthrich untersuchten dazu Zahlenreinen aus den Jahren 2008 bis 2012: Sie massen Unterschiede, die sich bei 3'918 Allgemeinpraktikern und 3'488 Spezialisten in der Medikamentenverschreibung abzeichneten – und zwar in jenen Deutschschweizer Kantonen mit Selbstdispensation im Vergleich zu jenen ohne Selbstdispensation.

Daniel Burkhard, Christian Schmid, Kaspar Wüthrich: «Financial incentives and physician prescription behavior: Evidence from dispensing regulations», Discussion Paper, Universität Bern, November 2015
.


Das Ergebnis: Wenn der Hausarzt das Mittel gleich selber abgeben konnte, waren die Durchschnittskosten aller pro Patient verschriebenen Arzneien um 56 Franken höher (was wiederum etwa 26 Prozent der Medikamentenkosten ausmachte). Bei den Spezialisten war der Graben nicht ganz so breit – hier belief sich das Plus auf 16 Franken beziehungsweise 10 Prozent.
Dabei erklären sich die Differenzen fast vollständig mit der Menge und nicht aus den Preisen. Beim Beispiel der Hausärzte spiegeln sich die um 26 Prozent höheren Medikamentenkosten in um 28 Prozent häufigeren Abgaben von Arzneien.

Kostenkontrolle über die Menge, nicht über den Preis

Oder anders gesagt: Wenn ein Praxisarzt Medikamente abgeben darf, wählt er nicht etwa teurere Stoffe – aber er gibt tendenziell öfter ein Arzneimittel ab.
Hier sichten Burkhard, Schmid und Wüthrich auch den bedeutsamsten Punkt für politische Folgeaussagen: Die relative Bedeutung des Volumenaspektes «deutet an, dass eine Politik, welche die Mengen reguliert, zur Kontrolle der Gesundheitskosten erfolgreicher sein dürfte als Preisregulierungen.»
Menge oder Preis? Hier ergänzen sich die neuen Daten mit den Erkenntnissen, die die Bundesbehörden im Mai zum selben Thema vorlegten. «Ob Arzneimittel vom Arzt direkt abgegeben oder über eine Apotheke bezogen werden, hat auf die Gesamtausgaben der obligatorischen Krankenpflegeversicherung keinen Einfluss», hatte das Bundesamt für Gesundheit damals gemeldet – unter Berufung auf eine Studie, die das Institut Polynomics zusammen mit Helsana durchgeführt hatte.

Ärzte geben eher Generika

Denn auch jene Daten besagten, dass die Ärzte bei der Direktabgabe nicht teurere Medikamente abgeben: Die Patienten, so das BAG damals, «erhalten namentlich mehr verschiedene Medikamente und häufiger preiswerte Generika». Einen Unterschied sichteten die Autoren darin, dass Patienten der Selbstdispensations-Ärzte offenbar mehr ärztliche Sprechstunden in Anspruch nehmen.
Interessant zu prüfen wäre es also, wie sehr sich hier andere Faktoren im selben Phänomen spiegeln – insbesondere die Tatsache, dass selbstdispensierende Ärzte eher in ländlichen Regionen beziehungsweise Kantonen tätig sind.
Dennoch: Die vom Bundesrat im Mai publizierte Aussage, «dass Patientinnen und Patienten, die die Medikamente direkt vom Arzt oder der Ärztin erhalten, geringere Arzneimittelkosten zulasten der Krankenversicherung verursachen» – diese Aussage lässt sich jedenfalls so nur schwer halten. 

  • Hattip: «Schweiz: Höhere Arzneimittelausgaben durch Dispensierrecht», in: «Pharmazeutische Zeitung»


Artikel teilen

Loading

Comment

2 x pro Woche
Abonnieren Sie unseren Newsletter.

oder

Mehr zum Thema

image

Sichere Medikation bei Kindern

Das Startup Pedeus sorgt dafür, dass die Medikamentendosierung bei Kindern sicherer wird. Dafür wurde es mit dem Viktor 2022 in der Kategorie «Newcomer des Jahres» ausgezeichnet.

image

Zwei Unternehmen erhalten Geld für Covid-19-Medikamente

Der Bund will zwei Schweizer Pharmaentwickler-Firmen mit Millionen unterstützen, sofern das Covid-19-Gesetz im Juni angenommen wird.

image

Bei Engpässen dürfen Apotheken benötigte Wirkstoffe nun über die OKP verrechnen

Das EDI will den Zugang zu bestimmten lebenswichtigen Medikamenten verbessern und erleichtert nun die Vergütung von den in Apotheken hergestellten Arzneimitteln.

image

Forscher arbeiten an kürzeren Beipackzetteln

2500 Wörter, jedes zwanzigste noch dazu ein Fremdwort: Packungsbeilagen von Medikamenten sind oft eine Zumutung. Fachleute wollen das ändern.

image

Vertrauen in Routineimpfungen für Kinder weltweit gesunken

Knapp 70 Millionen Kinder sind laut neusten Unicef-Zahlen zwischen 2019 und 2021 gar nicht oder nur unzureichend geimpft worden. Grund soll die Corona-Pandemie gewesen sein.

image

«Die Tierversuche waren erfolgreich – jetzt fehlt der Nachweis beim Menschen»

Rocketvax entwickelt drei Impfstoffe gegen Sars-CoV-2. Vladimir Cmiljanovic verrät, weshalb er sich kein 4. Mal mit mRNA impfen lassen würde und erklärt, weshalb es sein Vakzin überhaupt noch braucht.

Vom gleichen Autor

image

Brust-Zentrum Zürich geht an belgische Investment-Holding

Kennen Sie Affidea? Der Healthcare-Konzern expandiert rasant. Jetzt auch in der Deutschschweiz. Mit 320 Zentren in 15 Ländern beschäftigt er über 7000 Ärzte.

image

Wer will bei den Helios-Kliniken einsteigen?

Der deutsche Healthcare-Konzern Fresenius sucht offenbar Interessenten für den Privatspital-Riesen Helios.

image

Deutschland: Investment-Firmen schlucken hunderte Arztpraxen

Medizin wird zur Spielwiese für internationale Fonds-Gesellschaften. Ärzte fürchten, dass sie zu Zulieferern degradiert werden.