Es sei die Angst, ins Fettnäpfchen zu treten, wenn es darum gehe, das eigentliche Problem hinter der medizinischen Unterversorgung in Deutschland anzufassen. Dies schreibt
Jürgen Freyschmidt in einem Beitrag
in der deutschen Tageszeitung «F.A.Z.».
Der emeritierte Professor der Medizinischen Hochschule Hannover
(MHH) ortet das Problem in dem unausgeglichenen Geschlechterverhältnis zwischen Ärztinnen und Ärzten. Denn laut Freyschmidt sind etwa 65 Prozent aller zum Medizinstudium Zugelassenen Frauen.
Warum die Abiturnote (k)eine Rolle spielt
Diese Feminisierung der Medizin führe dazu, dass viele nach dem Examen ihren Beruf nicht ausübten oder nur halbtags arbeiteten, was besonders die Kliniken zu spüren bekommen, wenn nachmittags Stationen nicht mehr ausreichend besetzt seien, schreibt Freyschmidt weiter.
Die Feminisierung hat für den Radiologen und pensionierten Chefarzt eine ganz einfache Erklärung: «70 Prozent der Frauen haben eine bessere Abiturnote als Männer.» Doch um ein engagierter und passionierter Arzt zu sein, müsse man kein glänzendes Abitur haben. «Medizin ist eine Erfahrungs- und weniger eine Naturwissenschaft.»
Fordert Reformen für das Studium
Zum Arztsein brauche man andere Qualitäten. Er erwähnt die Fähigkeit zu menschlicher Zuwendung oder Zuverlässigkeit. Diese Eigenschaften bilden sich laut Freyschmidt nicht in Abiturnoten ab.
Die Abiturnote und der höhere Frauenanteil bei der Zulassung sind für ihn die entscheidenden Hindernisse, um den Mangel an tätigen Ärzten langfristig zu beheben. Dieses geschlechtsbezogene Problem muss man justieren, wie er sagt. Folgende Alternativen sollten ihm zufolge zur Diskussion stehen:
Psychologischer Eignungstests
Anstelle der Abiturnote sollte man ihm zufolge einen psychologischen Eignungstest für den Arztberuf einführen – von erfahrenen Ärzten und Psychologen. Themen sollten unter anderem sein:
- Fähigkeit zu menschlicher Zuwendung,
- Lernbereitschaft (zum Beispiel Anatomie),
- Fähigkeit zum Erlernen und Verstehen physiologischer und pathophysiologischer Abläufe und Zusammenhänge.
Dazu ein Krankenpflegepraktikum von bis zu acht Monaten mit abschliessender kritischer Bewertung durch einen Arzt, eine Krankenschwester/einen Krankenpfleger und einen Patienten.
Männerquote von 50 Prozent
Ihm schwebt ferner eine Quote von 50 Prozent weiblichen und 50 Prozent männlichen Bewerbern vor. Statt der Abiturnote gebe es ein Losverfahren: «Wer ein Los zur Zulassung zieht, bekommt einen Studienplatz.»
Rückzahlung von Studiumskosten
Unabhängig müsse auch diskutiert werden, ob man Sanktionen für selbstverschuldete Studienabbrüche einführen sollte. «Darf man einfach zum Beispiel nach acht Semestern ein Studium abbrechen, nachdem man acht Semester einen Studienplatz besetzt hat, den man einem anderen Kandidaten oder einer Kandidatin vorenthalten hat?», fragt sich Freyschmidt, der 24 Jahre lang am Klinikum Bremen-Mitte als Chefarzt tätig war und heute
ein Beratungsbüro für Diagnostik betreibt.